MENU
Gute Frage, nächste Frage

Warum hat der Mensch sein Fell verloren?

10. Oktober 2024

Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen uns und unseren nächsten Verwandten – aber auch einige Unterschiede. Der augenfälligste: Im Vergleich zu Gorilla, Schimpanse oder Orang-Utan kommen wir ziemlich kahl auf die Welt. Aber warum haben unsere Vorfahrinnen und Vorfahren, anders als jeder andere Affe und die allermeisten Säugetiere, ihr Haarkleid abgelegt?

 

Neben einem Gorillaweibchen sehen selbst die allerhaarigsten Herren ausgesprochen nackt aus. Das liegt daran, dass menschliche Körperhaare viel dünner sind und damit weniger sichtbar. Zugleich wachsen sie deutlich spärlicher als bei anderen Primaten und noch bei den Vorgängern des Homo sapiens.

Wann und warum die Menschheit ihr Haarkleid verlor, diese Fragen beschäftigen Forschende schon geraume Zeit. Eindeutige Antworten konnten sie bis heute nicht finden. Zwar lässt sich an archäologischen Knochenfunden gut rekonstruieren, wie unsere Vorfahrinnen und Vorfahren gebaut waren und wie aufrecht sie durch ihr Leben liefen. Aber Abdrücke von Fell beziehungsweise Haut wurden noch nicht ausgegraben. Dementsprechend kann die Wissenschaft bislang nur Hypothesen aufstellen, wieso wir Menschen so haarlos sind.
 

Fellverlust gegen den Hitzestau

Eine dieser Hypothesen hat im Wesentlichen mit dem Umzug des Urmenschen in offenes Gelände zu tun: Vor rund 1,6 Millionen Jahren verließ der Homo erectus den schattigen Wald, um künftig in den heißen Savannen Afrikas als Jäger zu leben. Da er bereits deutlich mehr Schweißdrüsen besaß als seine Affen-Verwandten, konnte er beispielsweise Antilopen selbst bei molligen Temperaturen ausdauernd verfolgen, während seiner schweißdrüsenlosen Beute die Hitze zu Kopf stieg. Ganz optimiert war die Temperaturregulation mittels Schweißdrüsen damals allerdings noch nicht. Denn bei nass geschwitztem Fell konnte die Feuchtigkeit nicht direkt auf der Haut verdunsten – und das reduzierte den Kühlungseffekt. Erst als dann das Fell entfiel, konnte der kühlende Schweiß sein volles Potenzial entfalten.

 

Nachteilsausgleich für Nacktheit

Doch die neue Nacktheit hatte außerdem Nachteile: Die Haut war den gefährlichen UV-Strahlen nun stärker ausgesetzt. Und auch der Flüssigkeitsverlust über die Haut stieg. Die evolutionären Ausgleichsmaßnahmen der Urmenschen: Ihre Haut entwickelte dunkle Pigmente, um sich vor der intensiven Sonneneinstrahlung in Afrika zu schützen. Der Grund, so die Wissenschaft, warum wir anfangs alle Schwarze waren. Zusätzlich veränderte sich der Wasserhaushalt der Urmenschen und setzte auf immer größere Sparsamkeit: Laut einer Studie englischer Forschender braucht der heutige Mensch zwischen 30 und 50 Prozent weniger Flüssigkeit als Schimpanse, Gorilla und Co. – obwohl diese länger schlafen, über den Tag eine ruhigere Kugel schieben und wir mit zehnmal mehr Schweißdrüsen ausgestattet sind.
 

Gib Läusen keinen Halt

Die zweite Theorie um den menschlichen Haarverlust dreht sich um ungebetene Gäste auf unserer Haut: Demnach hat sich die Menschheit ihres Fells entledigt, um sich besser vor Läusen, Flöhen und anderen Parasiten zu schützen. Denn in einem Fell können sich diese sogenannten Außenschmarotzer viel besser einnisten als auf nackter Haut. Nun mag solches Ungeziefer auf den ersten Blick wie ein eher marginaler Grund wirken, um seinen schönen Pelz zu opfern. Aber blutsaugende Parasiten neigen dazu, schwere Krankheiten zu übertragen, und bergen für ihre unfreiwilligen Wirtinnen und Wirte daher ein großes Risiko.

 

Jagen statt lausen

Hinzu kommt: Wenn man weniger Zeit mit dem Lausen verbringen muss, hat man mehr Kapazitäten für ausgedehnte Jagdausflüge oder die Suche nach Früchten und Beeren. Wenn man ohne Fell nun aber so viel ungezieferfreier lebt, warum sind dann nicht andere Tierarten auf dieselbe Idee gekommen? Auch auf diese Frage hat die Wissenschaft eine Antwort: Die Frühmenschen hatten schlicht ein noch größeres Ungezieferproblem. Denn als sie begannen, in Gruppen zu jagen, entwickelten sie „Heimatstandorte“, zu denen sie immer wieder zurückkehrten. Und menschliche Schlafstätten sind für Parasiten ein Träumchen, bieten Lager oder Höhlen ihnen doch optimale Bedingungen, um sich zu vermehren. Ohne Fell hatten die kleinen Blutsauger allerdings weniger Grip. Als die Urmenschen dann lernten, Feuer und Kleidung zu machen, war eine flächendeckende Körperbehaarung gar nicht länger erforderlich, um kalte Nächte oder Jahreszeiten zu überstehen.
 

Resthaar schützt unsere sensibelsten Stellen

Dass wir anders als etwa die Nacktmulle dabei nicht komplett haarlos durch unsere Leben gehen, hat nach Ansicht von Forschenden unterschiedliche Gründe. Die Kopfbehaarung schirmt unser ebenso kostbares wie empfindliches Gehirn vor Hitze, Kälte und Hautverletzungen ab. Das Schamhaar wiederum dürfte Biologinnen und Biologen zufolge unsere ebenfalls sehr sensiblen Genitalien schützen und sie zugleich für potenzielle Paarungspartnerinnen und -partner optisch hervorheben. Außerdem verstärkt es die Wirkung der Pheromone – Sexualduftstoffe, die auch wir Menschen noch in kleiner Dosis produzieren und die sich im Haar einfach besser und länger halten als auf nackter Haut.

Die verbliebenen Körperhaare auf Armen und Beinen hat die Evolution jedoch nicht einfach nur übersehen. Sie erfüllen ebenfalls eine Funktion, wie Forschende der Universität Sheffield in Großbritannien herausgefunden haben. In ihrem Experiment setzten sie Bettwanzen auf einen rasierten und einen behaarten Arm ihrer Probandinnen und Probanden. Und siehe da: Die Wanzen brauchten auf dem haarigen Arm länger, um zum Biss anzusetzen. Und ihr Gekrabbel wurde von ihren menschlichen Wirtinnen und Wirten auf der haarigeren Seite auch früher erkannt.

Ein wenig Resthaar ist also offenbar eine sinnvolle Sache – zumindest, wenn man auf das körpereigene Frühwarnsystem gegen Bettwanzen und andere blutsaugende Krabbeltiere nicht verzichten will.
 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore