18. Januar 2024
„Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ – was für Antoine de Saint-Exupérys kleinen Prinzen gilt, trifft in gewisser Weise auch auf unser Universum zu. Denn das besteht zu größten Teilen aus Dunkler Materie und Dunkler Energie, die sich nicht direkt beobachten lassen. Das neue Weltraumteleskop Euclid soll nun Forschenden dabei helfen, diese blinden Flecken unseres Verständnisses vom All und seiner Entwicklung weiter aufzuhellen. Euclid ist ein Projekt der europäischen Weltraumagentur ESA, an dem neben Tausenden Forschenden auch ALTER TECHNOLOGY, Tochter der TÜV NORD GROUP, maßgeblich beteiligt ist.
Tiefblau spannte sich der Himmel am 1. Juli 2023 über Cape Canaveral, als das Euclid-Teleskop an der Spitze einer SpaceX-Rakete ins All abhob. 28 Tage später erreichte Euclid seinen Zielort: den 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernten zweiten Lagrange-Punkt, von dem aus auch das James-Webb-Teleskop mit der Erde um die Sonne kreist. Mittlerweile hat Euclid seine Arbeit aufgenommen. Über die kommenden sechs Jahre soll das 1,2 Tonnen schwere Teleskop ein Drittel des Kosmos kartografieren, die bislang detaillierteste 3-D-Karte des Universums erstellen und so mehr über die Dunkle Materie und die Dunkle Energie herausfinden. Denn diese Kräfte gelten als die großen Unbekannten unseres Universums und waren bisher kaum zu erforschen, obwohl sie die Bewegung und die Entwicklung des sichtbaren Alls maßgeblich beeinflussen.
Dunkle Materie – Gravitationskitt der Galaxien
Die Geschwindigkeit, mit der die Sterne um das Zentrum ihrer Galaxien kreisen, lässt sich mit der Anziehungskraft der großen Himmelskörper alleine nicht erklären. Seit den 1930er-Jahren führen Forschende dieses Phänomen auf die Dunkle Materie zurück. Anders als herkömmliche Materie sendet sie kein Licht aus und absorbiert es auch nicht, wodurch sie für unsere Augen unsichtbar ist. Erkennen lässt sich die Dunkle Materie nur indirekt über die Effekte der Schwerkraft. Woraus diese Dunkle Materie besteht, was sie eigentlich ist, das wissen Forschende immer noch nicht. Auch ein direkter Beweis ihrer Existenz steht noch aus. Indizien dafür, dass es sie tatsächlich gibt, wurden jedoch über die vergangenen Jahrzehnte mehr und mehr gefunden.
© ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, image processing by J.-C. Cuillandre (CEA Paris-Saclay), G. Anselmi„Revolution für die Astronomie“: Der Perseushaufen im gleichnamigen Sternbild. Das Motiv zeigt 1.000 Galaxien des Haufens und mehr als 100.000 weiter entfernte Galaxien im Hintergrund.
© ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, image processing by J.-C. Cuillandre (CEA Paris-Saclay), G. AnselmiScharf und detailreich wie nie: Euclid machte Bilder vom Pferdekopfnebel im Orion – dem Teil einer großen kalten Gas- und Staubwolke.
Dunkle Energie – Tempomacher für die Expansion
Vor gut 30 Jahren entdeckten Astronominnen und Astronomen Hinweise auf eine weitere Grundkraft des Universums, die sogenannte Dunkle Energie. Sie wäre eine Erklärung dafür, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt. Nach den Messungen der Wilkinson-Microwave-Anisotropy-Sonde bestehen nahezu drei Viertel des Universums aus Dunkler Energie, fast ein Viertel aus Dunkler Materie und gerade einmal fünf Prozent aus sichtbarer Materie. Theorien zur Dunklen Energie gibt es zwar einige, aber noch keine überzeugende Erklärung dafür, wie diese mysteriöse Substanz entstanden ist und woraus sie sich zusammensetzen könnte.
Die Daten, die Euclid liefert, sollen Forschenden dabei helfen, fünf zentrale Fragen zu beantworten: Wie verteilt sich Dunkle Materie im Universum? Wie vollzog sich die Ausdehnung des Universums? Was sagt uns das über die Eigenschaften der Dunklen Energie? Verändert sich der Anteil Dunkler Energie über die Zeit? Wie formen sich die großräumigen Strukturen im Universum?
Zehn Milliarden Lichtjahre zurück in die Vergangenheit
Mit seinem 1,2 Meter großen Spiegel kann Euclid bis zu zehn Milliarden Lichtjahre tief ins Weltall blicken. Damit deckt das Teleskop den Zeitraum ab, in dem sich die Entwicklung des Universums vor allem durch den Einfluss von Dunkler Materie erklären lässt.
Ausgewertet werden die Missionsdaten vom internationalen Euclid-Konsortium, in dem Ende 2023 rund 2.600 Forschende aus den Bereichen Astrophysik, Kosmologie, theoretische Physik und Teilchenphysik registriert waren. Insgesamt arbeiten über 3.500 Menschen aus 21 Ländern an dem Projekt der ESA. Aus Deutschland haben etwa Max-Planck-Institute in Heidelberg und in Garching Schlüsselkomponenten zur Optik von Euclid mitentwickelt. Dass Euclid den extremen Belastungen im All gewachsen ist, den Vibrationen während des Starts, den extremen Temperaturunterschieden während des Flugs und der Strahlung, dem es im All ausgesetzt ist, daran haben die Fachleute von ALTER TECHNOLOGY einen entscheidenden Anteil. Die Expertinnen und Experten des Tochterunternehmens der TÜV NORD GROUP waren – wie schon bei anderen ESA-Missionen – für die Entwicklung, Prüfung und Beschaffung aller elektronischen Komponenten an Bord verantwortlich.
Scharfe Einsichten in unendliche Weiten
Dass sich die gemeinsame Arbeit lohnt, belegen bereits die ersten Aufnahmen, die Euclid zur Erde geschickt hat. Die Forschenden zeigten sich begeistert von der Qualität der Bilder: Noch nie zuvor war ein Teleskop laut ESA in der Lage, so gestochen scharfe astronomische Bilder über einen so großen Teil des Himmels und einen so weiten Blick in das ferne Universum zu erzeugen. Auf den Bildern ist etwa der Perseushaufen im gleichnamigen Sternbild zu sehen. Der ESA zufolge ist die Aufnahme nichts weniger als eine „Revolution für die Astronomie“. Sie zeigt 1.000 Galaxien des Haufens und mehr als 100.000 weiter entfernte Galaxien im Hintergrund. Viele dieser blassen Galaxien seien zuvor nicht zu sehen gewesen. „Euclid wird insgesamt unser Verständnis des Kosmos voranbringen“, sagt Carole Mundell, die Wissenschaftliche Direktorin der ESA. „Und diese exquisiten Euclid-Bilder zeigen, dass die Mission bereit ist, zur Lösung eines der größten Rätsel der modernen Physik beizutragen.“