6. April 2023
Wie wird ein Fahrzeug möglichst windschnittig? Diese Frage wird in Zeiten der E-Mobilität immer wichtiger. Denn je geringer der Luftwiderstand, desto weniger Energie benötigt der Wagen. Mit welchen Mitteln und Methoden man Autos aerodynamisch machen kann.
Welche Rolle der Luftwiderstand für den Kraftstoffverbrauch spielt
Um voranzukommen, muss ein Fahrzeug diverse Widerstände überwinden: Während bei geringen Geschwindigkeiten der Rollwiderstand, der maßgeblich durch das Gewicht des Fahrzeugs bestimmt wird, die größte Rolle spielt, wird circa ab Tempo 70 der Luftwiderstand zum entscheidenden Faktor. Dieser ergibt sich einerseits aus dem sogenannten Luftwiderstandsbeiwert, kurz cw-Wert: Der besagt, wie windschlüpfig das Auto ist. Zweiter Faktor ist die Stirnfläche des Fahrzeugs – also alles, was man sieht, wenn man frontal vor einem Auto steht. „Wenn ein Fahrzeug einen optimalen cw-Wert, aber zugleich eine riesige Stirnfläche hat, habe ich vergleichsweise wenig gewonnen“, sagt Jan Hammer vom Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) von TÜV NORD Mobilität. Das ist der Grund dafür, warum hohe und breite Fahrzeuge wie SUVs trotz teils gutem cw-Wert viel Energie verbrauchen. Besonders bei hohem Tempo: „Die Geschwindigkeit geht quadratisch in den Luftwiderstand ein. Je höher die Geschwindigkeit, desto exponentiell größer ist also der Luftwiderstand“, erklärt Hammer. Die Folge: Der Kraftstoffverbrauch steigt überproportional. Nach Berechnungen des ADAC verbraucht ein Mittelklasseauto bis zu zwei Drittel mehr Kraftstoff, wenn es statt mit 100 Stundenkilometern mit Tempo 160 über die Autobahn fährt. Aerodynamisch optimierte Fahrzeuge können also vor allem bei steigender Geschwindigkeit ihre Vorteile ausspielen.
Welche Faktoren bei der Aerodynamik zusammenspielen
"Aerodynamisch gesehen ist eine Tropfenform das Optimum", sagt Jan Hammer. Also möglichst glatte Oberflächen, vorne rund und hinten spitz zulaufend. "Es geht immer darum, die Luftströme über und unter dem Fahrzeug kontrolliert zu leiten und in einem engen und definierten Bereich wieder zusammenzuführen. Und das geht mit der Tropfenform besonders gut", ergänzt Hammers Kollege Johannes Werkman. So lassen sich unerwünschte Verwirbelungen bestmöglich vermeiden, und der Unterdruck, den die Luft hinter dem Fahrzeug erzeugt, wird minimiert. Denn dieser saugt das Auto nach hinten und muss durch einen entsprechenden Energieaufwand überwunden werden. Je dichter die Abrisskanten der Luftströme über und unter dem Fahrzeug beieinanderliegen, desto besser. Deshalb ist etwa eine Fließhecklimousine windschnittiger als ein Kombi, selbst wenn beide die gleiche Stirnfläche haben.
Der Tropfen als Vorbild
Tüftlerinnen und Tüftler sowie Autobauer haben schon früh mit der Tropfenform experimentiert. Mit dem Hochlauf des E-Autos hat die Form wieder deutlich an Popularität gewonnen. Mercedes orientiert sich mit seinem Elektromodell EQS an der Form eines halben Tropfens und bringt es so auf einen cw-Wert von 0,2 – ein Spitzenwert für ein Serienfahrzeug. Der Solarstromer Lightyear 0 eines niederländischen Start-ups kommt sogar auf einen cw-Wert von 0,175; anders als der Mercedes wurde er aber nur kurzzeitig und in Kleinserie produziert. Wie viel über die Form und andere aerodynamische Optimierungen herauszuholen ist, zeigt Hyundais neuer Ioniq 6. Die elektrische Limousine kommt mit ihrer tropfenförmigen Karosserie auf eine offizielle WLTP-Reichweite von über 600 Kilometern. Und damit über 100 Kilometer weiter als ihr kantigeres Markengeschwister Ioniq 5, das mit derselben Batterie unterwegs ist.
