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Wasserstoff

Wasserstoff auf hoher See

31. August 2023

Um die Industrie und den Schwerlastverkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft klimafreundlicher zu machen, benötigen wir künftig grünen Wasserstoff in enormen Mengen. Dabei könnte das flüchtige Gas auch direkt an Offshore-Windparks erzeugt werden. Wo liegen die Vorteile der Elektrolyse auf hoher See? Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen? Und wie kann die Sicherheit der Anlagen auf dem offenen Meer gewährleistet werden? Darüber haben wir mit Britta Schacht gesprochen, Leiterin Erneuerbare Zertifizierung bei TÜV NORD.

 

#explore: Frau Schacht, seit einigen Jahren wird schon darüber nachgedacht, grünen Wasserstoff direkt an Offshore-Windparks zu produzieren. Wo liegen die Vorteile einer Wasserstofferzeugung auf offener See?

Britta Schacht: Bereits heute produzieren wir immer wieder mehr Elektrizität aus erneuerbaren Energien, als das Stromnetz aufnehmen kann. Statt Windparks in solchen Situationen abzuregeln, kann man mit dieser Energie grünen Wasserstoff produzieren, sie also für eine weitere Nutzung speichern. Aber auch über diese Zeiten der Überproduktion hinaus hätte eine lokale Wasserstoffherstellung viele Vorteile: Wird ein Teil des Offshore-Windstroms direkt in Wasserstoff umgewandelt, entlastet das die lokalen Stromnetze. Zugleich sinkt der Ausbaudruck für die sogenannten „Stromautobahnen“, mit denen der Grünstrom künftig von den Küsten ins Landesinnere und weiter nach Süddeutschland transportiert werden soll. Aber auch für den wirtschaftlichen Betrieb der jeweiligen Anlage könnte die Offshore-Produktion von Vorteil sein: Wird der Wasserstoff mit Tankschiffen oder bestenfalls sogar über bestehende Gaspipelines an Land transportiert, muss man beim Bau der angeschlossenen Windparks weniger Stromkabel durch das Meer verlegen. Das senkt deren Infrastrukturkosten beträchtlich und dürfte Kalkulationen zufolge auch die höheren Bau- und Betriebskosten von Offshore-Elektrolyseuren mehr als wettmachen.


Wie könnten solche Offshore-Elektrolyseure aussehen?

Das Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE  hat im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums einmal durchgespielt, wie Offshore-Elektrolyse technisch und wirtschaftlich gelingen könnte. Das System des ISE setzt auf einen modularen Aufbau, der sich leicht an unterschiedliche Wasserstoffproduktionskapazitäten anpassen lassen soll. Das für die Elektrolyse erforderliche Trinkwasser wird über die Entsalzung von Meerwasser gewonnen. Um diesen Prozess möglichst energieeffizient zu machen, wird dazu auch die Abwärme der Elektrolyseure genutzt. Im Wasserstoff-Leitprojekt H2Mare  des Bundesforschungsministeriums arbeiten die beteiligten Forschungsinstitute und Unternehmen ebenfalls an Technologien zur Herstellung von Wasserstoff auf hoher See. Dabei geht es auch um Lösungen, um mit dem Wasserstoff Folgeprodukte wie grünes Methanol oder grünes Ammoniak  zu erzeugen, die dann in der chemischen Industrie genutzt werden können. Außerdem wird im Rahmen von H2Mare die Möglichkeit von Meerwasser-Elektrolyse ausgelotet, womit man sich den Energieaufwand für Entsalzungsanlagen sparen würde.

 


Welche technischen Herausforderungen wollen bei der Offshore-Elektrolyse bewältigt werden?

