21. September 2023
Erst grün, dann bunt, dann kahl: Laubbäume verlieren im Herbst ihre Blätter. Aber wie machen sie das? Und warum überhaupt?
Weniger Nahrung, weniger Wasser, lebensbedrohliche Temperaturen: Der Winter ist für die meisten Lebewesen eine harte Zeit, die vor allem überstanden sein will. Manche Tiere verschlafen sie daher in ihren Höhlen, andere horten Vorräte, fast alle legen sich ein dickes Fell zu. Laubbäume machen es umgekehrt: Sie werfen Ballast ab – ihre Blätter. Über diese verdunsten die Bäume den Großteil des Wassers. Doch davon können ihre Wurzeln in der kalten und trockeneren Winterzeit immer weniger aus der harten Erde ziehen. Müssten die Bäume weiter ihr gesamtes Blattwerk mit dem raren H2O versorgen, würden sie über den Winter verdorren.
30.000 Blätter hat ein durchschnittlicher Laubbaum. Eine ausgewachsene Rotbuche bringt es auf 800.000, das sind 28 Kilo Laub pro Baum. Eine Rosskastanie kommt auf 25 Kilo. Für Menschen mit Garten und für die Stadtreinigung ist das eine enorme Menge, die entsorgt werden muss. 36.000 Tonnen Laub sammelt die Berliner BSR jeden Herbst in der Hauptstadt ein; das ist dreieinhalbmal so viel, wie der Eiffelturm wiegt.
Auch Bäume haben nichts zu verschenken
Dass diese Blätter fast immer bunt sind, hat einen einfachen Grund, hinter dem komplexe Prozesse stecken: Bäume haben nichts zu vergeuden. Daher entziehen sie ihren Blättern im Herbst so viele Nährstoffe wie möglich. Sie bauen Zucker und Mineralstoffe ab und lagern sie in den Ästen, im Stamm und in den Wurzeln ein – als wichtige Reserve für das kommende Frühjahr. Auch auf das kostbare Chlorophyll wollen die Bäume keinesfalls verzichten. Dieser grüne Farbstoff in ihren Blättern ist die Voraussetzung für die Photosynthese. Er erlaubt es ihnen, die Energie des Sonnenlichts zu absorbieren und mit Wasser und dem Kohlendioxid aus der Luft in Sauerstoff und Traubenzucker zu verwandeln. Vom energiereichen Traubenzucker leben und wachsen die Bäume. Der Sauerstoff wiederum gibt uns allen die Luft zum Atmen.
Große Bühne für Carotinoide
Im Frühjahr und Sommer, wenn die Sonne stark und lang scheint und Regen sowie Gewitter den Boden feucht halten, läuft die Photosynthese auf Hochtouren. In den dunklen Jahreszeiten aber können die grünen Kraftwerke an den Zweigen einfach zu wenig produzieren und kosten die Bäume zugleich zu viel.
Also fahren die Bäume ihren Stoffwechsel herunter und beginnen auch, das Chlorophyll abzubauen und einzulagern. Nun bekommen die anderen Farbstoffe ihren großen Auftritt, die bislang durch das Grün des Chlorophylls verdeckt wurden: die sogenannten Carotinoide, denen etwa auch Karotten ihr Orange verdanken. Je nach Konzentration der Farbstoffe fallen die Blätter eher gelblich, rötlich oder bräunlich aus.
Florale Abnabelungsprozesse
Damit die Blätter überhaupt abfallen können, müssen die Bäume sich jedoch von ihnen abnabeln. Sie senden sogenannte Phytohormone zu den Blattstielen. Diese Moleküle signalisieren den Stielen: Trenngewebe bilden. Das Gewebe verkorkt, und die Blätter fallen ab. Nur wenige Laubbäume behalten ihre vertrockneten Blätter über den Winter. Dazu zählen heimische Eichenarten und auch die Hainbuche. Diese Bäume bilden kein Trenngewebe, sie verstopfen lediglich die Nährstoffbahnen zu den Blättern mit sogenannten Thyllen. Daher werden ihre letzten Blätter oft erst von den Frühjahrsstürmen von den Zweigen gepustet.
Sparsame Nadeln
Anders als die Laubbäume bleiben fast alle Nadelbäume das ganze Jahr über grün. Möglich macht das die feste Haut ihrer Blätter, die zudem mit einer dicken Wachsschicht überzogen sind. Das verringert die Verdunstung deutlich, ebenso wie die kleine Oberfläche der Nadeln, die auch dem Frost wenig Angriffsfläche bietet. Viele Nadelbäume können außerdem die winzigen Spaltöffnungen in ihren Nadeln aktiv verschließen und so die Verdunstung an sonnigen Wintertagen gezielt regulieren. Weil ihr stacheliges Blattwerk bittere Öle oder gar giftige Stoffe enthält, sind sie für potenzielle Fressfeinde schlicht ungenießbar. Die Nadeln bleiben so viele Jahre am Baum, bis sie aus Altersschwäche abfallen und durch frische ersetzt werden.
Nadel first, Laub second?
Wenn die Nadelbäume scheinbar so viel effizienter unterwegs sind, warum pflanzen wir sie nicht überall? Das hat die Forstwirtschaft ab Anfang des 19. Jahrhunderts tatsächlich gemacht und überall in Deutschland die schnell wachsenden Fichten in die Baumschule geschickt. In Zeiten des Klimawandels geht der Trend jedoch wieder zurück zum heimischen Laubbaum beziehungsweise zum Mischwald. Denn Buche oder Eiche benötigen weniger Wasser als die durstige Fichte. Mit ihren tief reichenden Pfahlwurzeln können die Laubbäume auch mehr Wasser im Boden speichern und sind besser gerüstet gegen Stürme. Gerade weil sie dieses Wasser im Sommer über ihre Blätter großzügig verdunsten, sorgen sie als biologische Klimaanlagen in erhitzten Städten für eine frischere Umgebung. Nicht zuletzt ist zu ihren Füßen deutlich mehr los als im Nadelwald, da ihr Laub von Kleinstlebewesen zu wertvollem Humus verarbeitet wird, der wiederum diverse Pflanzenarten und damit auch Tiere ernährt.
Die Mischung macht's
Die beste Option nicht nur für die Artenvielfalt sind allerdings Wälder mit verschiedenen Baumarten. Das hat ein internationales Team von Forschenden herausgefunden. Mischwälder sind nicht nur besonders robust gegen extreme Wetterlagen, die mit der Klimaerwärmung immer mehr zunehmen. Im Vergleich zu Wäldern mit einer einzigen Baumart binden sie auch fast dreimal mehr CO2, von dem wir alle zu viel in die Atmosphäre pusten. Auch im Wald gilt also: Diversität macht zukunftsfähig und außerdem alles viel bunter – nicht nur im Herbst.