08. Oktober 2020
Das meistgenutzte Verkehrsmittel der Welt geht grundsätzlich steil: Statistisch gesehen ist die gesamte Menschheit alle drei Tage einmal Aufzug gefahren. Wie sich die Technologie über die Jahrhunderte entwickelt hat und wie der Aufzug das Gesicht unserer Großstädte veränderte, erzählen wir in unserer kurzen Geschichte des Aufzugs.
Mit 18 Metern pro Sekunde – knapp 65 Stundenkilometer – schießt der Aufzug im Shanghai Tower seine Passagiere 121 Stockwerke nach oben. In 55 Sekunden ist die Aussichtsplattform in 546 Metern Höhe erreicht. Ist ein Techniker des Herstellers Mitsubishi an Bord, geht es sogar mit fast 74 Stundenkilometern hinauf. Mit diesem Tempo ist der Aufzug im dritthöchsten Wolkenkratzer der Welt der schnellste auf unserem Globus. Insgesamt 114 Aufzüge sind im Shanghai Tower verbaut. Die Entwicklung des rein vertikalen Verkehrsmittels machte den Bau von Hochhäusern und Wolkenkratzern ab dem späten 19. Jahrhundert erst möglich. Die technische Basis für den Aufzug wird allerdings bereits in der Antike gelegt.
Voraussetzung für den Aufzug ist die Erfindung des Flaschenzugs. Die Kombination eines Seils mit mehreren Rollen erlaubt es, Lasten mit geringem Krafteinsatz anzuheben. Sein Erfinder ist nicht überliefert, das Konzept des zusammengesetzten Flaschenzugs allerdings wird dem griechischen Mathematiker und Physiker Archimedes zugeschrieben. Ganz konkret ging es im antiken Rom für Bären und Löwen mit einem Aufzug nach oben in die Arena. Ab dem Jahr 80 vor Christus wurde im Kolosseum der erste von mehreren Aufzügen installiert, über die auch Kulissen und Dekorationen heraufgefahren wurden.
© gemeinfrei1861 meldet Elisha Graves Otis seine Erfindung zum Patent an.
Vom Lastenaufzug zum „fliegenden Stuhl“
Die frühen Aufzüge dienen dabei natürlich nicht nur der effektvollen Unterhaltung. Die Kathedralen des Mittelalters etwa können nur durch von Menschen oder Tieren betriebene Lastenaufzüge entstehen. Viele der auf Sandsteinfelsen gebauten Metéora-Klöster in Griechenland sind bis ins 20. Jahrhundert nur über Strickleitern und über Netze erreichbar, die an Seilwinden in die Höhe gezogen werden. Um bequeme Erreichbarkeit geht es auch König Ludwig XV., als er 1743 in Versailles für seine Mätresse einen der ersten historisch verbürgten Personenaufzüge installieren lässt. Mit dem „fliegenden Stuhl“ kann Madame de Châteauroux ohne mühsames Treppensteigen in ihre Gemächer im dritten Stock gelangen. Die Passagierin betätigt den Aufzug, indem sie an einem Seilzug mit Gegengewichten eine Schnur zieht. Ein halbes Jahrhundert später – im Jahr 1793 – wird der erste Aufzug mit Schneckengetriebe von Iwan Kulibin gebaut und im Winterpalast des russischen Zaren in St. Petersburg installiert.
Die Erfindung der Dampfmaschine im ausgehenden 18. Jahrhundert gibt dann dem Aufzug einen enormen Leistungsschub. Dank der Maschine können schwerere Lasten über längere Distanzen transportiert werden. Dampfbetriebene Aufzüge halten in den Bergwerken Einzug. Ab dem frühen 19. Jahrhundert werden auch erste hydraulische Aufzüge in Fabriken installiert. Sie stehen auf ihren hydraulischen Kolben zwar vergleichsweise sicher, können in langsamem Tempo aber nur geringe Höhen überbrücken. Seilaufzüge haben technisch dagegen deutlich mehr Luft nach oben – doch die Gefahr eines Seilrisses ist groß. Verlässliche Sicherheitssysteme gibt es noch keine, Personenaufzüge sind daher selten. Eine Ausnahme ist das „Schwebende Zimmer“ in London, eine Touristenattraktion, die zahlenden Passagieren einen Panoramablick über die Stadt an der Themse erlaubt. Dass sich die vertikale Personenbeförderung auch in der Breite durchsetzen kann, daran hat der amerikanische Mechaniker Elisha Graves Otis einen maßgeblichen Anteil.
„All safe, gentlemen“
Im Jahr 1853 oder 1854 – hier gehen die historischen Quellen auseinander – steigt Otis bei der Weltausstellung in New York auf eine offene Aufzugsplattform. Stück für Stück hebt sich die Konstruktion über dem Publikum im Ausstellungsgebäude, dem New York Crystal Palace, in die Höhe. Dann gibt Otis seinem Assistenten ein Signal, das Zugseil zu kappen. Die Menge hält den Atem an. Der Aufzug sackt ab. Allerdings nur ein paar Zentimeter – dann bleibt die Plattform stecken. „All safe, gentlemen!“, ruft Otis ins verblüffte Publikum.
© dpaDer Aufzug „Twin“ von ThyssenKrupp.
Warum der Sicherheitsaufzug des Mechanikermeisters tatsächlich hält, wie es sein Name verspricht? Das Tragseil von Otis‘ Aufzug ist an einer harten Stahlfeder befestigt, an deren Ende Bolzen sitzen. Diese Feder wird durch das Gewicht der Kabine gespannt. Reißt das Seil, entspannt sich die Feder. Die Bolzen schnellen daraufhin nach außen, krallen sich in den Führungsschienen des Fahrkorbs fest und bringen ihn so zum Stehen.
Türen schließen automatisch
Nach dem Erfolg auf der Weltausstellung entwickelt der Mechaniker den Aufzug in seiner 1853 gegründeten Otis Elevator Company schrittweise weiter. Am 23. März 1857 wird im New Yorker Haughwout-Warenhaus der welterste Personenaufzug mit Absturzsicherung in Betrieb genommen. Otis‘ Aufzug wird von einer Dampfmaschine betrieben und ist noch mit gemütlichen 0,2 Metern pro Sekunde unterwegs. Im folgenden Jahr nimmt dann auch der erste hydraulische Aufzug in einem Gebäude am Broadway seine Fahrt auf. Hier wird erstmals eine modernere Absturzvorrichtung verwendet, die eine verzögerte Bremsung auslöst, damit Passagiere bei einem Kabelbruch nicht ganz so schockartig zum Stehen kommen.
1880 stellt Werner von Siemens in Mannheim den ersten elektrischen Aufzug vor. Der Erfinder Alexander Miles entwickelt 1887 einen Mechanismus zum automatischen Schließen der Aufzugtüren und meldet seine Erfindung im selben Jahr zum Patent an.
Durch die Weiterentwicklung der Getriebe werden die Aufzüge immer schneller und erlauben in Verbindung mit der Stahlskelettkonstruktion den Bau in immer größere Höhen.
© TÜV NORDDer erste elektrische Aufzug von Siemens auf der Mannheimer Gewerbeausstellung 1880.
Von der Beletage zum Penthouse
Während in den enger werdenden Metropolen auf dem Boden die Grundstückspreise explodieren, scheint der Himmel über den Städten unbegrenzt offen. Mit der Entdeckung der Vertikalen wird auch die soziale Struktur der Gebäude auf den Kopf gestellt. Lag die Beletage für Stadtadel und Bürgertum bislang dicht über der Straße im ersten Stock, zieht es die Reichen und Mächtigen nun ganz weit nach oben. Dank Aufzug muss man einen Panoramablick auf die Stadt nun nicht mehr mit mühsamem Treppensteigen bezahlen. Aus den Dachkammern, in denen vorher die Dienstboten wohnten, wird im Wolkenkratzer das exklusive Penthouse. Das weltweit höchstgelegene sitzt aktuell an der Spitze des 426 Meter hohen Apartment-Turms 432 Park Avenue in Manhattan. 2016 wurde es für 88 Millionen Dollar von einem Milliardär aus Saudi-Arabien erworben.
Der globale Wettlauf um das höchste Gebäude der Welt führt auch zum Bau immer längerer und immer schnellerer Aufzüge. Der höchste Aufzug in Europa fährt im Moskauer Fernsehturm Ostankino seit Ende der 1960er-Jahre Besucher zur Aussichtsplattform in 337 Meter Höhe. Der höchste Freiluftaufzug auf unserem Kontinent ist schon 115 Jahre in den Schweizer Bergen bei Luzern unterwegs: Seit 1905 befördert der Hammetschwand-Lift Passagiere 118 Meter zum gleichnamigen Aussichtspunkt über dem Vierwaldstätter See. Die mit Zinkblech beschlagene Holzkabine brauchte dafür einst rund drei Minuten. Mit der 1992 installierten verglasten Panoramakabine ist man nun in rund einer Minute auf der Höhe.
