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Raumfahrt

Sonnenstrom aus der Erdumlaufbahn

16. Januar 2025

Kilometergroße Solarsatelliten, die im Orbit die unerschöpfliche Energie der Sonne anzapfen und mittels Mikrowellenstrahlen auf die Erde übertragen: Was vielleicht nach Science-Fiction klingt, wird von Regierungen angedacht, von Forschenden erprobt, von Unternehmen vorangetrieben. Und es könnte in Zukunft Island, Großbritannien und die EU mit Solarstrom aus dem All versorgen.

 

Photovoltaikanlagen sind eine fantastische Sache. Sie wandeln die Energie der Sonne in Elektrizität um und sind dabei günstiger als jede andere Form der Energieerzeugung. Auf der Erde haben sie allerdings auch einen natürlichen Nachteil: Die Sonne scheint bekanntlich nicht in der Nacht und bei wolkenverhangenem Himmel oder im Winter weniger intensiv. Aber selbst an Sommertagen mit strahlend blauem Himmel kommt längst nicht die gesamte Sonnenenergie auf den Solarpaneelen an: Mehr als die Hälfte ihrer Strahlung wird von der Erdatmosphäre absorbiert oder reflektiert.

Warum also das Sonnenlicht nicht einfach dort einfangen, wo es rund um die Uhr und dazu noch intensiver strahlt als auf der Erde: im All? Damit stünde auch über das gesamte Jahr eine erneuerbare Grundlastenergie zur Verfügung, um die Stromnetze zu stabilisieren.

 

Britische Pläne

Das Konzept der weltraumgestützten Solarenergie ist nicht neu, galt aber lange als kaum umsetzbar. Steigender Bedarf nach erneuerbaren Energien und sinkende Preise für Solarpaneele wie für Weltraumflüge könnten die Realisierung nun in erreichbarere Nähe rücken. Die britische Regierung etwa hat 2022 angekündigt, rund 15 Milliarden Pfund (etwa 18 Milliarden Euro) in die Technologie zu investieren. 2030 soll ein erster Testsatellit ins All geschossen werden, ab Anfang der 2040er-Jahre könnten große Solarkraftwerke im Orbit dann 15 Prozent des britischen Energiebedarfs decken und mehr und mehr fossile Kraftwerke ersetzen. So lautet zumindest der Plan der sogenannten Space Energy Initiative, zu der sich britische Ministerien, Forschungseinrichtungen und Raumfahrtunternehmen zusammengeschlossen haben.

 

Allstrom für Island

Im November 2024 hat sich das Start-up Space Solar mit einem besonders ambitionierten Plan zu Wort gemeldet: Schon ab 2030 will das ebenfalls britische Unternehmen Island über Satelliten mit Strom versorgen. Den Anfang macht gemäß diesem Plan ein „kleinerer“ Prototyp mit einem Durchmesser von 400 Metern, der aus rund 37 Kilometern Höhe Strom für rund 3.000 isländische Haushalte liefern soll. Der Satellit wäre damit fast viermal so groß wie das bislang größte menschengemachte Objekt im Weltraum, die ISS.

Bis 2036 will das Start-up, das mit einem isländischen Energieunternehmen kooperiert, dann weitere Solarmodule in den geostationären Orbit schicken. Dort sollen sie von Drohnen montiert und miteinander verbunden werden, um mit einem Durchmesser von 1.700 Metern Strommengen im Gigawattbereich auf die Erde zu schicken. Das entspricht der Kapazität eines mittleren Atomkraftwerks.

 

Wie die Solarenergie zur Erde kommt

Die Sonnenstrahlung wird dazu zunächst über bewegliche Reflektoren auf die Solarpaneele gelenkt. Der so erzeugte Strom wird in Mikrowellen umgewandelt und auf die Erde übertragen. Hier werden die Mikrowellen von riesigen Antennenfeldern aufgefangen und wieder in Strom konvertiert. Der Clou dabei: Die Mikrowellen können theoretisch an jeden Ort der Erde geschickt werden, an dem gerade Strom benötigt wird – vorausgesetzt, dass dort eine solche Empfangsstation installiert ist.

Mit einer kalkulierten Fläche von 78 Quadratkilometern bräuchten diese Antennenfelder fast so viel Platz wie Würzburg. Laut Space Solar könnten sie daher etwa in dünn besiedelten Gegenden installiert und die Flächen zugleich für die Landwirtschaft genutzt werden. Aber auch eine Installation auf dem Meer, etwa bei Offshore-Windparks, sei denkbar, wo sie dann direkt ans bestehende Stromnetz angeschlossen werden könnten.

