30. Januar 2025
433 Kilogramm Haushaltsmüll produzierte 2023 jede und jeder Deutsche im Schnitt. Das entspricht dem Gewicht von vier Mastschweinen. Seit der Mensch sich in Gruppen zu mehreren zusammengeschlossen hat, erzeugt er Abfall in größerem Umfang – der aber seit vielen Jahrhunderten vor allem ihm selbst zu schaffen macht. Wie und wann Müll zum globalen Problem wurde, das erzählen wir in unserer kurzen Geschichte des Abfalls.
Am Anfang war der Abfall. Immer schon haben Menschen Dinge weggeworfen, zunächst aber noch in sehr überschaubarem Maße. Denn erlegte Tiere werden von den Frühmenschen so gut wie komplett verwendet: Mit ihren Sehnen bespannt man Bögen, aus ihren Knochen lassen sich Werkzeuge, Schmuckstücke oder Flöten schnitzen. Und auch für abgestumpfte Feuersteinmesser oder andere abgenutzte Werkzeuge wird in der frühmenschlichen Kreislaufwirtschaft möglichst oft und möglichst lange eine neue Verwendung gesucht und gefunden. Erst wenn sie sich überhaupt nicht mehr nutzen lassen, wirft man sie schließlich weg. Meist dahin, wo man sich ohnehin aufhält.
Urbanität und Unrat
Das Prinzip „Tritt sich fest“ funktioniert, so lange Menschen nomadisch von Ort zu Ort ziehen. Aber als unsere Ahnen sesshaft werden, wird Abfall zu einem Problem, um das man sich kümmern muss. In kleineren Siedlungen oder Dörfern kann man Essensreste an Tiere verfüttern und die Felder mit dem düngen, was diese und man selbst so produziert. Doch je mehr Menschen in Städten dicht aneinander leben, desto mehr Dreck fällt an, den man irgendwie wegorganisieren muss.
Öffentliche Örtlichkeiten
Im alten Rom fällt es in den Aufgabenbereich der sogenannten Ädilen, den Zustand von Plätzen und Straßen zu kontrollieren und Hausbesitzende, die die Reinigung ihrer Straßenfront „vergessen“ haben, an ihre Pflichten zu erinnern. Abfall und Unrat der Millionenstadt werden über ein teilweise überdachtes Kanalsystem in den Tiber geleitet.
Wen auf seinen täglichen Wegen ein allzu menschliches Bedürfnis überkommt, der besucht für kleines Geld eine öffentliche Toilette. Privatsphäre hat in den Großraumklos mit ihren bis zu 80 Sitzplätzen nicht unbedingt Priorität, dafür verfügen viele bereits über eine Wasserspülung: Das gebrauchte Wasser von Badehäusern, an die viele der Bedürfnisanstalten angeschlossen sind, schafft die menschlichen Hinterlassenschaften über die Abwasserkanäle aus der Stadt.
© Adobe StockÖffentliche Toiletten, auch Latrinen genannt: Im alten Rom schuf man Lösungen für die Bewohnerinnen und Bewohner und ihre menschlichen Hinterlassenschaften.
© Adobe StockFrühmenschlichem Werkzeug liegt die Überzeugung und Not zugrunde, alles vom Tier zu verwenden – entsprechend kaum Müll gab es.
Einwegamphoren auf den Scherbenberg
Das Wasser für diese Badehäuser und die öffentlichen Brunnen wird über Aquädukte in die Weltstadt geleitet. Um ihre Bewohnerinnen und Bewohner zu versorgen, müssen aber auch Waren und Lebensmittel tagtäglich von nah und oft von fern herangeschafft und dazu sicher verpackt werden. Als Transportverpackung für viele Fälle hat sich die Amphore durchgesetzt. Denn die großen Tonkrüge lassen sich günstig herstellen und gut auf den jeweiligen Einsatzzweck hin formen.
Ist der Inhalt der Amphoren aufgebraucht, wird das Leergut nicht an die Lieferantinnen und Lieferanten zurückgeschickt. Das rechnet sich für die Händlerinnen und Händler nicht: Getreide- oder Weinamphoren werden als Vorratsgefäße wiederverwendet, andere Amphoren zerschlagen und im Straßen- und Hausbau verarbeitet. Insbesondere die keramischen Container für Olivenöl werden grundsätzlich nach einmaligem Gebrauch zerstört und als Abfall entsorgt. Denn das Olivenöl sickert in den Ton ein, verdirbt und fängt an zu müffeln.
