16. Mai 2019
Wir alle schicken bekanntermaßen zu viel CO2 in die Atmosphäre. Und das nicht nur mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit oder in den Urlaub: Wohn- und Bürogebäude zählen zu den größten Verursachern von klimaschädlichen CO2-Emissionen. Neben besserer Wärmedämmung sollen auch effizientere Lüftungsanlagen den Energieverbrauch senken und so die Umwelt schonen. Ob solche Anlagen halten, was sie versprechen, das testen die Experten von TÜV NORD am Prüfstand für Kälte-, Klima- und Lüftungstechnik in Essen.
Wer vom Essener Hauptbahnhof zum Technologiepark will, der fährt mit dem Auto ein Stück über die A40 oder steigt in den 146er oder 147er Richtung Kray – Busse, die auf einem eigenen Mittelstreifen auf der Autobahn am Berufsverkehr vorbeirollen. Treibender Gedanke hinter dieser Straßenaufteilung ist die Effizienz. Um sie geht es auch am Ziel der Fahrt: Am Hauptstandort von TÜV NORD prüfen Timo Reisner und seine Kolleginnen und Kollegen in einer großen Halle, wie effizient kälte-, klima- und lüftungstechnische Geräte eigentlich sind.
© Udo GeislerEffizienter Brummer: Mit den immer höheren Anforderungen an die Energieeffizienz wachsen auch die Lüftungsanlagen.
Moderne Lüftungsanlagen gelten neben Wärmedämmung und dichteren Fenstern als zentraler Baustein, um Wohnhäuser und Bürogebäude energieeffizienter zu machen. Sie sollen nicht nur Heizkosten sparen, sondern vor allem den Energiebedarf senken, der heute immer noch überwiegend über klimaschädliche fossile Brennstoffe gedeckt wird und Emissionen nach sich zieht. „In großen Gebäuden ist eine zentrale Lüftungsanlage unerlässlich, weil eine Gebäudetechnik für effizientere Lüftung sorgen kann, als der einzelne Mensch es de facto tun könnte“, erklärt Timo Reisner, stellvertretender Technischer Leiter der Prüfstelle. Denn Lüftungsanlagen sorgen nicht nur für frische Luft bei geschlossenen Fenstern. Zusätzlich sollen sie sicherstellen, dass die Wärme, die im Winter durch die Heizung, elektrische Geräte und die Körper der Menschen ausgestrahlt wird, nicht ungenutzt in die Atmosphäre verpufft. „Wenn ich in einem Büro das Fenster aufreiße, rauscht die Heizenergie einfach nach draußen“, sagt Reisner. Zentrale Lüftungsanlagen dürfen seit 2016 deshalb nur noch mit eingebauter Technik zur Wärmerückgewinnung verkauft werden, ergänzt Reisners Kollege Marius Ciucas. Das besagt eine Aktualisierung der sogenannten Ökodesign-Richtlinie (ErP), mit der die EU seit 2009 Energieverbrauch und Treibhausemissionen senken will.
© Udo GeislerDer Sachverständige Marius Ciucas (links) und Timo Reisner, stellvertretender Technischer Leiter der Prüfstelle.
Und je besser ein Gebäude durch moderne Fenster und Wärmedämmung abgedichtet ist, desto notwendiger wird auch eine Lüftungsanlage. Denn anders als bei herkömmlichen Bauten kann die verbrauchte und feuchte Luft nicht automatisch etwa durch die Ritzen der Fenster nach draußen ziehen. „Dadurch, dass eine Lüftungsanlage immer wieder neue Luft in den Raum bläst und alte Luft abtransportiert, wird Schimmelbildung vermieden. Für Kinder und Asthmatiker ist das eine Win-win-Situation“, so Ciucas. Auch Allergiker können von einer Lüftungsanlage profitieren: Spezielle Filter fangen die Pollen ab, bevor sie in die Innenräume gelangen.
Größere Lüftungsanlagen für geringeren Energieverbrauch
Alle zwei Jahre werden die Anforderungen an die Energieeffizienz der Lüftungsgeräte weiter verschärft. Das sorgt auch dafür, dass die Anlagen immer größer werden, berichtet Timo Reisner. „2018 ist die nächste Stufe der Ökodesign-Richtlinie in Kraft getreten. Um die Bestimmungen einzuhalten, muss man die Luftgeschwindigkeiten in diesen zentralen Klimageräten verringern.“ Denn je schneller die Luftteilchen durch die Geräte sausen, desto stärker werden sie beim Aufprall auf Hindernisse wie Kühler, Heizer oder Filter verwirbelt. Solche Turbulenzen erzeugen Druckverluste, die Ventilatoren müssen stärker arbeiten, fressen also mehr Strom. „Um dieselbe Luftmenge bei einer geringeren Geschwindigkeit zu transportieren, benötige ich deshalb einen größeren Geräte-Querschnitt“, erklärt der studierte Geophysiker und promovierte Ingenieur.
