23. Juni 2023
Das Unternehmen Global Surface Intelligence hat ein Verfahren entwickelt, das mit künstlicher Intelligenz und öffentlich zugänglichen Satellitendaten genaue und aktuelle Inventare von Wäldern erstellt. Das eröffnet nicht nur spannende Möglichkeiten für Waldbesitzerinnen und -besitzer. Die zugrunde liegende Technologie soll in Zukunft auch andere Ressourcen erfassen und messen und so zum Beispiel Ernteausfälle für Versicherungen dokumentieren.
Der Radarsatellit Sentinel-1A umkreist die Erde in 700 Kilometern Höhe. Seit 2014 macht er Tag für Tag unzählige Bilder der Erdoberfläche. Zusammen mit weiteren Satelliten ist er Teil des Copernicus-Programms. Das Gemeinschaftsprojekt von Europäischer Kommission und ESA betreibt Fernerkundung: Es liefert Daten über den Zustand der Erdoberfläche, täglich mehrere Petabytes. Diese Daten sind öffentlich zugänglich, das heißt, jede und jeder kann sie frei nutzen. Das in Edinburgh ansässige Unternehmen Global Surface Intelligence (GSI) hat ein Verfahren entwickelt, das aus dieser Flut von Daten wertvolle Informationen für Waldbesitzerinnen und -besitzer gewinnt. Dafür nutzen die Schotten künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen.
Wenn bisher jemand wissen wollte, wie viele Bäume und welche Arten in einem bestimmten Gebiet stehen, dann mussten Menschen die Bäume zählen – auf Luftbildern oder vor Ort. Diese Methode ist jedoch sehr ungenau, außerdem ist sie teuer und bei großen Wäldern schlichtweg nicht praktikabel. In Nordamerika gibt es kommerziell genutzte Wälder mit einer Fläche von mehreren Tausend Hektar, die Holz für viele industrielle Zwecke produzieren. Mit der von GSI entwickelten Fernerkundungsplattform können auch die Besitzerinnen und Besitzer solcher Wälder Echtzeitinformationen über ihre Bestände erhalten – und das regelmäßig, wiederholbar und automatisiert.
„Wir erfassen nicht nur die Anzahl der Bäume“, erklärt Peter Young, CEO von GSI. „Wir liefern auch Informationen zur Art, der Höhe und dem Durchmesser jedes Baums.“ Solche Daten seien nicht nur für die klassische Forstwirtschaft wichtig, sondern auch für ein relativ neues Geschäftsmodell: „Immer mehr Unternehmen suchen im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsziele nach Möglichkeiten, CO2-Emissionen zu kompensieren“, erläutert Young. „Wälder sind hervorragend dafür geeignet.“ Wie viel CO2 ein Baum speichern kann, hängt von seiner Art, der Größe und seinem Alter ab. „Wir identifizieren zunächst: Wo gibt es überhaupt geeignete Waldflächen? In welchem Gebiet gibt es welche Arten von Bäumen in welcher Reifezeit, Höhe und mit welchem Durchmesser?“, so Young. „Dann gehen wir auf die Forstverwaltenden zu und fragen, ob sie das Gebiet auf einer Plattform zur CO2-Kompensierung anbieten wollen.“
Hilfe vom Supercomputer
Um die riesigen Rohdatenmengen der Sentinel-Satelliten auszuwerten, nutzt GSI auch den Supercomputer der Universität von Edinburgh. Die Fernerkundungsdaten der Satelliten ergänzt GSI mit weiteren Informationen, zum Beispiel von Drohnenaufnahmen. Das 2012 gegründete Unternehmen hat heute 15 Mitarbeitende, darunter Fachleute für Umwelt- und Datenwissenschaften sowie Menschen mit Erfahrung im Programmieren oder in der Raumfahrtindustrie. So wie Peter Young, der vor GSI acht Jahre lang CEO eines der größten britischen Raumfahrtunternehmen war.
2022 hat sich die TÜV NORD GROUP über ALTER TECHNOLOGY (ATN) an GSI beteiligt. ATN repräsentiert in der TÜV NORD GROUP den Geschäftsbereich Aerospace. Mit der Investition wollen Young und sein Team das Geschäft mit Waldinventaren weiter ausbauen.
Daneben entwickelt GSI weitere Einsatzmöglichkeiten für die Technologie des Unternehmens: „Wir schauen uns auch an, wie wir die Fernerkundung in anderen Geschäftsfeldern und Branchen einsetzen können, zum Beispiel, um Ernteausfälle für Versicherungen zu dokumentieren“, berichtet Young.
Stephen Duffy ist Managing Director von ALTER TECHNOLOGY UK, einem Tochterunternehmen von ATN, und seit Herbst 2022 Investment Director im Vorstand von GSI. Er sieht in der Kombination aus Fernaufklärung, KI und maschinellem Lernen großes Potenzial für den Investor: „In der TÜV NORD GROUP dreht sich viel um Prüfungen, Inspektionen und Zertifizierungen“, erklärt Duffy. „Mit GSI können einige dieser Aufgaben in Zukunft von der KI erledigt werden.“