29. Juni 2023
Der Hamburger Musiker Thees Uhlmann hat sie besungen, die Grizzlys in Alaska warten jedes Jahr darauf: die Wanderungen der Lachse zu ihren Laichgründen, die fast ausnahmslos mit dem Tod der fettreichen Fische enden. Aber warum schwimmen Lachse überhaupt zum Laichen und Sterben den Fluss hinauf?
Jedes Jahr im Herbst machen sich Hunderttausende Lachse auf die ganz große Reise. Die bis zu 90 Zentimeter langen und bis zu sechs Kilo schweren Rotlachse etwa schwimmen dorthin, wo sie als Jungfische hergekommen sind: von der nordamerikanischen Küste vor Alaska durch den Ozean bis zur Flussmündung und dann über Tausende Kilometer den Yukon oder den Columbia River hinauf. Auf dieser waghalsigen Tour müssen die muskulösen Schwimmer Stromschnellen überwinden und Wasserfälle hinaufspringen. Doch wie orientieren sie sich, und woher nehmen sie die Kraft? Als hochpräzises GPS dient ihnen ihr Magnetsinn – also die Fähigkeit, sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren. Unterstützt werden sie dabei von ihrem außergewöhnlichen Geruchssinn, mit dem sie den Wassergeruch ihres Heimatflusses wiedererkennen können. Und da wäre noch ihr Seitenlinienorgan, mit dessen Hilfe sie die Strömungsverhältnisse permanent prüfen und sich so den besten Weg zum Zielort bahnen. Auf der Welle ihrer Vorschwimmer surfend, sind die Fische zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Nicht nur bei Bären stehen sie als Mahlzeit hoch im Kurs, auch für Adler und andere Raubtiere sind sie ein gefundenes Fressen.
Hakennase auf Griechisch
Auf ihrem Weg durch den Fluss stellen die Lachse die Nahrungsaufnahme ein und verändern ihr Aussehen: Der blaugrüne Rücken verfärbt sich rot. Der Unterkiefer der männlichen Fische verformt sich zu einem Haken. Diesem verdanken die Pazifischen Lachse, zu denen auch der Rotlachs gehört, ihren Namen: Oncorhynchus. „Onkos“ bedeutet „Haken“ auf Griechisch, „rhynchos“ steht für die Nase. Haben die ausgehungerten Hakennasen endlich ihre Laichgebiete erreicht, graben die Weibchen mit ihren Schwanzflossen kleine Gruben in den Kies, in die sie über mehrere Tage bis zu 3.000 Eier legen. Ist das Fortpflanzungswerk getan, sterben die meisten Rotlachse an Erschöpfung. Nur bestenfalls jeder zwanzigste erreicht wieder das Meer. Die leblosen Körper ihrer Artgenossen versorgen nicht nur die Jungfische mit Nahrung, sondern sind gut für ein ganzes Ökosystem: Die Fischleiber sind reich an Stickstoffverbindungen – und über Ausscheidungen etwa von Bären gelangen diese in die Umgebung der Flüsse. Dort wachsen die Bäume bis zu dreimal schneller als anderswo.
Die Nachkommen der Lachse schlüpfen nach vier Wochen, zehren zunächst noch von ihren Dottersäcken, bis sie auf Insekten und winzige Krebstiere oder anderes Zooplankton umsteigen. Nach ein bis zwei Jahren geht es Richtung Meer, wobei sie ihren Körper in der Flussmündung nach und nach an das Salzwasser anpassen. Im Ozean verbringen sie dann zwei bis drei Jahre. Das macht sie zu anadromen Wanderfischen, die den größten Teil ihres Lebens im Salzwasser verbringen und zum Laichen ins Süßwasser schwimmen.
Das Beste zweier Welten
Aber warum tun sich die Lachse diese strapaziöse und schließlich tödliche Reise überhaupt an? Weil es sich lohnt! Die Jungfische brauchen kaltes, klares und sauerstoffreiches Flusswasser. Im Meer finden die heranwachsenden Lachse dann ein reichhaltiges Nahrungsangebot, um ordentlich Fett und Muskeln zuzulegen. Durch die Wanderung werden auch Generationskonflikte vermieden. Große und kleine Lachse können sich etwa bei der Nahrungssuche nicht ins Gehege kommen.
Lachse nutzen also das Beste aus zwei Welten. Eine Strategie, die sie mit den Aalen teilen. Die sind allerdings in die Gegenrichtung unterwegs: Sie leben im Süßwasser und steuern zum Laichen und Sterben ins Meer. Aale ebenso wie Pazifische Lachse zählen damit zu den semelparen Tieren, also den einmal gebärenden. Was nach Verschwendung klingt, folgt einer eigenen Ökonomie. Anders als Lebewesen, die sich wiederholt fortpflanzen und sich zwischen den Fortpflanzungsphasen selbst am Leben erhalten müssen, können die Lachse ihre komplette Energie in die Produktion des Nachwuchses stecken und so auf einen Schwung auch mehr Eier legen.
Rückkehr in den Rhein?
Auch hierzulande war der Lachs einst zu Hause: Der Rhein galt bis ins 20. Jahrhundert als wichtigster Lachsfluss Europas. Doch heute kommt der 1,5 Meter lange und bis zu 30 Kilo schwere Atlantische Lachs aus Schottland oder Norwegen und überwiegend aus Aquakultur auf unsere Teller. Gründe für ihr Aussterben in Deutschland sind Wasserverschmutzung, Überfischung und die Umgestaltung der Flüsse: Staustufen und Wasserkraftwerke versperren ihnen den Weg zu ihren Laichgründen.
Seit den 1980er-Jahren versucht man den Lachs wieder anzusiedeln. Man setzt Jungfische aus, renaturiert Abschnitte von Nebenflüssen des Rheins wie Wupper und Sieg, baut sogenannte Fischtreppen, also Umgehungsrinnen, über die Fische Hindernisse wie Wasserkraftwerke umschwimmen können. Und tatsächlich werden auch wieder laichende Lachse in der Elbe oder den Nebenflüssen des Rheins gesichtet – angesichts Tausender Jungfische, die jedes Jahr ausgesetzt werden, allerdings eher vereinzelt und noch in sehr überschaubarer Zahl. Bis sich selbst erhaltende Lachspopulationen im Rhein etablieren, wird es Jahrzehnte dauern. Noch laichen und sterben die Lachse hierzulande eher einsam.