Die Scherben der wahrscheinlich ersten Einwegverpackung der Menschheitsgeschichte schafft man in eine Senke nahe dem Tiberufer. Über die Jahre wächst dort ein 50 Meter hoher Hügel mit einem Umfang von einem Kilometer, den Archäologinnen und Archäologen später Monte Testaccio, den Scherbenberg, nennen.
Miefendes Mittelalter und lohnende Lumpen
Als das Römische Reich untergeht, gehen auch viele seiner zivilisatorischen Errungenschaften verschütt: Aquädukte und Abwasserkanäle verfallen beziehungsweise werden in neuen Städten gar nicht erst gebaut. Abfall und Fäkalien kippt man in Flüsse, Gruben oder einfach aus dem Fenster, wo sich teils frei laufende Schweine über sie hermachen, die aber ihrerseits Dreck produzieren.
Nach und nach macht sich bei der Obrigkeit die Vermutung breit, dass mit Dreck und Gestank auch die Wahrscheinlichkeit für Seuchen steigt. Diverse Kommunen verbieten ihren Bürgerinnen und Bürgern die Abfallentsorgung auf der Straße und versuchen sie zur gelegentlichen Reinigung derselben zu verdonnern – mit meist mäßigem Erfolg. Auch deshalb führt Breslau bereits 1559 den Prototyp einer städtischen Müllabfuhr ein.
Die sammelt zunächst vor allem Essensreste oder Ausscheidungen ein. Denn Materialien wie Metall oder Stoff sind viel zu wertvoll, um einfach weggeworfen zu werden. Aus altem Eisen lassen sich neue Nägel, aus Stoffresten neue Kleider machen. Erst wenn Klamotten völlig verschlissen sind, überlässt man sie den Lumpensammlerinnen und -sammlern. Die verkaufen die Lumpen an Papiermühlen. Ein durchaus einträgliches Geschäft, schließlich sind Stofffasern jahrhundertelang der einzige Rohstoff, um Papier zu machen. Das ändert sich erst im 19. Jahrhundert mit der Entwicklung der maschinellen Papierproduktion aus Holz.
Comeback der Kanalisation
Die industrielle Revolution bringt nicht nur Lumpensammlerinnen und -sammler um ihre lukrativste Einnahmequelle – sie verändert die Gesellschaften drastisch, und das in kürzester Zeit. Immer mehr Menschen strömen in die Städte. Und mit den Bevölkerungszahlen explodiert auch das Abfallproblem: Krankheiten wie Typhus, Ruhr und Cholera kosten Tausende Menschenleben. London beschließt daher 1858 den Bau einer modernen Kanalisation. Das größte zivile Bauprojekt des 19. Jahrhunderts wird zum Vorbild für andere europäische Metropolen, die neben eigenen Abwasser- auch erste Müllabfuhrsysteme auf den Weg bringen.
Plastik eröffnet neue Chancen
Gestützt auf die neuen technischen Möglichkeiten der Industrialisierung, versuchen sich immer mehr Tüftlerinnen und Tüftler daran, teure Naturmaterialien durch künstlich erzeugte Stoffe zu ersetzen. 1869 bekommt John Wesley Hyatt ein Patent auf Zelluloid, das als erschwinglicher Ersatz für Elfenbein bei Schmuck und Kämmen populär wird. 1907 erfindet Leo Baekeland mit dem Bakelit den ersten massenhaft produzierten synthetischen Kunststoff, der zu Radios, Telefongehäusen oder Lichtschaltern geformt wird.
Mit der Rohstoffknappheit im Zweiten Weltkrieg intensiviert sich die Forschung an günstigen Surrogaten aus Kunststoffen: Ab Mitte der 1930er-Jahre wird Polyvinylchlorid, kurz PVC, in industriellem Maßstab produziert, ab 1939 dann Polyethylen – heute der häufigste Kunststoff der Welt.
Die große Stunde des Plastiks schlägt ab den 1950er-Jahren. Kunststoffe sind billig, leicht und robust, sie lassen sich in alle möglichen Formen gießen oder pressen und halten so in immer mehr Haushalten Einzug. Statt bei Tante Emma Lebensmittel in mitgebrachten Gefäßen oder Zeitungspapier nach Hause zu transportieren, kauft man Waren zunehmend eingepackt in Supermärkten. Die Verpackungen halten die Lebensmittel länger frisch und werden anschließend weggeworfen – mühevolles Reinigen entfällt. Eine echte Entlastung für die Hausfrau. Dass die beispiellose Haltbarkeit des Plastiks auch ein Nachteil ist, macht sich erst im Laufe der nächsten Jahrzehnte bemerkbar.
