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Bergbaufolgen

Wissen über das Wasser unter Tage

07. November 2024

Der Anstieg des Grubenwassers in stillgelegten Steinkohlenbergwerken stellt Ingenieurinnen und Ingenieure vor große Herausforderungen. Wie schützt man Mensch und Umwelt vor möglichen Folgen der steigenden Pegel? Wir klären die wichtigsten Fragen mit Nele Pollmann, Wasser-Expertin bei DMT, einer Tochter der TÜV NORD GROUP.

 

Frau Pollmann, Ende 2018 schlossen mit Prosper-Haniel in Bottrop und der Zeche Ibbenbüren die beiden letzten deutschen Steinkohlenbergwerke. Als Erbe bleiben die Ewigkeitsaufgaben, zu denen das Grubenwasser gehört. Was genau ist Grubenwasser?

Nele Pollmann: Grubenwasser ist alles Wasser, das mit Tief- und Tagebauen in Kontakt steht oder stand. Die Herkunft ist Regen- und Oberflächenwasser, welches als Grundwasser in die Grubengebäude sickert, sowie seitlich zufließendes Tiefenwasser und auch thermale Tiefenwässer. Diese Grubengebäude bestehen aus senkrechten Schächten und Strecken, den Querverbindungen unter Tage, die zu den Abbaubetrieben führten. Um die Bergwerke trocken zu halten, wurde das Grubenwasser während des aktiven Bergbaus nach oben gepumpt und in Bäche und Flüsse geleitet. Ohne die leistungsstarken Pumpen dieser Wasserhaltungen wären die Bergwerke vollgelaufen. Das wäre für die Bergleute gefährlich gewesen und hätte den Abbau von Steinkohle unmöglich gemacht. Da die Pumpen unter anderem viel Energie verbrauchen und sehr viel Geld kosten, sollen jetzt mit dem Ende des Steinkohlenbergbaus in Deutschland im Sinne der Sparsamkeit viele Pumpen abgestellt werden, das Grubenwasser soll bis zu einem optimalen Niveau ansteigen. Um diese Maßnahmen kümmert sich die RAG Aktiengesellschaft (kurz: RAG). Sie war der letzte Betreiber der Steinkohlenbergwerke im Ruhrgebiet, in Ibbenbüren und im Saarland. Nach dem Auslauf des aktiven Steinkohlenbergbaus bündelt sie sämtliche Aktivitäten der Ewigkeitsaufgaben, unter anderem das systematische Wassermanagement.

 

Mit welchem Ziel?

Ziel ist es, das Wasser an zentralen Standorten zu heben und in mittelgroße bis große Flüsse wie den Rhein im Ruhrgebiet oder die Saar im Saarland einzuleiten. Auf diese Weise sollen kleinere Gewässer entlastet werden – wie es beispielsweise im Zuge der Emscher-Renaturierung im Ruhrgebiet schon geschehen ist. Auch an diesem Jahrhundertprojekt war DMT als Gutachter beteiligt.

 

Ganz abstellen kann man die Pumpen im Ruhrgebiet aber nicht, oder?

Das ist so nicht vorgesehen. Das Grubenwasser sollte laut Bestimmungen nicht mit Grundwasser, welches zur Trinkwasserversorgung genutzt wird, in Kontakt treten und muss deshalb engmaschig gutachterlich überwacht werden.

 

Wie hilft DMT dabei konkret?

Wir begutachten die Maßnahmen beispielsweise der RAG im Zuge ihres Grubenwasserkonzepts und schlagen Verbesserungen vor, wenn wir das für erforderlich halten. Dazu haben erfahrene Kolleginnen und Kollegen hier bei DMT schon vor vielen Jahren die Grubenwassermodellierungssoftware „Boxmodell“ entwickelt. Das Modell ermöglicht uns, großräumig Grubenwasseranstiege zu berechnen. Die ingenieurtechnischen Herausforderungen sind schon durch die schiere Größe eines Bergbaureviers enorm. Man muss sich das vorstellen: Das Revier besteht aus mehreren stillgelegten Bergwerken, die unter Tage miteinander verbunden sind. Das betrifft zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen die Hälfte der Fläche des Ruhrgebiets. Mit unserem „Boxmodell“ lassen sich Regionen unter Tage in handhabbare Abschnitte („Boxen“) einteilen. Es ermöglicht uns, großräumig Grubenwasseranstiege zu berechnen.

 

Was können Sie in diesem „Boxmodell“ genau ablesen?

Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie das Wasser unter Tage zwischen den einzelnen Bergwerksbereichen fließt. Wir können die Grubenwasserströmung inklusive der Temperatur und der chemischen Zusammensetzung modellieren. Das „Boxmodell“ ermöglicht uns komplexe Analysen, um die Folgen technischer Eingriffe in simulierten Szenarien vorwegzunehmen und daraus geeignete Maßnahmen für einen kontrollierten und sicheren Grubenwasseranstieg abzuleiten. Meine Kollegin Julia Sunten und ich programmieren das Boxmodell, und wir passen es im Team bei DMT auf Basis neuer Daten stetig an. So zum Beispiel auch das Pumpkonzept. Das Wasser kann nun unter anderem zyklisch gepumpt werden oder abhängig von den Wasserständen in den Flüssen. Denn natürlich haben wir auch die Auswirkungen des Klimawandels auf dem Schirm und passen unser Modell an. Außerdem stellen wir unabhängig gutachterlich fest, an welchen Stellen das Grubenwasser behandelt werden sollte, bevor es in einen Fluss eingeleitet werden kann.

 

Über welche Mengen an Grubenwasser sprechen wir eigentlich?

Die RAG gibt an, allein im Ruhrgebiet jährlich 70 Millionen Kubikmeter Grubenwasser übertägig pumpen zu müssen.

 

Waren Sie für Ihre Arbeit als Gutachterin auch selbst unter Tage?

Ja, mehrfach. Zum ersten Mal war ich in Bottrop auf Prosper-Haniel im Jahr 2021 unter Tage. Da war das Bergwerk schon geraubt, also leer geräumt. Da unten war nichts mehr, auch keine Elektrizität. Wir sind damals auf Knien durch die engen, stockfinsteren Dammrohre gekrabbelt und anschließend durch das verlassene Grubengebäude gelaufen. Das war beeindruckend.

 

Wie fühlt man sich rund 1.100 Meter unter der Erde?

Wenn man nicht darüber nachdenkt, welche Gebirgslast da über einem wirkt, dann geht’s.

 

Was schauen Sie sich unter Tage genau an?

Wir schauen dann zum Beispiel, an welchen Messstellen das Grubenwasser auf welche Stoffe sinnvoll untersucht und in welchen Zyklen dort gemessen werden sollte. Wir schauen uns an, welche Stoffe in welcher Konzentration im Wasser sind. Wir sehen uns auch die Wegsamkeiten des Grubenwassers an. Hierzu gibt es natürlich auch Karten, doch es ist noch einmal etwas anderes, diese Dinge auch in der Realität zu sehen. Ich erinnere mich an eine Situation, bei der es um Anzahl und Größe bestimmter Pumpen ging. Erst als ich vor Ort im Bergwerk stand, wurde mir klar, wie beengt der Raum dort ist und wie aufwendig und schwierig ein Transport der Pumpen dorthin ist. Das wird einem nicht so klar, wenn man nur vor dem PC sitzt. Es ist wichtig, dass all diese Informationen dann auch in das DMT-„Boxmodell“ einfließen, um viele Fragen zu klären. Wie lange dauert die Flutung der einzelnen Gruben? Mit welchen Volumenströmen ist zu rechnen? Welche Konzentrationen an Wasserschadstoffen sind zu erwarten? Wir wissen, in welchen Bereichen wann abgebaut wurde. Das ist zum Beispiel deshalb wichtig, weil bestimmte Stoffe wie PCB-haltige Hydrauliköle nur zu gewissen Zeiten für den Betrieb von Maschinen eingesetzt worden sind. Und wir schauen auch über den Tellerrand: Wie und wo lässt sich das Grubenwasser vielleicht geothermisch nutzen? Am Ende stehen unabhängige Gutachten, die die RAG bei den Bergbehörden einreicht.

 

Zur Person:

Dr. Nele Pollmann leitet das Team Hydrogeologie und Wasserwirtschaft bei DMT. Sie engagiert sich ehrenamtlich und in der TÜV NORD GROUP für mehr Sichtbarkeit von Frauen in MINT-Berufen.

Sie sind im Ruhrgebiet aufgewachsen. Motiviert das zusätzlich?

Es ist meine Heimat, und der Steinkohlenbergbau ist Teil meiner Geschichte als Kind des Ruhrgebiets, wo ich heute noch mit meiner Familie lebe. Ich habe selbst größtes Interesse daran, negative Folgen durch den Anstieg des Grubenwassers zu vermeiden. Es treibt mich an, etwas für meine Region tun zu können. Die Folgen des Bergbaus werden uns bei DMT sicher noch lange beschäftigen. Sie heißen nicht umsonst: Ewigkeitsaufgaben.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore