19. Oktober 2023
Die kalte Jahreszeit naht, und da stellen sich viele die Frage: Lässt sich grüner Wasserstoff eigentlich auch zum Heizen nutzen? Wenn ja, was sind die technischen Voraussetzungen für eine entsprechende Umstellung? Und rechnet sich eine H2-Heizung auch für Hausbesitzende? Darüber haben wir mit Thomas Kattenstein gesprochen, Wasserstoffexperte bei der TÜV-NORD-Tochter EE ENERGY ENGINEERS.
#explore: Herr Kattenstein, im Zuge der hitzigen Diskussion um das sogenannte Heizungsgesetz wurde immer wieder auch Wasserstoff als mögliche Option ins Spiel gebracht. Wie ist der aktuelle Stand der Technik: Gibt es bereits Gasheizungen, die H2-ready sind?
Thomas Kattenstein: Tatsächlich vertragen heutige Erdgasheizungen bereits problemlos Wasserstoffbeimischungen bis 20 Prozent. Geräte, die ausschließlich mit Wasserstoff betrieben werden, kann man aktuell zwar noch nicht kaufen. Aber alle großen Hersteller entwickeln und erproben solche Systeme, die dann 2024 bis 2025 in größerer Zahl auf den Markt kommen dürften.
Wie unterscheiden sich solche Geräte von der klassischen Gasheizung?
Wasserstoff verbrennt heißer als Erdgas und entwickelt eine andere Flamme, daher haben H2-Heizungen eine andere Brennertechnologie und verwenden Werkstoffe, die mit den höheren Temperaturen zurechtkommen. Außerdem wird bei der Verbrennung von H2 mehr Wasserdampf produziert, was bei der Konstruktion der Anlagen zu berücksichtigen ist. Unterm Strich handelt es sich aber um überschaubare Anpassungen, vergleichbar mit der Umstellung bei Erdgasheizungen von L-Gas auf H-Gas, die vor allem in Nordwestdeutschland seit letztem Jahr im Gange ist.
Welche Voraussetzungen muss die Infrastruktur für eine Umstellung erfüllen – zum Beispiel der Tank im Garten und das Leitungssystem im Haus?
Also, der heutige Flüssiggastank wäre künftig tatsächlich keine Option mehr. Denn darin ließe sich nicht genügend Wasserstoff speichern, um gut über den Winter zu kommen. Vielmehr könnte man bei Gebäuden, die bereits an das Gasnetz angeschlossen sind, Erdgas durch grünen Wasserstoff ersetzen. 95 Prozent aller Gasleitungen im Verteilnetz lassen sich laut der Netzbetreiber ohne Weiteres auf Wasserstoff umstellen. Bei den Transportnetzen – also den Gaspipelines – sind die Leitungen selbst ebenfalls kompatibel. Da Wasserstoff als das kleinste Molekül flüchtiger ist als Erdgas, müssen gegebenenfalls Armaturen wie Absperrhähne oder Ähnliches ausgetauscht werden. Vor allem werden neue Kompressoren benötigt, um den Wasserstoff bei der Einspeisung ins Netz zu verdichten. Dieser Austausch dürfte zeitlich wie finanziell der mit Abstand größte Faktor bei der Umstellung der Gasnetze sein.
Zur Person:
Thomas Kattenstein ist Leiter des Competence Centers Wasserstoff bei EE ENERGY ENGINEERS. Der Diplom-Ingenieur für Maschinenbau und Energietechnik und sein Kollegium sind Wasserstoffexpertinnen und -experten der ersten Stunde. Sie beraten Politik und Wirtschaft seit über 20 Jahren zu den Einsatzmöglichkeiten des kleinsten Elements unseres Universums – angefangen bei der Frage, welche Standorte sich durch ihre Nähe zu erneuerbaren Energieträgern und potenziellen Abnehmern gut für Elektrolyseure eignen, über Machbarkeitsstudien und die Auslegung konkreter Elektrolyseanlagen bis hin zur Vorbereitung von Genehmigungsverfahren und der Abstimmung mit den Behörden.
Der HydroHub, die Wasserstoffinitiative der TÜV NORD GROUP, bündelt die Expertise der operativen Bereiche in Beratung und Engineering, zum Beispiel der EE ENERGY ENGINEERS, der Encos und der DMT GROUP.
Wie würde eine solche Umstellung ablaufen? Könnten innerhalb eines lokalen Gasnetzes einzelne Häuser mit Wasserstoff und andere weiterhin mit Erdgas betrieben werden?
Als Wasserstoff vor rund zehn Jahren erstmals breiter öffentlich diskutiert wurde, hat man vor allem über eine Beimischung zum Erdgas nachgedacht, um Industrie, Verkehr und Wärme sukzessive klimafreundlicher zu machen. Heute ist es allgemeiner Konsens, dass etwa die Stahlindustrie und die Chemiebranche große Mengen reinen Wasserstoffs benötigen, um signifikant CO2 einzusparen. Statt auf eine Beimischung wird man hier direkt komplett auf grünen Wasserstoff gehen. Und das gilt dann ebenso für die Gebäudewärme, die über dasselbe Gasnetz versorgt wird. Daher würde man an einem Tag X in einem gesamten Netzbereich den Betrieb von Erdgas auf Wasserstoff umstellen. Zu diesem Zeitpunkt müssen auch alle angeschlossenen Heizungen H2-ready sein. Es kann also nicht der eine Haushalt Wasserstoff und der andere Erdgas nutzen, das würde in der Praxis nicht funktionieren.