Warum sich E-Autos für aerodynamische Optimierungen anbieten
Natürlich will nicht jede und jeder eine Limousine fahren. Aber auch über die Form hinaus gibt es viele Stellschrauben, an denen Aerodynamikerinnen und Aerodynamiker drehen können, und hier ist bei Elektrofahrzeugen grundsätzlich mehr Luft nach oben als bei Benzinern oder Diesel. Die Abgasanlage unterm Fahrzeugboden entfällt etwa komplett. „Und ein glatter und geschlossener Unterboden bietet der Luft natürlich deutlich weniger Angriffsfläche“, sagt Johannes Werkman. „Außerdem benötigen reine Batteriefahrzeuge weniger Kühlung – für den Motor ebenso wie für die Bremsen.“ Statt einem offenen Kühlergrill haben E-Fahrzeuge daher zumeist sogenannte Kühlerjalousien, die nur bei Bedarf geöffnet werden. „Das kommt natürlich dem cw-Wert zugute“, so Werkman. Einige Hersteller arbeiten außerdem mit großen Kühlluftöffnungen an den Frontseiten. Auf diese Weise wird der Luftstrom gebündelt und quasi als schützender Vorhang über die rotierenden Vorderräder geleitet, was Verwirbelungen reduziert und so die Reichweite erhöht.
Zur Person
Johannes Werkman ist der Teamleiter innerhalb des Fachgebiets Powertrain/Emissions verantwortlich für Themen rund um die Pkw-Typprüfung. Bei seiner Arbeit leitet der studierte Maschinenbauingenieur auch Messungen im Windkanal.
Kühlere Bremsen
Weil E-Fahrzeuge auch über die elektrische Maschine wesentlich stärker als ein Verbrenner verzögern und dabei elektrische Energie zurückgewinnen können, werden die hydraulischen Bremsen weniger gefordert als beim Verbrenner und damit weniger heiß. „Dadurch kann man deutlich dichtere Radkappen verwenden, wodurch auch weniger Luftverwirbelungen an den Rädern entstehen“, sagt Jan Hammer. Darüber hinaus versuchen die Hersteller über weitere Detailverbesserungen aerodynamisch immer mehr herauszuholen. Von windschlüpfigeren Reifen über Aerodynamiktunnel an Dachkantenspoilern, um Luftströme gezielt zu leiten, bis zu versenkbaren Türgriffen und Kameras statt Außenspiegeln. Die bietet etwa Audi optional für seinen e-tron an, wodurch der cw-Wert von 0,28 auf 0,27 sinken soll. Insgesamt habe man über die aerodynamische Maßnahme zu einem vergleichbaren Verbrenner 35 Kilometer Reichweite gewonnen. Um dasselbe Reichweitenplus durch eine Gewichtsreduzierung zu erzielen, hätte man über eine halbe Tonne einsparen müssen, so der Autobauer.
Zur Person
Dr. Jan Hammer ist Leiter des Fachgebiets Powertrain/Emissions am Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) von TÜV NORD Mobilität.
Wie es mit der Windschnittigkeit weitergeht
„Grundsätzlich geht es auch bei der Aerodynamik immer um eine Kosten-Nutzen-Frage“, sagt Jan Hammer von TÜV NORD Mobilität. Aerodynamische Optimierungen kosten Geld und Entwicklungszeit, weshalb Autobauer bei hochpreisigen Autos besonders viel investieren, um die letzten Prozentpunkte herauszuholen und ihren Kundinnen und Kunden eine maximale Reichweite anbieten zu können. So kommt beispielsweise der Kleinwagen Renault Zoe, über Jahre das meistverkaufte E-Auto in Deutschland, auf einen höheren Luftwiderstand als das aerodynamisch optimierte SUV Tesla Model Y. Da der kleine Franzose gut eine halbe Tonne leichter ist, verbraucht er trotzdem etwas weniger als das kalifornische Stromauto, das aktuell die E-Verkaufscharts in Deutschland anführt. Grundsätzlich gilt: Fließhecklimousinen sind zwar aerodynamisch näher am Optimum, verlieren aber Platz im Kofferraum und sind deshalb weniger als Familienvehikel geeignet. „Das windschnittigste Fahrzeug muss daher nicht immer auf den eigenen Einsatzzweck passen“, sagt Jan Hammer. Mittelfristig könnten weiterentwickelte Batterietechnologien, immer höhere Ladegeschwindigkeiten und effizientere Antriebe die Bedeutung der Aerodynamik wieder etwas verringern, so der Experte von TÜV NORD. Bis es so weit ist, werden Hersteller weiter an aerodynamischen Optimierungen tüfteln. VW etwa hat aktuell durch einige Anpassungen den cw-Wert seines elektrischen Kompaktwagens ID.3 um einige Nachkommastellen verbessert. Für dieses Jahr haben die Wolfsburger einen windschnittigen Elektrokombi angekündigt, der über 600 Kilometer Reichweite erzielen soll. Der ursprüngliche Name des Konzepts: „ID. Aero“.