27. März 2025
Jeder Betrieb, der Lebensmittel verarbeitet, muss unter seinen Mitarbeitenden eine Lebensmittelsicherheitskultur etablieren und fördern – so hat es die EU festgelegt. Doch was versteht man überhaupt unter Food Safety Culture, wie sensibilisiert man Mitarbeitende dafür, und was hat sich hier in den letzten Jahrzehnten getan? Darüber haben wir mit Oliver Eck gesprochen, Experte für Lebensmittelsicherheit bei TÜV NORD.
Herr Eck, der Begriff „Lebensmittelsicherheitskultur“ ist sehr sperrig. Was versteht man gemeinhin darunter?
Oliver Eck: Bei der Lebensmittelsicherheitskultur geht es darum, das Bewusstsein der Mitarbeitenden dafür zu stärken, wie elementar die Produktion sicherer Lebensmittel ist. Aber auch dafür, wo in den Arbeitsabläufen Risiken entstehen können und wie sich diese beherrschen lassen. Denn – so überraschend es klingen mag – vielen Mitarbeitenden ist schlicht nicht vollumfänglich bewusst, dass Fehler oder Nachlässigkeiten in der Produktion im schlimmsten Fall zu Lebensmittelvergiftungen führen können. Und dass also sowohl die Verbrauchenden als auch der eigene Betrieb und der Arbeitsplatz gefährdet sind.
Womit hängt dieses mangelnde Bewusstsein zusammen?
Der Ausbildungshintergrund ist mit Sicherheit ein wichtiger Aspekt: In einem Unternehmen, das hauptsächlich Personal mit einer Ausbildung im Lebensmittelbereich beschäftigt, ist die Lebensmittelsicherheitskultur eher eine Selbstverständlichkeit. Anders in großen Betrieben, mit vielen ungelernten oder angelernten Mitarbeitenden, die zudem oft kaum oder gar nicht Deutsch sprechen. Die Sprachkompetenz und der Ausbildungsstand der Mitarbeitenden sind daher auch etwas, das bei der Etablierung der Lebensmittelsicherheitskultur zu beachten ist: Ein mit Fachbegriffen und Abkürzungen gespickter Aushang in Behördensprache dürfte hier in den seltensten Fällen zielführend sein.
Die EU hat mit der Ergänzung der Hygieneverordnung die Lebensmittelsicherheitskultur verpflichtend gemacht. Was bedeutet das für die Unternehmen?
Jedes Unternehmen muss gemäß der EU-Verordnung eine Lebensmittelkultur unter seinen Mitarbeitenden etablieren und deren Wirksamkeit überprüfen. Bei der Umsetzung sind dabei Art und Größe des Unternehmens zu berücksichtigen. Für den internationalen Konzern mit Tausenden Mitarbeitenden gelten also umfangreichere Anforderungen in der Prüfung als für den kleinen Döner-Imbiss an der Ecke. Die Verordnung legt außerdem fest, dass die Lebensmittelsicherheitskultur eine Führungsaufgabe ist, die Unternehmensleitung kann die Verantwortung dafür also nicht nach unten delegieren.
Wie wirksam sie im Unternehmen etabliert wurde, soll im Rahmen von Audits unter anderem durch die Befragung der Mitarbeitenden überprüft werden, wie die EU in einer Bekanntmachung zu der Verordnung ausgeführt hat. Die privaten Lebensmittelsicherheitsstandards, die die Lebensmittelsicherheitskultur bereits vor dem Gesetzgeber in ihren Anforderungskatalogen verankert hatte, gehen hier noch einen Schritt weiter. Sie fordern etwa konkrete Pläne für die Umsetzung: Das jeweilige Unternehmen muss darlegen, was genau es im nächsten Jahr plant, wie das umgesetzt werden soll und wie der Erfolg gemessen wird. Diese Pläne werden mindestens einmal im Jahr überprüft und müssen gegebenenfalls angepasst werden.
© Adobe StockAlles rein bei den Zitronen? Für jeden Bereich der Lebensmittelverarbeitung gibt es mikrobiologische Kriterien, die erfüllt werden müssen.
© Adobe StockIm Bereich Lebensmittelsicherheit wurden Gesetze und Regularien in der Vergangenheit immer wieder verschärft. Unangekündigte Audits sind verpflichtend.
Wie können Mitarbeitende denn für Lebensmittelsicherheit sensibilisiert werden?
Das können Schulungen zu speziellen Aspekten der Lebensmittelhygiene sein oder auch ein Tutorial-Video in der Kantine, wo sich ja alle Mitarbeitenden über den Tag aufhalten. Sinnvoll sind auch Maßnahmen im direkten Arbeitsumfeld der Mitarbeitenden, etwa sogenannte Fremdkörper-Hunting-Days. Die Mitarbeitenden gehen dabei durch den Produktionsbereich, um Risiken für Fremdkörperkontaminationen zu identifizieren: Gibt es etwa lose Schrauben oder eingerissene Plastikflächen, von denen Splitter ins Produkt gelangen können? Die Lebensmittelsicherheitskultur steht und fällt dabei mit einer gelebten Fehlerkultur: Wenn Mitarbeitende etwa aus Angst verschweigen, dass Ware auf den Boden gefallen ist, kann das die Verbrauchenden und das Unternehmen schädigen. Den Arbeitskräften muss daher klar und glaubwürdig vermittelt werden, dass sie keine Sanktionen fürchten müssen, wenn sie Missgeschicke, Fehler oder Probleme melden.
Wie lässt sich überprüfen, ob Lebensmittelsicherheitskultur tatsächlich gelebt wird?
Wenn ich als Auditor in einem Unternehmen bin, erkenne ich das oft schon am Umgangston. Fallen Vorgesetzte ihren Mitarbeitenden ständig ins Wort oder verbieten ihnen sogar den Mund, ist das sicher nicht der Fall. Darüber hinaus gibt es natürlich harte Fakten, etwa die Reklamationsquote und die Zahl der Beschwerden, die Aufschluss zum Stand der Lebensmittelsicherheitskultur in diesem Unternehmen geben.
Was hat sich bei der Lebensmittelsicherheit in den letzten Jahrzehnten getan?
Gesetze und Regularien wurden über die Jahre immer weiter verschärft und verfeinert. Mittlerweile wurden eigentlich für jeden Bereich mikrobiologische Kriterien festgelegt, die die jeweiligen Lebensmittel erfüllen müssen. Und da die Analysemethoden immer genauer werden, können wir das auch immer besser kontrollieren. Das gilt nicht nur für potenziell gesundheitsgefährdende Stoffe wie Pestizidrückstände in Getreiden oder Gewürzen, sondern auch für Lebensmittelbetrug: Der Pferdefleischskandal von 2013 etwa wäre ohne moderne Analysemethoden wohl gar nicht aufgedeckt worden. Und insbesondere auch die privaten Lebensmittelstandards haben ihre Anforderungen immer weiter verschärft und ausgeweitet und beispielsweise unangekündigte Audits verpflichtend gemacht.
Und wie läuft so ein Audit ab?
Bei einem unangekündigten Audit muss uns das Unternehmen innerhalb von 30 Minuten Zutritt zum Produktionsbereich gewähren. Dort machen wir in der Regel zunächst einen Schnelldurchlauf, angefangen mit den Hochrisikobereichen, in denen Hygiene und Sauberkeit ganz besonders wichtig sind. Beispielsweise bei einem Kartoffelbreihersteller wäre das die Station, an der der Kartoffelbrei mit der Milch abgefüllt wird; bei einem Wurstproduzenten der Bereich, in dem die Wurst geschnitten wird. Anschließend startet dann der eigentliche Audit, bei dem wir den gesamten Prozessablauf durchgehen: von der Warenannahme über die Lagerhaltung, die Produktion und die Endprüfung bis zum Versand. Außerdem ziehen wir uns zwei bis drei Rückstellproben der hergestellten Produkte für einen Rückverfolgbarkeitstest. Und wir befragen die Mitarbeitenden an den Maschinen: Was machen sie, wenn ihnen etwas in der Produktion auffällt? Wie reagieren ihre Vorgesetzten, wenn sie Probleme melden oder ein Fehler passiert? Anhand der Antworten bekommen wir bereits ein gutes Bild, ob der Plan, den sich das Unternehmen zur Lebensmittelsicherheitskultur gegeben hat, aufgeht oder ob Nachbesserungsbedarf besteht.
Oliver Eck ist Leiter der international aufgestellten Business Entity Food und Mitglied der Geschäftsführung von TÜV NORD Austria. Der studierte Ernährungswissenschaftler ist außerdem leitender Auditor für die gängigen Lebensmittelsicherheitsstandards.