 

 

 

Erfolgreicher Test

Dass das Prinzip grundsätzlich funktionieren kann, haben Forschende des California Institute of Technology (Caltech) in der Praxis erprobt und demonstriert. Im Juni 2023 gelang es dem Team, erstmals Solarstrom als Mikrowellen auf die Erde zu übertragen. Außerdem testeten die Forschenden verschiedene Photovoltaikzellen und eine ausfaltbare Struktur, die später als Solarkraftwerk dienen soll. Alle drei Testreihen waren erfolgreich, wenn auch nicht alles nach Plan lief. So machte etwa der Entfaltungsmechanismus Probleme, die aber von den Forschenden behoben werden konnten.

Alle technischen Fragen sind damit natürlich längst nicht geklärt: Kilometergroße Satelliten wurden schließlich nie zuvor mit Drohnen im All montiert. Auch die Stromübertragung via Mikrowelle wurde bislang nicht in der erforderlichen Größenordnung realisiert – selbst wenn Experimente auf der Erde das Prinzip dahinter wiederholt bestätigt hätten, wie Space Solar betont. Und was, wenn Weltraumschrott die so riesigen wie kostspieligen Solarsegel durchlöchert und unbrauchbar macht? Dieses Risiko wäre laut dem britischen Start-up beherrschbar. Denn im geostationären Orbit, wo die Satelliten zum Einsatz kommen sollen, schwirrt vergleichsweise wenig Schrott herum. Käme es dennoch zu einer Kollision, würde ihr modularer Aufbau einen Totalausfall verhindern und die Gesamtleistung der Anlage nur unerheblich beeinträchtigt, verspricht Space Solar.

 

Knackpunkt Kosten

Aktuell gelten in jedem Fall die Kosten der Technologie noch als kritischer Faktor: Um den widrigen Bedingungen im All widerstehen zu können, werden Solarzellen für den Weltraumeinsatz aufwendiger produziert und sind dadurch aktuell noch hundertmal teurer als die für Dach, Balkon oder Wiese. Trotzdem altern sie schneller als auf der Erde. Hinzu kommen die Kosten für den Transport der Module ins All, für Wartungsflüge und Ersatzteile. Alles in allem könnte Strom aus dem All zwölf- bis 80-mal teurer sein als der aus Solar- oder Windkraftanlagen auf der Erde, so eine Studie der NASA.

Doch das müsse nicht zwangsläufig so bleiben, so die Forschenden: Wenn die Komponenten noch langlebiger werden, die Solarsatelliten effizient in großer Stückzahl gefertigt werden und zugleich die Transportkosten sinken, könnte der Strom aus dem All wirtschaftlich zu den irdischen Erneuerbaren aufschließen. Space Solar setzt hier große Erwartungen auf wiederverwendbare Raketensysteme, wie sie etwa SpaceX mit seinem Starship entwickelt. Diese gelten auch für das Beratungsunternehmen Frazer-Nash als Schlüsselfaktor für die Wirtschaftlichkeit der Technologie.

 

Projekt Solaris

Zu einem ähnlichen Befund kommen Konzeptstudien der europäischen Weltraumorganisation ESA, die im Projekt Solaris die Möglichkeiten von Allstrom auslotet: Die Investitionskosten für Strom aus dem All seien zwar hoch, würden aber nach aller Voraussicht durch die langfristigen wirtschaftlichen Vorteile wettgemacht. Weitere Forschung und die konsequente internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung des regulatorischen Rahmens wie der strategischen Planung der Projekte seien aber entscheidend, um „das volle Potenzial dieses innovativen Ansatzes auszuschöpfen“, so die Studienautorinnen und -autoren. Dann könne „weltraumgestützte Solarenergie bereits in den 2030er-Jahren eine wesentliche Rolle bei der Bewältigung der Energieherausforderung spielen“, sagt Sanjay Vijendran, Leiter des Solaris-Projekts.

Auf Basis der Vorarbeiten von Solaris will die EU voraussichtlich Ende 2025 entscheiden, ob ein Entwicklungsprogramm für solche Satellitensysteme lanciert werden soll, um unseren Kontinent in Zukunft auch aus dem Orbit mit grünem Strom zu versorgen.

 

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