Das ist immer auch eine Frage des Konzepts, das man verfolgt: ob man den Wasserstoff auf einer Produktionsplattform direkt am Windpark herstellt, wie es etwa das Fraunhofer ISE angedacht hat, auf einer nahe gelegenen Insel wie Bornholm oder gar auf einer künstlich aufgeschütteten „Energieinsel“, wie es Dänemark in den Blick nimmt. Wird der Wasserstoff am Offshore-Windpark hergestellt, sehen bisherige Konzepte kleine, modulare Produktionseinheiten vor, die sich schnell installieren und sukzessive ergänzen lassen. Der Nachteil: Die Elektrolyseure sind auf dem Meer dem Salzwasser ausgesetzt, was die Geräte schneller altern lässt. Größere Produktionseinheiten ließen sich voraussichtlich besser gegen Witterungseinflüsse abdichten, wären aber zeit- und kostenintensiver in der Herstellung und Installation. Auf einer künstlichen Energieinsel wiederum wären die Elektrolyseure weitestgehend vor dem Meerwasser geschützt, allerdings müsste diese ja zuallererst aufgeschüttet werden, was sowohl Zeit als auch Geld kostet. Die Allianz-Versicherung  hat unlängst angekündigt, zwei solcher Inseln bis 2032 in der Nordsee zu bauen. Die dänische Regierung hingegen hat die Entscheidung über eine geplante Energieinsel bis Ende dieses Jahres vertagt , da das Projekt in der angedachten Form zu kostspielig sei.
 

Welche besonderen Bedingungen stellen solche Offshore-Elektrolyseure an die Sicherheit?

Zunächst muss man natürlich gewährleisten, dass dieses hoch brennbare Gas nicht entweichen kann, Speicherbehälter müssen optimal abgedichtet und mögliche Zündquellen minimiert werden. Für die Industrie wie für uns als TÜV NORD ist die Sicherheit der Wasserstoffinfrastruktur beileibe kein neues Thema. Aber es ist natürlich etwas anderes, ob solche Anlagen wie bisher stabil und kontrolliert an Land stehen oder ob sie auf hoher See verlässlich und störungsfrei funktionieren müssen. Außerdem muss man sich darüber Gedanken machen, inwiefern man selbst unter ungünstigen Wetterbedingungen Wartungs- oder Reparatur-Teams zu unbemannten Anlagen bringen kann. Hier kann man sich sicher auch auf die Erfahrungen der Öl- und Gasindustrie stützen, für die die Arbeit auf hoher See ja zum Alltag gehört.

Zur Person


Wann dürften die ersten Elektrolyseure auf See gebaut werden?

Wir rechnen damit, dass im nächsten Jahr die Finanzierungsentscheidungen für erste konkrete Projekte fallen, die dann 2025 in die Realisierung gehen. Aller Voraussicht nach wird es dabei – zumindest zunächst – ein Nebeneinander unterschiedlicher Konzepte geben. So kann man im Betrieb erproben, welche Verfahren sich technisch und wirtschaftlich bewähren und sich für welche Anwendungsfälle und Ausgangssituationen besonders gut eignen.


An welchen Projekten ist TÜV NORD beteiligt? Welche Aufgaben übernehmen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen dabei?

Wir sind in Projekte in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden involviert, die wir von der frühen Konzeptphase an begleiten. Wir prüfen dabei das grundlegende Design und bereiten künftige Zertifizierungen vor: Wir schauen uns also an, welche Sicherheitsanforderungen eine solche Anlage erfüllen muss – beim Arbeitsschutz, bei der Statik der Konstruktion und der Anbindung an das Transportsystem, also an Tankschiffe oder eine Pipeline. Ein besonderes Augenmerk legen wir dabei auf Elemente der Konstruktion, die beim Betrieb auf dem Meer der Wellenbewegung ausgesetzt sind, da diese natürlich höhere Anforderungen erfüllen müssen als statische Bauteile.


Lassen sich solche Offshore-Elektrolyse-Plattformen auf Basis heutiger Regelwerke sicher bauen, oder müsste hier regulativ noch einmal nachgebessert werden?

Tatsächlich gibt es heute bereits diverse maritime Standards, die für die Ölindustrie oder die Windenergie angewendet werden und auch grundsätzlich auf diesen Bereich übertragbar sind. Dabei ist es aber wie mit jeder Technologie: Die Regularien entwickeln sich sukzessive mit. Beispielsweise ist der Anforderungskatalog für Windkraftanlagen an Land heute um ein Vielfaches umfänglicher als noch zu ihren Anfängen. Auch regulatorisch ist der Umgang mit einer neuen Technologie also immer ein Lernprozess, und das wird bei der Wasserstoffproduktion auf hoher See sicher nicht anders sein.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore