20. Januar 2023
Das Silicon Valley hat eine neue Vision: das „Metaverse“. Ein virtuelles Universum, in dem die digitale und die analoge Welt in einer grenzenlosen und interaktiven Umgebung verschmelzen. Aber wie soll das Metaversum das Internet, wie wir es kennen, auf das nächste Level katapultieren? Und wann könnte es Realität werden? Eine Prognose.
Eine globale virtuelle Realität, in der Menschen als Avatare herumlaufen: So lässt sich kurz und knapp das „Metaverse“ beschreiben, um das sich Neal Stephensons Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ von 1992 dreht. Es geht um eine digitale Alternative zur analogen Welt, vergleichbar mit heutigen Online-Rollenspielen wie „World of Warcraft“, aber ohne umgreifendes Spielziel. Stephenson war nicht der Erste, der eine solche virtuelle Parallelwelt erdachte. Aber seit seinem Roman geistern Idee und Begriff durch die Tech-Szene.
Eine der ersten digitalen Inkarnationen eines solchen Metaversums war vor 20 Jahren „Second Life“. Die Nutzenden konnten hier durch virtuelle Landschaften, Städte oder Geschäfte spazieren und mit ihren Avataren interagieren, spielen, einkaufen – oder auch heiraten. Doch Optik, Technik und nicht zuletzt die Handlungsmöglichkeiten konnten längst noch nicht mit denen des realen Lebens mithalten. Nach dem ersten großen Hype wurde es bald leer im „Second Life“. Fortschritte in Sachen Rechnerleistung, Internetgeschwindigkeit und bei Virtual- und Augmented-Reality-Technologien sollen die Vision vom virtuellen Universum nun näher in Richtung Wirklichkeit rücken. Möglichkeiten, die immer mehr Unternehmen ausschöpfen wollen.
Eins, zwei, drei – viele Metaversen
Der ehemalige Facebook-Konzern Meta will ein allumfassendes Metaverse schaffen, das sämtliche Bereiche des Lebens umfasst. Ein „verkörpertes Internet“, so Mark Zuckerberg. Der Tech-Unternehmer zeigt sich davon überzeugt, „dass das Metaverse der Nachfolger des mobilen Internets ist. Wir werden uns anwesend fühlen – so als ob wir mit Menschen beisammen wären, egal, wie weit entfernt voneinander wir tatsächlich sind“. Eine Vision, die der Konzern mit seiner VR-Plattform „Horizon Worlds“ verwirklichen will. Auf dem Weg dahin konnte der Social-Media-Riese einen mächtigen Mitbewerber ins Boot holen: Microsoft hat angekündigt, seine Office-Software für Metas Mixed-Reality-Headset „Quest Pro“ anzubieten. So wäre es also etwa möglich, Meetings in Teams über die Brille im virtuellen Raum durchzuführen.
Auch Epic Games will sein Onlinespiel „Fortnite“ mehr und mehr zu einem Metaverse weiterentwickeln. Schon heute finden dort Kunstausstellungen, Kurzfilmfestivals oder Konzerte statt, die teils auf Zuschauerzahlen im zweistelligen Millionenbereich kommen – nicht ganz überraschend bei über 400 Millionen registrierten Nutzerinnen und Nutzern.
Der Grafikkarten- und KI-Konzern Nvidia konzentriert sich stattdessen auf die Arbeitswelt. Über sein „Omniverse“ können Teams quer über den Globus remote 3-D-Objekte und -Modelle erstellen oder Simulationen durchführen. Siemens Energy nutzt das System, um über einen digitalen Zwilling den Betrieb von Kraftwerksanlagen zu simulieren, BMW für die Planung von Autowerken. Ericsson wiederum erstellt auf der Plattform digitale Zwillinge von Städten, um den Aufbau von 5G-Netzen besser planen zu können. Nvidia selbst will nichts Geringeres als in seinem „Omniverse“ mittels eines KI-Supercomputers einen digitalen Zwilling der Erde bauen, um die Folgen des Klimawandels besser vorhersagen und verstehen zu können.
Aber auch in der Medizin sollen VR-Technologien neue Möglichkeiten eröffnen. So haben Entwicklerinnen und Entwickler vom Houston Methodist Institute for Technology, Innovation and Education (MITIE) eine Virtual-Reality-Umgebung geschaffen, in der die Nutzenden etwa chirurgische Eingriffe an menschlichen 3-D-Modellen trainieren können. Das soll den Zugang zu medizinischer Ausbildung demokratisieren. „Es könnte der erste Schritt zum Aufbau eines medizinischen Metaverse sein“, so Stuart Corr, Erfinder der Plattform.
Kein Geheimnis, dass Meta ein allumfassendes Metaverse schaffen will. mit seiner VR-Plattform „Horizon Worlds“ soll dies gelingen.
Chirurgische Eingriffe an menschlichen 3-D-Modellen üben? Auch das geht schon – und verbessert so die medizinische Ausbildung.
Standards für das Metaverse
Was all diese Ansätze miteinander verbindet: Sie unterscheiden sich voneinander. Das alle Lebensbereiche umfassende Metaverse, wie es Stephenson in seinem Roman beschreibt, ist aktuell also noch nicht in Sicht. Damit die unterschiedlichen Metaversen sich miteinander verbinden können, braucht es einheitliche Schnittstellen und Standards. Um diese Entwicklung voranzutreiben, haben im Juni 2022 Tech-Unternehmen das „Metaverse Standards Forum“ gegründet. Erklärtes Ziel sei dabei gerade nicht ein einzelnes, umfassendes Metaverse. Sondern die Entwicklung von technischen Standards und Lösungen, über die verschiedene Metaverse-Ansätze miteinander kommunizieren können. Diese seien essenziell für ein „offenes und inklusives Metaverse“, so die Vereinigung, zu der neben Microsoft, Epic Games, Google, Nvidia, Intel und Meta auch die deutsche Telekom oder Ikea gehören.
Die Kehrseiten der digitalen Möglichkeiten
Wie das oder besser die Metaversen künftig aussehen können, ist also noch im Prozess. Bestenfalls wird es wie das Internet dezentral – also von niemandem kontrolliert, wie es der Ansatz des „Metaverse Standards Forum“ nahelegt. Möglich ist aber eben auch, dass sich wie bei Suchmaschinen oder Social-Media-Plattformen einzelne große Player durchsetzen. Kritikerinnen und Kritiker befürchten, dass die eigentliche Motivation hinter Zuckerbergs Metaverse-Plänen ein ungehinderter Zugriff auf die Daten der Nutzenden ist. Für die Philosophin Anna-Verena Nosthoff geht es dem Facebook-Konzern vor allem darum, „die eigene Machtsphäre auszuweiten und sich etwa mit einer eigenen VR-Brille von Android und iOS zu emanzipieren“, so die Co-Direktorin des Critical Data Lab der Humboldt-Universität zu Berlin gegenüber Spektrum.de.
Ausbaubare Interessen
Fest steht in jedem Fall, dass der Ansturm der Nutzenden aktuell noch geringer ausfällt, als von manchen Metaverse-Machern erhofft. Im Metaversum Decentraland, das auf der Kryptowährung „MANA“ basiert, werden virtuelle Grundstücke zwar schon einmal für rund eine Million US-Dollar verkauft. Mit nach eigenen Angaben rund 56.000 monatlichen Nutzerinnen und Nutzern ist die digitale Welt aber eher spärlich besucht. Metas „Horizon Worlds“ kommt immerhin auf 200.000 pro Monat. Dennoch: eine verschwindend kleine Zahl gegenüber den 500 Millionen, die täglich auf Instagram aktiv sind.
Grund dafür dürfte neben einer veralteten Grafik und einer übersichtlichen Zahl interessanter Spiele und Anwendungen, wie es Testerinnen und Tester monieren, auch die immer noch geringe Verbreitung von VR-Brillen sein. Zwar können die Headsets immer mehr, aber längst nicht alles, was man von ihnen für eine immersive und intuitive Erfahrung erwarten würde. Und mit Preisen ab 500 Euro plus leistungsfähigem und damit kostspieligem Rechner sind sie aktuell noch vor allem bei einer kleinen Gruppe von Gamerinnen und Gamern, Tech-Pionierinnen und -Pionieren und professionellen Anwendenden im Einsatz.
Um eines Tages tatsächlich Milliarden von Menschen in Echtzeit in einem immersiven Metaversum zusammenzubringen, müsste auch die Computerleistung noch einmal deutlich zulegen. Laut Intel-Manager Raja Koduri wäre dafür „eine 1.000-fache Steigerung der heutigen Recheneffizienz erforderlich“. Bis die digitalen Parallelwelten mit der analogen Wirklichkeit gleichziehen können, dürfte es also noch etwas dauern.
Spielerisch entdecken „Fortnite“-Gamer:innen das Metaversum – Hersteller Epic Games treibt seine Weiterentwicklung intensiv voran.
Schnell, präzise, effizient: Die BMW Group nutzt das „Omniverse“ von NVIDIA, um die virtuelle Fabrikplanung auf die nächste Ebene zu heben.