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Verkehrsinfrastruktur

Brücken auf dem Prüfstand

20. Februar 2025

Der Teileinsturz der Carolabrücke in Dresden im Herbst 2024 hat die Diskussion um die Sicherheit der Brücken in Deutschland befeuert. Wie werden Brücken hierzulande geprüft? Reichen die Maßnahmen? Und was hilft gegen den Sanierungsstau?

 

Dresden, 11. September 2024: Um 2:51 Uhr überquert eine Straßenbahn der Linie 7 die Carolabrücke, die die Dresdener Altstadt mit der Neustadt verbindet. 2:58 Uhr: Ein weißer Lieferwagen fährt über die Fahrbahn, die parallel zum Brückenzug für den Straßenbahnverkehr verläuft. Plötzlich: ein ohrenbetäubender Knall, eine gewaltige Wasserfontäne, die aus der Elbe in den Himmel schießt. Ein 100 Meter langes Teilstück der Brücke, über das vor wenigen Minuten noch die Linie 7 rollte, rauscht in den Fluss.

Der unerwartete Einsturz schickte eine Schockwelle durch die Republik und machte auch Fachleute fassungslos. Hier die Erleichterung, dass fast wie durch ein Wunder niemand zu Schaden gekommen war – dort die Frage, wie es dazu nur kommen konnte.

 

„Handnahe“ Hauptprüfung

Die Carolabrücke wurde wie jede Brücke in Deutschland alle sechs Jahre in einer aufwendigen Hauptprüfung untersucht. Bauwerksprüfingenieurinnen und -ingenieure nehmen dabei die gesamte Brücke „handnah“ unter die Lupe, öffnen jede Schachtabdeckung und schauen sich auch schwer zugängliche Bauteile in möglichst großer Nähe an. Anschließend wird die Brücke benotet, anhand der Bewertung werden weitere Maßnahmen geplant.

Zwischen den Hauptprüfungen gibt es alle drei Jahre eine einfache Prüfung, bei der etwa der Fahrbahnübergang und die Fundamente untersucht werden. Einmal im Jahr wird die Brücke auf offensichtliche Schäden und Mängel kontrolliert. „Angesichts der niedrigen Zahl an Vorkommnissen bei rund 130.000 Brücken in Deutschland scheint sich dieser Rhythmus zu bewähren“, sagte Dieter Westkamp, Bereichsleiter Technik und Gesellschaft beim Verein Deutscher Ingenieure, gegenüber der Tagesschau. Auch Manfred Curbach, Seniorprofessor am Institut für Massivbau an der TU Dresden, hält Prüfzyklus und -prozess für ausreichend. „Unser deutsches System ist immer noch eines der sichersten weltweit“, sagt der Brückenexperte. „Vor allem, weil hierzulande bei gravierenden Mängeln – anders als etwa bei der Morandi-Brücke in Genua – sofort und ohne Berücksichtigung wirtschaftlicher Konsequenzen reagiert wird.“ Als man etwa am 2. Dezember 2021 Verformungen an der Talbrücke Rahmede in Nordrhein-Westfalen entdeckte, wurde die Brücke am selben Tag gesperrt – obwohl das für Zehntausende Autofahrende und Speditionen große Umwege mit sich brachte.

 

Einsturzursache: Spannungsrisskorrosion

Warum aber haben die bewährten Mechanismen bei der Carolabrücke nicht gegriffen? Die letzte Hauptprüfung 2023 ergab zwar einen Sanierungsbedarf, aber keine Gefahr im Verzug. Klarheit brachte das Gutachten der TU Dresden zum Einsturz im Dezember 2024. Hauptursache ist demnach eine sogenannte Spannungsrisskorrosion, die bereits beim Bau der Brücke begonnen hat, so Gutachter Steffen Marx.

Das Phänomen ist seit einigen Jahrzehnten bekannt und tritt bei bestimmten Spannstählen auf, die bei Bauwerken in Ost wie West verwendet wurden. Nach der Wiedervereinigung wurden alle betroffenen Bauwerke intensiv untersucht und Richtlinien erlassen, wie mit ihnen umzugehen ist. Einige wurden in der Folge abgerissen, andere verstärkt. Das Problem bei der Carolabrücke: Die breiten Risse, die erfahrungsgemäß eine marode Brücke erkennen lassen, traten hier im Vorfeld nicht auf. „Die Carolabrücke ist der allererste Fall, in dem eine Brücke mit diesem Spannstahl ein völlig anderes Ankündigungsverhalten gezeigt hat“, sagt Curbach.

 

Risse hörbar machen

Laut Gutachter Marx sei der Einsturz der Brücke nach herkömmlichen Methoden daher nicht vorhersehbar gewesen. „Die einzige Möglichkeit ist, diese Schäden mit einem Schallemissionsverfahren zu hören“, erklärte der Fachmann. Die noch bestehenden Brückenzüge A und B werden seit Ende 2024 nun mit einem solchen Schallemissionsmonitoring permanent überwacht. So kann erfasst werden, wenn Spannstähle in der Brücke reißen und die Tragfähigkeit weiter geschwächt wird.

