8. Juni 2023
Immer mehr Menschen steigen auf E-Autos um. Und auch die Zahl der Wärmepumpen wird weiter steigen. Aber sind die lokalen Stromnetze überhaupt ausreichend gut für den zusätzlichen Verbrauch gerüstet? Darüber haben wir mit Malte Berghaus gesprochen, Leiter Netze bei TÜV NORD.
#explore: Die Zahl der E-Autos und Wärmepumpen in Deutschland wächst und wächst. Was bedeutet das für die lokalen Stromnetze, Herr Berghaus?
Durch die neuen Verbraucher steigt natürlich die lokale Stromnachfrage. Bei E-Autos werden hier, je nach Wachstum und bestehender Ladeinfrastruktur vor Ort, bis zu elf Prozent mehr pro Jahr prognostiziert. Die Bundesregierung will mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030 auf Deutschlands Straßen bringen. Bislang sind es rund eine Million Elektroautos. Durch das neue Gebäudeenergiegesetz wird auch die Verbreitung von Wärmepumpen noch einmal deutlich zulegen – mit entsprechenden Herausforderungen für die Stromnetze in den einzelnen Wohnquartieren. Allein im Jahr 2022 sind 53 Prozent mehr Wärmepumpen als im Vorjahr installiert worden. Bis 2030 soll sich der Bestand von derzeit rund 1,4 Millionen auf sechs Millionen Wärmepumpen erhöhen.
#explore: Wie können und müssen die Netze für diesen Mehrverbrauch ertüchtigt werden?
Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Generell werden Stromnetze mit gewissen Reserven geplant und gebaut. Bei Neubausiedlungen sind daher tendenziell kaum oder keine Anpassungen erforderlich, auch weil die dortigen Häuser bereits mit modernen Heizungsanlagen ausgerüstet sind. Eine andere Situation hat man in gewachsenen Gebieten, da deren ältere Netze noch auf einen geringeren Strombedarf ausgelegt sind. Wenn hier entsprechend E-Autos und Wärmepumpen dazukommen, müssen lokale Leitungen verstärkt und gegebenenfalls auch zusätzliche Ortsnetzstationen gebaut werden.
Deutlichen Ausbaubedarf gibt es bei den Übertragungsnetzen. Konventionelle Großkraftwerke mit Kohle oder Gas sind dort gebaut worden, wo die Energie benötigt wurde. Erneuerbare werden aber oft nicht da erzeugt, wo der Strom verbraucht wird. Daher müssen einerseits neue Leitungen gezogen werden, um den Strom etwa aus dem windreichen Norden in den Westen oder den Süden zu bringen. Andererseits müssen wir auch viel mehr Stromspeicher ans Netz bringen, um die Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen.
Zur Person
Malte Berghaus ist Leiter Netze bei TÜV NORD. Der Elektrotechnikingenieur und sein Team beschäftigen sich mit der Integration verschiedener erzeugter Energien ins Stromnetz und unterstützen dabei unter anderem auch große Industriebetriebe bei der Umrüstung ihrer Netze.
#explore: Wie können solche Speichersysteme aussehen?
Neben klassischen Pumpspeicherkraftwerken und modernen Batteriespeichern benötigen wir neue Speichertechnologien aus dem Wasserstoffbereich, da sich die erforderlichen Kapazitäten sonst nicht abdecken lassen. Wasserstoff kann direkt an Windparks mittels Elektrolyse etwa aus überschüssigem Strom gewonnen und dann in der Industrie genutzt oder bei Bedarf rückverstromt werden. Für den Transport zu den Wasserstoffspeichern oder zu den Verbrauchenden bieten sich bestehende Gaspipelines an, die gegebenenfalls umgerüstet werden müssen. Sie können auch als Speicher dienen, da sich Wasserstoff, anders als Strom, verdichten lässt. Wir sind beispielsweise bei einem großen Modellprojekt im Sauerland dabei, bei dem eine elf Kilometer lange Gaspipeline komplett auf Wasserstoffbetrieb umgerüstet werden soll. Des Weiteren gibt es auch ein Projekt in Sachsen-Anhalt, wo dem örtlichen Erdgasnetz erstmals 20 Prozent Wasserstoff beigemischt wurden. Klar ist: Die Energiewende kann nur im Zusammenspiel unterschiedlicher technologischer Ansätze gestemmt werden. Wir werden daher eine Vielzahl von Speichern und anderen technischen Lösungen sehen, die im Stromnetz jeweils eine unterschiedliche Funktion übernehmen.
Von 1,4 auf sechs Millionen bis 2030: Reicht der Strom hierzulande für eine derart hohe Zahl an Wärmepumpen überhaupt aus?