Wie steht es um die Effizienz von Wasserstoff gegenüber anderen nachhaltigen Heizformen wie der Wärmepumpe?
Bei der Effizienz ist die Wärmepumpe eindeutig überlegen, da sie mehr Heizenergie erzeugt, als man Strom in sie hineinsteckt. Bei der Auslegung einer Wärmepumpe setzt man mindestens eine Jahresarbeitszahl von drei an. Das bedeutet, dass sie aus einem Kilowatt Strom drei Kilowatt Heizenergie macht. Sie hat also einen Wirkungsgrad von 300 Prozent. Nutze ich dieselbe Strommenge, um Wasserstoff herzustellen, muss ich zunächst rund 30 Prozent der Energie für die Elektrolyse, also die Wasserstoffherstellung, aufwenden. Hinzu kommen Verteilverluste beim Heizkessel, wodurch sich ein Wirkungsgrad von 50 bis 60 Prozent ergibt. Der Wirkungsgrad einer Wärmepumpe ist daher fünf- bis sechsmal so hoch wie der einer Wasserstofftherme. Allerdings lassen sich eben nicht alle Gebäude mit einer Wärmepumpe beheizen beziehungsweise wäre bei manchen Altbauten der energetische Sanierungsaufwand so hoch, dass sich das wirtschaftlich einfach nicht rechnet. In solchen Fällen ist grüner Wasserstoff als Heizmittel eine Option! Den werden wir künftig ohnehin im Gasnetz haben. Zum einen, um eben große industrielle Verbraucher zu versorgen. Aber auch, weil wir mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren den Wasserstoff als Speicher für wind- und sonnenärmere Zeiten benötigen. Als Kurzzeitspeicher zur Netzstabilisierung sind Batterien eine gute Option. Aber wenn man große Mengen Energie über lange Zeit speichern will, ist Wasserstoff das Mittel der Wahl.
Die Wärmepumpe ist eindeutig Effizienz-Meisterin. Wo sie nicht zum Einsatz kommen kann, ist Wasserstoff als Heizmittel eine Option.
Vorhandene Struktur nutzbar: Fas alle Gasleitungen im Verteilnetz lassen sich laut der Netzbetreiber auf Wasserstoff umstellen.
Noch wird grüner Wasserstoff nur in kleinen Mengen und zu hohen Preisen produziert. Wird er in absehbarer Zeit überhaupt in ausreichenden Mengen und zu vertretbaren Kosten zum Heizen verfügbar sein?
Sicher wird man zunächst darauf setzen, große Verbraucher in der Industrie und im Verkehr mit grünem Wasserstoff zu versorgen, bevor er zum Heizen verwendet werden kann. Wenn wir den Wasserstoff neben der hiesigen Produktion auch via Pipeline aus Skandinavien, Schottland und Nordafrika beziehen, kann das aber sehr schnell gehen. Letztlich dürften wir auf Kosten von zwei bis vier Euro pro Kilogramm Wasserstoff kommen. Bei zwei Euro wären das sechs bis sieben Cent pro Kilowattstunde. Die Kosten für Erdgas und Öl werden auch durch den steigenden CO2-Preis deutlich darüber liegen. Daher wäre es auch keine gute Idee, sich vor Inkrafttreten des Heizungsgesetzes noch schnell eine neue Ölheizung anzuschaffen. Die Wasserstofftherme könnte mit diesen Kosten pro Kilowattstunde auch mit der Wärmepumpe konkurrieren. Die wird zwar immer auf niedrigere Energiekosten kommen, zumal der Strompreis mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren wieder sinken wird. Die geringeren Anschaffungskosten für eine H2-Heizung dürften das aber wieder ausgleichen.
Welche Rolle wird grüner Wasserstoff im nachhaltigen Heizsystem der Zukunft spielen?
Prozentual gesehen dürfte sich die Wärmepumpe durchsetzen, dann folgen Fernwärme und Wasserstoff auf den weiteren Plätzen. Fernwärme wird in großen Städten und dicht besiedelten Gebieten immer wichtiger werden – zunehmend auch mit der Abwärme aus Industrieanlagen oder dezentralen Elektrolyseuren. Hier sind die Potenziale noch lange nicht ausgeschöpft. Bei Neubauten und Sanierungen ist die Wärmepumpe zumeist das Mittel der Wahl; Wasserstoff bei Gebäuden, bei denen Fernwärme nicht verfügbar ist und sich eine Wärmepumpe durch den Sanierungsaufwand nicht rechnet. In ländlichen Regionen können außerdem Biogas oder Holzpelletheizungen eine Rolle spielen.