Sicherer fährt‘s nicht
Allein in Deutschland sind nach Schätzungen des Verbands der TÜV-Unternehmen (VdTÜV) heute 700.000 Aufzugsanlagen installiert, die meisten davon Personenaufzüge. Jedes Jahr kommen bundesweit durchschnittlich 20.000 neue Aufzüge dazu oder ersetzen ältere Anlagen, überschlägt der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Unfälle sind dank regelmäßiger TÜV-Prüfungen dabei die absolute Ausnahme. Deshalb gilt der Aufzug auch als das sicherste Transportmittel der Erde. 2017 wurden laut VDMA keine Todesfälle im Zusammenhang mit Aufzügen registriert. Die sieben registrierten schweren Unfälle ereigneten sich ausschließlich bei Wartungsarbeiten, nur vier davon waren auf einen Mangel am Aufzug zurückzuführen, so der Branchenverband.
© TÜV NORDDie Aufzugsprüfung hat beim TÜV NORD eine lange Historie.
© TÜV NORDDer TÜV Hannover bei der Arbeit.
Neben dem Tempo kommt die Aufzugstechnik aber auch auf anderen Ebenen voran. So haben sich die Fahrkabinen mittlerweile selbstständiger gemacht. Thyssenkrupp hat 2003 den Twin entwickelt, bei dem zwei Kabinen unabhängig voneinander an eigenen Seilen im selben Schacht unterwegs sind. So können in kürzerer Zeit mehr Passagiere befördert werden als mit einem konventionellen Aufzug. Durch eine Zielauswahlsteuerung weiß der Leitrechner vor jeder Fahrt, wo sie starten und enden soll, sodass Kollisionen ausgeschlossen werden. In Deutschland fährt das System etwa im Sky Office in Düsseldorf und im 200 Meter hohen Skytower der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main.
Entfesselter Fahrstuhl
Geht es nach Thyssenkrupp, wird sich der Aufzug der Zukunft sogar seiner Seile entledigen. Im baden-württembergischen Rottweil testet das Unternehmen den sogenannten Multi. Basierend auf der Technologie des Transrapid nutzt dieser Aufzug ein Magnetfeld. Wie die Magnetschwebebahn saust die Kabine auf einem vier Millimeter dünnen Magnetkissen auf und ab – und auch zur Seite. An Weichen wechseln die Kabinen die Fahrtrichtung von der Vertikalen in die Horizontale. Denn das System hat zwei Schächte: In einem fahren Kabinen aufwärts, im anderen abwärts. So sollen beliebig viele Kabinen unabhängig voneinander in einem Aufzugsschacht zirkulieren und sich dabei sogar überholen können.
© thyssenkruppDer Testturm von Thyssenkrupp im beschaulichen Rottweil.
Mit dem Seil soll auch die bisherige Höhenbeschränkung fallen. Ein konventioneller Aufzug kann zumindest mit einem klassischen Stahlkabel nicht wesentlich höher als 500 Meter hoch gebaut werden, weil die Seile zu schwer werden und zu stark schwingen. Diese Grenze soll der Multi überwinden können – und dabei mehr Fahrgäste in kürzerer Zeit bei geringeren Energiekosten befördern. Zwar ist ein solches System drei- bis fünfmal so teuer wie ein klassischer Aufzug. Aber weil die Technologie weniger und kleinere Schächte benötigt, soll sie bis zu 25 Prozent mehr Platz für Büros oder Wohnungen frei räumen. Und zugleich ganz neue Bauweisen möglich machen.
Der erste Multi ist im Edge East Side Tower in Berlin geplant. Der 140 Meter hohe Büroturm wird gerade unweit der East Side Gallery im Stadtteil Friedrichshain gebaut, bis 2023 soll er bezugsfertig sein. Ab dann könnte das meistgenutzte Verkehrsmittel der Welt auch die Horizontale für sich erobern.
Lift? Fahrstuhl? Aufzug!
Wer einen Aufzugstechniker darüber informiert, dass der Fahrstuhl kaputt ist, erntet im besten Fall ein Stirnrunzeln. Zwar lässt der Duden auch „Lift“ und „Fahrstuhl“ als Synonyme gelten. Doch in der Fachsprache und in den entsprechenden DIN-Normen ist ausschließlich vom „Aufzug“ die Rede.
Der Begriff „Lift“ stammt ursprünglich aus dem Englischen („in die Höhe heben“) und wird im deutschsprachigen Raum eher mit Aufzügen verbunden, die nicht senkrecht, sondern schräg nach oben fahren – vom Skilift über den Sessellift bis zum Treppenlift.
Der Begriff „Fahrstuhl“ wiederum leitet sich wahrscheinlich von den „fliegenden Stühlen“ ab – frühe Personenaufzüge, mit denen sich etwa Kaiserin Maria Theresia das Treppenlaufen ersparte. Da Sitzmöbel in den heutigen Aufzügen in der Regel nicht vorkommen und diese im Allgemeinen ihre Last nach oben ziehen, gilt „Fahrstuhl“ unter Fachleuten daher als unsachgerechte Bezeichnung einer Aufzugsanlage.
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