„Der Einsturz der Carolabrücke hat die Sensibilität für die Problematik erhöht, und das ist gut so“, sagt Experte Curbach. In der Folge wurden in Sachsen 19 Brücken der gleichen Bauart einer Sonderprüfung unterzogen und mit Monitoringsystemen ausgerüstet. Die Elbbrücke in Bad Schandau wurde in Konsequenz dieser Sonderprüfung gesperrt. Mittlerweile ist klar: Ein Neubau ist unumgänglich, das gilt auch für die verbliebenen Züge der Carolabrücke.

 

 

 

Wenn Brücken in die Jahre kommen

Brücken mit diesem speziellen Spannstahl sind dabei beileibe nicht die einzigen Sorgenkinder unter den Brücken in Deutschland. Über die Hälfte der hiesigen Brücken wurde vor 1985 erbaut. Viele sind noch älter, steuern auf das Ende ihres Lebenszyklus zu und müssen ersetzt werden. Da viele ältere Brücken nicht auf die heutige Verkehrssituation ausgelegt sind, wird durch die stärkere Ermüdung ihre Lebensdauer weiter verkürzt. Ein wesentliches Problem ist dabei der gestiegene Lkw-Verkehr. Denn ein einzelner 40-Tonner belastet – also ermüdet – eine Brücke so sehr wie 30.000 Pkw. Werden Mängel entdeckt, wird die jeweilige Brücke daher oft zunächst für Lkw gesperrt, um sie so zu entlasten.

 

Gegen den Sanierungsstau

Bundesverkehrsminister Volker Wissing kündigte bereits 2022 ein Maßnahmenpaket für die schnellere Brückensanierung an. Von den rund 40.000 Brücken in der Verantwortung des Bundes sollen 4.000 priorisiert innerhalb von zehn Jahren saniert werden. Statt wie bislang rund 200 sollen jährlich 400 Brücken saniert und die Mittel dazu ab 2026 auf 2,5 Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden.

Ob dieser Sanierungszeitplan tatsächlich zu halten ist, daran hat der Bundesrechnungshof allerdings im Januar 2024 starke Zweifel angemeldet. „Um doppelt so viele Brücken zu sanieren, benötigen wir auch das doppelte Fachpersonal – und das haben wir einfach nicht“, sagt auch Brückenexperte Curbach. Um das gesteckte Ziel zu erreichen, brauche es daher andere und wesentlich effizientere Verfahren, „von der Vergabe der Aufträge an die Baufirmen bis hin zu den Techniken, mit denen Brücken saniert werden“.

 

Carbon gegen den Kollaps?

Ein Ansatz wäre eine stärkere Verwendung von Carbonbeton, an dessen Entwicklung Curbach und seine Kolleginnen und Kollegen in Dresden maßgeblich beteiligt sind. Dabei werden Matten oder Stäbe aus Kohlenstofffasern zwischen den Betonschichten eingebracht. „Carbonbeton ist leichter, sechsmal fester und deutlich dauerhafter als Stahlbeton, da Carbon anders als Stahl nicht rostet“, erklärt Curbach die Vorteile. Nicht zuletzt lasse er sich schneller verbauen, was die Sanierung beschleunigt. Ein Nachteil: Stahl ist momentan noch erheblich günstiger als Carbon. Aber da man durch dessen Korrosionsbeständigkeit und höhere Festigkeit auch weniger Baumaterial benötigt, könne er in den Gesamtkosten gleichziehen. 50 bis 80 Prozent Beton könnten sich gegenüber Stahlbeton einsparen lassen. Und weniger Beton ist auch besser fürs Klima, schließlich ist die Zementproduktion für fast acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.

Die erste kleine Brücke aus Carbonbeton überquert seit 2021 das Kuppritzer Wasser in Wurschen im Landkreis Bautzen. Curbach und sein Team haben ihr neuartiges Material auch bereits verwendet, um Autobahnbrücken in Hessen und Bayern zu verstärken. Das Problem: All diese Bauprojekte brauchen eine sogenannte Zustimmung im Einzelfall, da Carbonbeton in Deutschland noch nicht standardmäßig als Baustoff zugelassen ist. Allzu oft gäben die Entscheidenden in den Behörden bei Brückensanierungen daher den altbekannten Verfahren den Vorzug, problematisiert Curbach: „Wir haben lange zu wenig getan und quasi auf Verschleiß gelebt. Wir müssen daher wieder innovationsfreudiger werden, sonst schaffen wir diese gewaltige Aufgabe nicht.“

 

Zur Person

Manfred Curbach ist Seniorprofessor und ehemaliger Direktor des Instituts für Massivbau an der TU Dresden. Mit seinem Team ist er maßgeblich an der Erfindung und Entwicklung von Carbonbeton beteiligt.

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