© Udo GeislerGrößere Ventilatoren verkleinern den Energieverbrauch: Mit den Anforderungen an die Energieeffizienz wachsen auch die Ventilatoren, die mit effektiveren Motoren bei niedrigeren Drehzahlen dieselbe Menge Luft transportieren können.
Einen Eindruck davon erhält man in der großen Multifunktionshalle, in der die imposanten Lüftungsgeräte auf ihren Prüfeinsatz warten. „Je größer der Durchmesser des Luftkanals, desto geringer ist dessen Oberfläche im Verhältnis zum Volumen des Luftstroms. Dadurch gibt es relational gesehen auch weniger Oberfläche, an der die Luft sich reiben und dadurch Geschwindigkeit verlieren kann“, erläutert Reisner einen zusätzlichen Effekt der größeren Geräte. Denn je weniger Bewegungsenergie die Luftteilchen bei ihrem Weg durch die Lüftungsanlage verlieren, desto weniger Strom benötigen auch die Ventilatoren, um in den Büroräumen für frischen Wind zu sorgen.
Geringere Drehzahlen senken den Energieverbrauch drastisch
„Ein weiterer Vorteil der größeren Anlagen ist, dass man auch größere Ventilatoren einsetzen kann“, sagt Marius Ciucas. Neben Kühler und Heizer sind schließlich vor allem sie für den Energieverbrauch einer Anlage verantwortlich. Und mit größeren Ventilatoren, die mittlerweile auch mit den deutlich energieeffizienteren EC-Motoren angetrieben werden, kann man bei geringerer Drehzahl dieselbe Luftmenge transportieren – was den Stromverbrauch erheblich drückt. „Der Energieverbrauch steigt und sinkt in der dritten Potenz zur Drehzahl. Das heißt, wenn ich die Drehzahl verdoppele, habe ich den achtfachen Energieverbrauch“, stellt Reisner fest.
© Udo GeislerWo Wärme und Kälte gemacht werden: Um die Luft in den Prüfkammern auf die erforderliche Temperatur zu bringen, wird Wasser in der Wärme- und Kältezentrale aufgeheizt oder abgekühlt.
Reisner, Ciucas und ihre Kolleginnen und Kollegen sind auf die wachsende Technik bestens vorbereitet. Mitte 2016 sind sie vom alten Prüfstand in der Essener Langemarckstraße an den neuen Standort „Am TÜV“ gezogen. Hier haben sie in nunmehr zwei deutlich größeren Prüfkammern erheblich mehr Platz und damit die nötige Flexibilität, um Geräte zur IT-Kühlung, Rooftops, Split-Klimageräte, Schaltschrankkühlgeräte, aber vor allem die wuchtigen raumlufttechnischen Zentralgeräte zu testen, die sie tatsächlich am häufigsten auf den Prüfstand stellen.
Als unabhängiges Prüflabor sind sie beispielsweise schon seit 20 Jahren für den französischen Zertifizierer Eurovent Certita Certification (ECC) tätig. Daneben kontrollieren sie auch die Anlagen für die zukünftigen Betreiber von Bürogebäuden. Denn große Lüftungsanlagen lassen sich nicht aus dem Katalog bestellen. „Diese raumlufttechnischen Geräte sind eigentlich immer maßgeschneidert“, erklärt Timo Reisner. Die Gebäudeplaner wenden sich mit ihren konkreten Anforderungen an den Hersteller ihrer Wahl. „Und die haben alle ihre eigene Auslegungssoftware. Da geben sie die vom Planer geforderten Rahmenbedingungen ein, und dann wird das Gerät zusammengerechnet und zur Verfügung gestellt“, ergänzt Marius Ciucas. Ob das Gerät, das die Software ausgespuckt hat, tatsächlich den Anforderungen des Auftraggebers entspricht, das untersuchen die TÜV-NORD-Experten in sogenannten Witness-Tests.
Prüfungen bei tropischen Temperaturen
Vor jeder Prüfung wird das Gerät in der sogenannten Raumluftkammer aufgebaut und mittels Luftkanälen an die benachbarte Außenluftkammer angeschlossen. Dann beginnt der Techniker, die Anlage mit Temperatursensoren und Schläuchen zur Luftdruckmessung zu bestücken. Schließlich werden Raumluftkammer und Außenluftkammer auf Temperatur und Luftfeuchte gebracht. „Wir können so simulieren, dass das Gerät direkt an der Außenwand eines Gebäudes angeschlossen ist“, so Reisner. Und weil die Anlagen maßgeschneidert werden, müssen sie natürlich den Temperaturen und Bedingungen am jeweiligen Einsatzort standhalten. Im vergangenen Jahr hatten die Experten häufiger Geräte für Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate auf dem Prüfstand. „Da hatten wir dann Außenbedingungen von 36 Grad Celsius und 74 Prozent Luftfeuchtigkeit. Wenn man da die Tür zur Prüfkammer aufgemacht hat, hatte man wirklich das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen“, erzählt Reisner und lacht.
