12. Dezember 2024
Pro Minute holen wir bis zu 18-mal Luft – Babys sogar bis zu 40-mal. Dabei atmen wir je nach Umgebung nicht immer Substanzen ein, die gut für uns sind: Bodenbeläge, Spanplatten oder Teppiche älterer Gebäude können gesundheitsschädliche Stoffe ausdünsten. Lars Martin und sein Team von TÜV NORD Umweltschutz ermitteln, was da in der Luft liegt.
Meist ist es irgendein Geruch: Es riecht chemisch, muffig oder schlicht eigenartig in den Räumen. Oder jemand klagt über ständige Kopfschmerzen oder Konzentrationsstörungen. Das sind häufig die Gründe, warum Lars Martin und seine Kolleginnen und Kollegen von TÜV NORD Umweltschutz für eine Raumluftanalyse gerufen werden.
In einer Schule im Landkreis Nienburg beispielsweise roch es in einem Klassenzimmer stark chemisch, aber es war nicht klar, woher der Geruch kam. Lars Martin machte ein sogenanntes VOC-Screening auf flüchtige organische Substanzen. Dazu leitete er eine definierte Luftmenge mittels Pumpen über spezielle Gele, die die Substanzen in der Raumluft quasi aufsaugen. Anschließend ging es ins Labor, in dem die Proben mittels gängiger Analyseverfahren untersucht wurden.
Ursachensuche unterm Estrich
50 bis 60 unterschiedliche Substanzen werden üblicherweise über ein solches VOC-Screening erfasst. Und tatsächlich: Drei Substanzen in der Raumluft des Klassenzimmers lagen deutlich über den Richtwerten des Umweltbundesamtes – der Raum durfte nicht mehr genutzt werden.
Daraufhin ging die Suche nach der Ursache los. Bänke und Stühle wurden herausgeräumt, dann wurde der Bodenbelag entfernt, und bei jedem Schritt wurden neue Messungen gemacht. Die Messergebnisse besserten sich erst, als auch der Estrich herausgerissen war. „Es stellte sich heraus, dass ein großer Behälter Putzmittel umgefallen und dieses über Ritzen im Bodenbelag in den Estrich eingezogen war. So dünsteten die Chemikalien weiter aus, selbst als die sichtbare Pfütze schon lange entfernt worden war“, erzählt Umweltwissenschaftler Lars Martin.
Penetrante Chloranisole
Neben solchen gesundheitsschädlichen Dämpfen gibt es auch Gerüche, in und mit denen man schlicht nicht leben möchte. Wenn es in einem alten Fertighaus penetrant süßlich-muffig riecht, schwant den TÜV NORD-Fachleuten schon: Grund dafür sind höchstwahrscheinlich Chloranisole. Diese chemischen Substanzen entstehen nach einem Feuchteschaden durch den mikrobiellen Abbau des Holzschutzmittels PCP. Selbst wenn sich die eigene Nase mit der Zeit an ihren unvergleichlich unangenehmen Geruch gewöhnt, kann dieser dazu führen, dass einen die eigenen Freundinnen oder Kollegen nicht mehr riechen mögen. Denn der Geruch bleibt hartnäckig in Haaren und Kleidung der Hausbewohnerinnen und -bewohner hängen. „Und da Chloranisole nicht wasserlöslich sind, bekommt man ihn auch kaum ab- oder ausgewaschen“, erklärt Martin.
Um die Chloranisole quasi auszusperren, werden bei einer Geruchssanierung die Wände aller Innenräume mit einer Aluminiumfolie oder einem Absorbervlies verkleidet. Weil die Chloranisole aber bereits in geringer Konzentration sehr stark riechen, darf diese Schutzfolie in keinem Fall etwa durch Bohrungen durchlöchert werden. Deshalb wird oft eine weitere Wandebene vorgebaut, in der Steckdosen installiert und an der Bilder aufgehängt werden können, ohne den Chloranisolen einen Durchschlupf zu lassen. „Das ist aufwendig und kostspielig. Es gibt daher auch immer wieder Fälle, in denen sich Hausbesitzerinnen und -besitzer für einen Abriss und anschließenden Neubau entscheiden“, sagt Martin.
Bestandsaufnahme von Problemmaterialien
Neben den Raumluftmessungen erstellen der Umweltwissenschaftler und seine Kolleginnen und Kollegen auch Schadstoffkataster von Gebäuden. Sprich: Sie ermitteln systematisch, welche Schadstoffe in welcher Menge in Büros oder Privathäusern stecken und welche Gefahr von ihnen ausgeht – wenn etwa eine Sanierung, ein Umbau oder ein Abriss ansteht. Mittlerweile fordern aber auch viele Banken ein Schadstoffkataster für die Finanzierung eines Hauskaufs. Denn ein großer Sanierungsbedarf kann den Wert der Immobilie drastisch verringern.