Wirtschaftswunder und Müllwildwuchs
Mit den industriellen Fertigungsmethoden werden auch andere Produkte billiger und überhaupt erst verfügbar. Und durch das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit können sich mehr Menschen mehr Dinge leisten als jemals zuvor. Die Abfallmengen steigen und steigen. Mülldeponien wachsen um die Städte. Seit den 1890er-Jahren sind auch erste Müllverbrennungsanlagen in Deutschland in Betrieb. Insbesondere in Ballungsgebieten, wo der Platz für Deponien begrenzt ist.
Allzu oft entsorgen Menschen ihren Abfall aber noch einfach in der Natur. An Straßenböschungen, in Kiesgruben oder Wäldern wuchern wilde Müllkippen, auf denen Hausmüll, Kühlschränke, Industrieabfälle, Altöl und auch mal Autos abgeladen werden – deren austretende Stoffe Erdreich und Grundwasser verseuchen.
Mit dem Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 versucht die Politik dem Wildwuchs Einhalt zu gebieten. Müll muss nun auf zentralen, umzäunten Müllkippen gelagert werden. Doch die Anforderungen an diese Deponien sind noch überschaubar. Erst nach und nach entwickeln sich Methoden und Standards, um sie so abzudichten, dass ihre Schadstoffe nicht die Umgebung vergiften können.
© Adobe StockBillig, leicht, robust: Nach 1050 wird Plastik immer populärer – mit weitreichenden Folgen, die heute noch spürbar sind.
© Adobe StockMehr Wirtschaftskraft, mehr Einkäufe. Und schon wuchsen in der Nachkriegszeit auch die Müllberge. Oft wurden Abfälle sorglos entsorgt.
Die Wiederentdeckung der Wiederverwertung
Mit der Umweltbewegung und den Ölpreiskrisen wächst das Bewusstsein für das Müllproblem ebenso wie für die Begrenztheit natürlicher Ressourcen. Und damit die Erkenntnis, dass auch im Abfall noch wertvolle Rohstoffe stecken. Hannover stellt 1974 als erste Stadt der BRD einen Altglascontainer auf – und legt so hierzulande den Grundstein für die Mülltrennung. Ab 1984 folgen dann erste Altpapiercontainer in bundesdeutschen Kommunen. Im selben Jahr stellt eine studentische Initiative in Würzburg die ersten Biotonnen auf.
Und was ist mit dem allgegenwärtigen Plastik? Mit der deutschen Verpackungsverordnung von 1991 nimmt die Politik erstmals die Hersteller in die Pflicht: Diese müssen Verpackungen fortan zurücknehmen und sich selbst um Entsorgung oder Recycling kümmern – die Geburtsstunde des Grünen Punkts.
Mittlerweile werden hierzulande 51 Prozent des Plastikverpackungsmülls recycelt. 2022 lag Deutschland damit zwar über dem EU-Durchschnitt von 41 Prozent, aber nur auf einem soliden fünften Platz. Also noch viel Luft nach oben – zumal die Plastikmüllmengen in den letzten zehn Jahren auch EU-weit stärker gestiegen sind als der Recyclinganteil.
Plastikfresser auf dem Prüfstand
Plastik bleibt ein globales Problem: 3,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen wurden 2019 durch Kunststoffe verursacht, Abermillionen Tonnen Plastik landen Jahr für Jahr in Böden, Flüssen und Meeren.
Zwar experimentieren Forschende weltweit mit speziellen Bakterien, die sich über Plastik hermachen. Aber in welchem Umfang uns die Mikroorganismen bei unserer Müllproblematik behilflich sein können, ist noch längst nicht abzusehen.
Neben immer konsequenterem Recycling bleibt daher in erster Linie nur: weniger Müll machen. Eine Entwicklung, die die EU durch immer höhere Recyclingquoten, durch das Verbot von Einwegplastik und das „Recht auf Reparatur“ anschieben will.
© Adobe StockMülltrennung wird in Deutschland erst nach 1974 praktiziert. Ab 1984 werden die ersten Altpapiercontainer aufgestellt.
© Adobe StockIn der EU steigen die Recyclingquoten konsequent – letztendlich gilt jedoch für Verbrauchende, möglichst immer weniger Müll zu produzieren.