© Udo GeislerDie Hygienetauglichkeit überprüfen: Damit die Kühler den Hygienevorgaben genügen, dürfen ihre Lamellen nicht zu dicht beieinanderstehen.
Bei der Prüfung wird die Außenluft in das Gerät geleitet, und der Luftvolumenstrom, die Luftfeuchtigkeit, die Temperatur und der Luftdruck werden gemessen. Der Druckverlust wird bei jedem einzelnen Bauteil in der Anlage ermittelt: vom Filter über die Wärmerückgewinnung, den Kühler für den Sommer, den Heizer für den Winter bis zum Ventilator. Zusammengenommen lässt sich so ermitteln, wie leistungsfähig das Gerät und seine Komponenten tatsächlich sind. Beim Ventilator, dem Kühler, dem Heizer sowie der Wärmerückgewinnung wird auch noch die Temperatur gemessen – und zwar jeweils vor und hinter der Komponente. „Bei den Wärmerückgewinnungssystemen können wir so die Energieeffizienz ermitteln, also wie viel von der Energie in der Abluft das Gerät wieder rückgewinnen kann“, erklärt Reisner. Pro Messebene, also vor und nach jedem Bauteil, kommen dabei in der Regel zehn Temperatursensoren zum Einsatz. Das macht die Messung nicht nur besonders präzise, sondern erlaubt den Experten zugleich, die Qualität und Genauigkeit der eigenen Messung zu überprüfen.
Um im Anschluss an die Leistungsprüfung auch die elektrische Sicherheit, die Filtertechnik, die hygienische Eignung oder die Schallemissionen zu überprüfen, arbeiten sie mit den Fachleuten aus anderen Bereichen zusammen. Denn die effizienteste Anlage hilft wenig, wenn ihre Geräusche den Büroangestellten an den Nerven zehren.
Neue Ideen auf den Weg bringen
Was die Experten besonders an ihrer Arbeit reizt? „Die Vielfältigkeit, die damit verbunden ist“, antwortet Marius Ciucas. „Weil jedes Gerät für einen Betreiber konfiguriert wird, sind die Anforderungen im Prüfverfahren immer ein bisschen anders.“ Überhaupt stellt sich das Team immer wieder auf andere Prüfverfahren ein und versucht, neue Ideen auf den Weg zu bringen. „In unserem recht jungen Team haben wir alle große Lust, alte Methoden zu hinterfragen und zu verbessern, um die Qualität und Effizienz unserer Arbeit weiter zu erhöhen“, erzählt Timo Reisner.
Neue Ansätze und Ideen entwickeln und verfolgen sie dabei auch in Zusammenarbeit mit dem TÜV-NORD-eigenen Corporate Center Innovation, dessen Innovationsexperten sie ebenfalls bei der weiteren Umsetzung unterstützen. Ein vielversprechender Ansatz: Die bei den Witness-Tests auflaufenden Messdaten könnten künftig über das Netz direkt zu den Endkunden der Hersteller gesendet werden. „Dann müssten die nicht mehr aus aller Welt für die Prüfungen anreisen, was Zeit, Geld und CO2-Emissionen spart“, sagt Marius Ciucas. Als mögliches Projekt für die fernere Zukunft haben sie auch die Entwicklung einer Augmented-Reality-Anwendung ins Auge gefasst, die etwa die Messungen der Temperatursensoren in einer Farbskala visualisiert. So könnten die Experten künftig auf einen Blick erkennen, ob die Temperaturverteilung in der Messebene plausibel ist oder ob vielleicht ein einzelner Sensor während der Prüfung ausgefallen ist. „Wir Menschen sind ja optische Wesen. Wenn wir solche zentralen Informationen visualisieren, können wir sie natürlich viel schneller erfassen und die nötigen Schlüsse daraus ziehen“, erklärt Timo Reisner.
Andere Arbeitsabläufe haben sie bereits selbst auf den aktuellen Stand der digitalen Technik gebracht. So hat Marius Ciucas in Eigenregie ein Programm entwickelt, um die Übertragung der Messdaten zu automatisieren. Die müssen nun nicht länger von Hand abgetippt und in die Berechnungstabellen eingesetzt werden. Mit dem Prüfbericht per Knopfdruck will der Ingenieur natürlich nicht die eigene Arbeit überflüssig machen. „Die Zeit, die wir vorher für das Abtippen gebraucht haben, können wir jetzt in fachliche Fragen stecken“, erläutert Ciucas. Bei der eigentlichen Auswertung der Messergebnisse können sie aber nach wie vor auf die profunde Arbeit ihrer Vorgänger bauen. „Bei der physikalischen Mathematik, die in der Auswertung steckt, greifen wir auf das zurück, was etwa mein Büronachbar Helge Uhlig über Jahrzehnte entwickelt und immer weiter verfeinert hat“, berichtet Timo Reisner. „Das ist bestens verifiziert, weil es über die Jahre von den unterschiedlichsten Mitarbeitern hinterfragt und überprüft worden ist.“