Bestenfalls erhalten die Fachleute zunächst Bau- und Sanierungspläne, die ihnen bereits einen ersten Aufschluss über die verwendeten Materialien geben können. Bei einer Ortsbegehung nehmen sie das Gebäude dann ausführlich in Augenschein und entnehmen Proben aus Böden und Wänden, die anschließend im Labor ausgewertet werden. Gestützt auf ihre Erfahrung können sie aber schon bei der Begehung und Sichtprüfung verdächtige Materialien teilweise identifizieren. „Bei bestimmten Dachplatten wie der ‚Berliner Welle‘ wurde bis Ende der 1980er-Jahre zumeist Asbest verwendet“, sagt Martin. Auch bei Nachtspeicheröfen oder bei grauen Bodenbelägen, den sogenannten Floor-Flex-Platten, und deren Klebern, wie sie sich oft in älteren Schulen oder Bürogebäuden finden, weiß der Experte: Hier ist mit großer Wahrscheinlichkeit Asbest im Spiel.
© TÜV NORD GROUPFühler fürs Raumklima: Bei jeder Raumluftmessung werden auch Luftfeuchte, Temperatur und Luftdruck über ein Klimagerät erfasst.
© TÜV NORD GROUPMit der sogenannten Probenahmepumpe wird die Raumluft über spezielle Gele geleitet, die die in ihr enthaltenen Substanzen quasi aufsaugen. Anschließend geht es ins Labor zur Auswertung.
Achtung Asbest
Ob seiner Robustheit und Hitzebeständigkeit wurde Asbest über Jahrzehnte in großem Stil verbaut, aber auch zu Bremsbelägen oder Blumenkästen verarbeitet. Doch dann stellte man fest, dass bereits geringe Asbestmengen in der Atemluft schwere Lungenkrankheiten und Krebs verursachen können. In Deutschland ist die Verwendung der einstigen „Wunderfaser“ daher seit 1993 verboten.
Solange der Asbest in Gebäuden etwa in Beton, Dach- oder Bodenplatten gebunden ist, ist er keine unmittelbare Gefahr, erläutert Lars Martin. Aber wenn diese Materialien verwittern, zerbrechen oder Risse bekommen, werden die Fasern freigesetzt. Droht in dem untersuchten Gebäude ein Asbestaustritt oder ist ein Umbau geplant, ist eine Asbestsanierung unumgänglich. Dabei wird das Haus hermetisch abgeriegelt und staubdicht verschlossen, damit die hochgefährlichen Fasern während der Sanierungsmaßnahmen nicht in die Umgebung gelangen können.
Formaldehyd im Fertighaus
Vor allem in älteren Fertighäusern stoßen Martin und sein Team häufig auf einen weiteren Stoff, der den Bewohnerinnen und Bewohnern zu schaffen macht: Formaldehyd. „Die Wände dieser Häuser bestehen oft aus Spanplatten, die mit einem Klebstoff verarbeitet wurden, der noch die nächsten 300 Jahre Formaldehyd abgibt“, erklärt der Experte. Diese Dämpfe reizen Augen und Atemwege, führen über einen längeren Zeitraum zu Kopfschmerzen, Müdigkeit und Unwohlsein und können in hoher Dosis Krebs erregen.
Die Chemikalie kommt aber nicht nur in Spanplatten vor, sondern wird auch als Knitterschutz oder Imprägnierung in Kleidung, Polstermöbeln und Teppichen eingesetzt. Sogar in Spielzeugen aus Holzverbundwerkstoff sei Formaldehyd oft nachzuweisen, so Martin.
Erst beproben, dann bohren
Formaldehyd ist mit Mineralwolle, Holzschutzmitteln und Asbest die häufigste Altlast, die die Fachleute von TÜV NORD Umweltschutz bei ihren Untersuchungen messen. „Bei Gebäuden, die vor 1995 gebaut oder renoviert wurden, ist beispielsweise oft Asbest im Putz, in Spachtelmassen oder Fliesenklebern enthalten“, sagt Martin.
„Deshalb auch ein Tipp für die Heimwerkerinnen und Heimwerker unter uns“, ergänzt der Experte: „Wenn man ältere Häuser renoviert, besser mal eine Probe des Materials entnehmen und zu uns nach Hamburg ins Labor zur Asbestanalyse mittels Rasterelektronenmikroskop schicken.“ Das gibt Gewissheit, ob man Säge, Bohrer oder Hammer ansetzen kann, ohne dabei die eigene Gesundheit zu gefährden.