04. Juli 2024
Ohne die Sonne wäre unsere Erde kahl und leer. Ihr Leben spendendes Licht entsteht in ihrem heißen Innern – Wasserstoffatomkerne verschmelzen dort zu Helium. Diese Kernfusion setzt gewaltige Energien frei, die das Sonnensystem erwärmen. An der Experimentieranlage Wendelstein 7-X in Greifswald arbeitet der Experimentalphysiker Robert Wolf vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik daran, die Kernfusion als Energiequelle auf der Erde nutzbar zu machen.
Herr Wolf, welche Vorteile bietet die Kernfusion gegenüber der Kernspaltung?
Robert Wolf: Die Kernfusion bietet grundsätzlich zwei entscheidende Vorteile. Anders als bei der Kernspaltung wird kein Uran benötigt, das nur begrenzt verfügbar ist und unter großem Energieaufwand abgebaut werden muss. Als Fusionsbrennstoffe dienen vielmehr die Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium. Deuterium ist in Meerwasser enthalten. Tritium – ein radioaktives Gas – kommt in der Natur zwar kaum vor, kann aber über Lithium im Reaktor „erbrütet“ werden. Und Lithium, das man vor allem aus der Akkuproduktion kennt, ist auf der Erde ebenfalls reichlich vorhanden. Dabei benötigt ein Fusionsreaktor nur extrem geringe Mengen Brennstoff: Bei einem Kraftwerk mit einer Wärmeleistung von einem Gigawatt wären das 300 Gramm Deuterium und Lithium am Tag. Ein vergleichbares Kohlekraftwerk benötigt dazu täglich Tausende Tonnen Kohle, ein Kernkraftwerk mehrere Kilogramm Uran. Im Vergleich zu Letzterem ist ein Fusionskraftwerk auch ungleich „sauberer“. Durch die Neutronen, die bei der Fusion entstehen, werden zwar ebenfalls Materialien im Reaktor radioaktiv, allerdings mit deutlich kürzerer Halbwertzeit. Stahl zum Beispiel, der im sogenannten Plasmagefäß – dem Herzstück eines Fusionsreaktors – zum Einsatz kommt, könnte nach 50 bis 100 Jahren wiederverwendet werden. Er müsste also nicht endgelagert werden, so wie hoch radioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken.
Und was macht die Kernfusion ungleich komplizierter als die Kernspaltung?
Das Prinzip eines Spaltungsreaktors ist vergleichsweise einfach und lässt sich mit einem Tauchsieder vergleichen: Die Kettenreaktion der Brennstäbe erzeugt Hitze, die das Wasser verdampfen lässt; der Dampf wird auf eine Turbine geleitet, und dadurch wird dort Strom erzeugt. Bei der Fusion dagegen steckt die eigentliche Herausforderung in der Herbeiführung der Fusionsreaktion selbst. Atomkerne sind positiv geladen und stoßen sich ab. Sie können nur verschmelzen, wenn sie sich hinreichend nahe kommen. Dafür sorgt in der Sonne der enorm hohe Druck, den wir technisch nicht reproduzieren können – zumindest nicht in einer kontinuierlich laufenden Reaktion.
Wie lässt sich die Fusion stattdessen auf der Erde bewerkstelligen?
Ein Fusionsreaktor benötigt Temperaturen, die rund zehnmal heißer sind, als es auf der Sonne der Fall ist. Bei diesen Temperaturen wird Wasserstoffgas zu Plasma. Das heißt, die Atome sind aufgebrochen, und Elektronen und Atomkerne bewegen sich unabhängig voneinander. Und je höher die Temperatur, desto schneller bewegen sich die Atomkerne, wodurch sie ihre Abstoßungskraft überwinden und fusionieren können. Ziel ist es, das Plasma auf 100 Millionen Grad zu erhitzen, um es zu entzünden und so eine sich selbst erhaltende Fusionsreaktion auszulösen. Der Reaktor erzeugt also mehr Energie, als man in ihn hineinsteckt. Das ist bislang noch nicht möglich. Der Experimentalreaktor ITER, der in Frankreich gebaut wird und an dem neben der EU, Japan, China, Russland, Südkorea, Indien und die USA beteiligt sind, soll erstmals ein brennendes und für längere Zeit Energie lieferndes Plasma erzeugen. Er wird allerdings noch keinen Strom produzieren. Um diese hohen Temperaturen aber überhaupt erreichen und aufrechterhalten zu können, darf das Plasma seine Wärme nicht zu leicht nach außen abgeben. Wie bei einer Hauswand benötigen wir also eine Isolation. Und diese Isolation übernimmt bei ITER wie bei unserer Versuchsanlage Wendelstein 7-X ein starkes Magnetfeld. Das schließt das Plasma ein und verhindert, dass das heiße Plasma mit der Wand des Plasmagefäßes in Berührung kommt und dadurch verunreinigt wird beziehungsweise auskühlt.
© Foto: MPI für Plasmaphysik, Wolfgang FilserBlick in eines der Module: Erkennbar sind das Plasmagefäß, eine Magnetspule, das Außengefäß sowie zahlreiche Leitungen für Kühlmittel und Strom.
Was ist das Ziel Ihrer Forschung bei Wendelstein 7-X?
Während etwa bei ITER oder der Versuchsanlage JET in Großbritannien ein Tokamak-Reaktor zum Einsatz kommt, erproben wir bei Wendelstein 7-X erstmals das theoretische Konzept eines sogenannten optimierten Stellarators in der Praxis. Der Stellarator ist das ältere Konzept und im Prinzip besser für einen Dauerbetrieb und damit für den Kraftwerkseinsatz geeignet. Allerdings muss sein Magnetfeld optimiert, also viel komplexer konzipiert und feinjustiert werden, was mit den physikalischen Erkenntnisfortschritten und der wachsenden Rechnerleistung ab den 1980er-Jahren überhaupt erst möglich wurde. Mit Wendelstein 7-X wollen wir wichtige Erkenntnisse für den Kraftwerksbetrieb gewinnen und konkret demonstrieren, dass man ein Hochtemperaturplasma mit einem Stellarator über längere Zeit aufrechterhalten kann. So ist es uns 2023 bereits gelungen, ein Plasma über acht Minuten auf 20 Millionen Grad zu halten.
Was sind dabei die zentralen Problemstellungen, denen Sie sich in Ihrer Forschung widmen?
Die Auslegung des Magnetfelds beim Stellarator ist hochkomplex. Ein großer Teil der Forschung dreht sich daher um die Frage: Wie muss ein solches Magnetfeld aussehen, damit es das Plasma bestmöglich einschließt und zugleich technisch wie wirtschaftlich realisierbar bleibt? Zugleich versuchen wir auch immer genauer zu verstehen, wie sich das Plasma in einem solchen Stellarator verhält: Wie in Luft oder Wasser entstehen auch in einem Plasma Turbulenzen, also Verwirbelungen. Und diese Verwirbelungen kühlen das Plasma ab, was wir natürlich weitestgehend vermeiden wollen. Heutige Supercomputer erlauben uns nun erstmals, diese Turbulenzen zu berechnen. Und je tiefer wir durchdringen, wie diese Turbulenzen verlaufen, desto besser können wir ihnen bei der Konzeption eines Fusionskraftwerks entgegensteuern.
Wie ist der weitere Fahrplan für Wendelstein 7-X?
Unser zentrales Ziel ist es, die Versuchsdauer sukzessive auf 30 Minuten und die Plasmatemperatur auf bis zu 50 Millionen Grad zu steigern. Das ist technisch alles andere als trivial und nicht von jetzt auf gleich gemacht. Um das Plasma aufzuheizen, verwenden wir spezielle Hochleistungsmikrowellenröhren, die nur vier Firmen auf der Welt bauen können. Mit diesen Unternehmen und weiteren Forschungseinrichtungen haben wir ein Programm auf den Weg gebracht, um doppelt so leistungsfähige Röhren für Wendelstein 7-X zu entwickeln.
Wann können wir mit den ersten Fusionskraftwerken im Praxisbetrieb rechnen?
Die Fusionstechnologie ist etwas grundlegend Neues. Und wenn man Dinge macht, die noch nie zuvor gemacht wurden, sind Fehlschläge unvermeidlich, und es dauert auch einmal länger als ursprünglich prognostiziert. So sollte ITER ab 2025 erstes Plasma erzeugen, aber durch erforderliche Reparaturmaßnahmen an gelieferten Komponenten verzögert sich die Fertigstellung. Aus solchen Verzögerungen können wir jedoch wichtige Lehren ziehen: Bislang sind wir auf dem Pfad der Vorsichtigen unterwegs. Das heißt, die Entwicklungsschritte zum Fusionsreaktor folgen sukzessive aufeinander – und erst wenn eine neue Zwischenstufe erreicht ist, geht es in die nächste Phase. Wenn wir dagegen Tempo machen, also zeitgleich an unterschiedlichen Lösungsansätzen arbeiten und entsprechend auch mehr Geld als bisher in die Forschung und die Entwicklung stecken, könnten wir deutlich schneller ein erstes Demonstrationskraftwerk fertiggestellt haben, vielleicht sogar schon in 20 Jahren. Das mag lange klingen. Doch die globale Umstellung auf eine klimaneutrale Energieproduktion wird bis dahin nicht abgeschlossen sein. Und die Kernfusion kann hier eine wichtige Ergänzung zu den Erneuerbaren sein, da sie in der Lage wäre, energieintensive Industrien, Ballungsräume und insbesondere auch die wachsende Zahl an Megacitys bei jeder Tageszeit und Witterungslage wirtschaftlich mit CO2-freiem Strom und Wärme zu versorgen.
© Foto: MPI für Plasmaphysik, Jan Michael HosanWendelstein 7-X: An der Experimentieranlage in Greifswald möchte Robert Wolf vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik wichtige Erkenntnisse über die Kernfusion als Energiequelle gewinnen.
Gleichungen mit vielen Unbekannten
Das Außengefäß von Wendelstein 7-X sieht aus wie eine Mischung aus moderner Skulptur und technischem Meisterwerk. Dass in der Versuchsanlage erstmals ein Fusionsreaktor vom Typ Stellarator in größerem Maßstab erprobt werden kann, daran haben auch die Berechnungsingenieurinnen und -ingenieure von DMT ENCOS (ehemals IGN) einen maßgeblichen Anteil. Die Fachleute der Tochter der TÜV NORD GROUP haben etwa ab 2001 Stabilität und Festigkeit des Plasmagefäßes und der Außenhülle in komplexen Gleichungen berechnet. Dabei ging es um Gleichungssysteme mit sehr vielen Unbekannten – eine enorme Herausforderung mit der Rechenleistung damaliger Computer. Darüber hinaus waren die Expertinnen und Experten an der Montageplanung der Kühlkreisläufe beteiligt.
© MPI für Plasmaphysik
Zur Person:
Robert Wolf ist Professor für Plasmaphysik an der TU Berlin und Leiter des Bereichs Stellarator-Heizung und -Optimierung am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Der Experimentalphysiker beschäftigt sich seit seiner Promotion an der Fusionsanlage JET in Großbritannien mit der Kernfusion. Bei Wendelstein 7-X ist er verantwortlich für die Entwicklung von Heiz- und Messsystemen und die weitere Optimierung des Stellarator-Konzepts.