#explore: Welche Rolle kann dabei das Smart Grid – das intelligente Stromnetz – spielen?
Die Idee des Smart Grid besteht ja darin, Erzeugung, Speicherung und Verbrauch bestmöglich aufeinander abzustimmen. Technisch funktioniert das zumindest in kleinem Maßstab bereits gut. Bei kleineren Ortsnetzen kann man mit einigen Betriebsmitteln wie lokalen Stromspeichern oder intelligenten Netzstationen das Netz bereits effizient entlasten, sodass kein Ausbau nötig ist. In großem Maßstab werden wirklich smarte Netze aber nur funktionieren, wenn deutlich mehr Stromverbrauchende, -erzeugende, Netz- und Speicherbetreiber in Echtzeit miteinander kommunizieren. Eine zentrale Rolle sollen dabei die Smart Meter spielen. Diese digitalen Stromzähler übermitteln den Verbrauch an die Netzbetreiber und die Stromanbieter. Sie können außerdem Daten empfangen, etwa den aktuellen Strompreis. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen dann ihre E-Autos laden oder ihre Waschmaschine laufen lassen können, wenn der Strom durch einen hohen Anteil Erneuerbarer besonders günstig ist, was auch der Netzstabilität zugutekommt. Bislang ging es mit dem Roll-out der Smart Meter recht schleppend voran. Das will die Bundesregierung mit einem neuen Gesetz ändern: Bis 2030 sollen alle Haushalte mit einem Stromverbrauch von über 6.000 Kilowattstunden pro Jahr oder einer Solaranlage mit mehr als sieben Kilowatt Leistung mit Smart Metern ausgerüstet sein. Bereits ab 2025 sollen alle Stromversorger dynamische Tarife anbieten, damit Haushalte mit einem Smart Meter ihr Nutzungsverhalten auf Zeiten mit günstigen Strompreisen abstimmen können.
#explore: Kommen wir beim Netzausbau und -umbau schnell genug voran?
Wir müssen hier nach wie vor das Tempo erhöhen. Gerade die Planung und Realisierung größerer Projekte dauert in Deutschland relativ lange. Erste „Stromautobahnen“, also Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen, sind zwar in der Planung und teils bereits in der Realisierung. Bis sie aber wirklich alle gebaut sind, werden noch einige Jahre vergehen.
Smart Meter spielen eine zunehmend wichtige Rolle für die Stabilität der Netze.
#explore: Wodurch wird dieser Prozess ausgebremst?
Einerseits durch das komplizierte Planungsrecht. Andererseits geht es wie bei vielen Großprojekten immer auch um die Akzeptanz der Bevölkerung. Bei vielen Menschen gibt es zwar die Einsicht, dass solche Infrastrukturmaßnahmen erforderlich sind. Wenn aber die Konverterstation für so eine Stromautobahn in der Nähe gebaut wird oder die Stromtrasse am eigenen Dorf vorbeiläuft, bildet sich immer wieder großer Widerstand. Viele Kommunen und Anwohnende ziehen Erdkabel Strommasten vor, was den Prozess noch teurer und technisch aufwendiger macht. Planungsrechtlich hat sich mittlerweile etwas getan: Die Bundesregierung hat Ende 2022 und Anfang dieses Jahres nun zwei neue Gesetze auf den Weg gebracht, die den Netzausbau beschleunigen und Planungs- und Genehmigungsverfahren verschlanken und verkürzen sollen.
#explore: Wo stehen wir heute bei der Energiewende?
Dass es heute Tage gibt, an denen in Deutschland bis zu 60 Prozent des Stroms aus der Steckdose aus erneuerbaren Energien kommen, das hätte vor 30 Jahren niemand geglaubt. Andererseits kommt in windstillen Nächten kein Strom aus Erneuerbaren, was wir eben durch Speicher auffangen müssen. Hier braucht es auch entsprechende Förderungen und andere finanzielle Anreize für Unternehmen und Privatpersonen, Speicher zu installieren, die letztlich auch der Netzstabilität zugutekommen. Insgesamt haben wir schon viel geschafft, aber mindestens noch genauso viel zu tun! Das Energiesystem und das Stromnetz lassen sich natürlich nicht innerhalb von ein paar Jahren ummodeln. Dazu sind diese Systeme viel zu komplex, zumal wir sie im laufenden Betrieb umbauen müssen. Das ist und bleibt eine große Herausforderung.
Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore
Das könnte Sie auch noch interessieren
Heißer als die Sonne
Wie in der Versuchsanlage Wendelstein 7-X an der Kernfusion geforscht wird.
Artikel lesen