02. Mai 2019
Wer heute die Schulbank drückt, wächst mit dem Internet auf. Doch wie man etwa die eigenen Daten schützt oder sich sicher in sozialen Netzwerken bewegt, das wissen viele der Digital Natives nicht. Und ihre Eltern und Lehrer kennen sich oft selbst nicht gut genug aus, um die Heranwachsenden auf dem Weg durch die digitale Welt zu begleiten. Im Rahmen des Projekts „Chaos macht Schule“ gehen Steffen Haschler und seine Mithacker aus dem Chaos Computer Club deshalb in die Schulen, um das Technikverständnis und die Medienkompetenz von Jugendlichen sowie Eltern und Lehrkräften zu stärken.
Name:
Steffen Haschler
Alter:
39 Jahre
Beruf:
Lehrer
Website:
https://www.steffen-haschler.de
Was ist „Chaos macht Schule“?
Vielen Eltern und Lehrenden fehlt das technische Wissen, um die Fragen der Heranwachsenden zum angemessenen Umgang mit der neuen Technik beantworten zu können. Aber in der digitalen Welt gibt es viel zu beachten, und damit junge Menschen ihre Mündigkeit auch im Digitalen erlangen können, braucht es eine kompetente Begleitung. Diese Lücke möchte der Chaos Computer Club mit seinem bundesweiten Projekt „Chaos macht Schule“ (CMS) schließen. CMS besteht seit über zehn Jahren. Es wird dezentral und ehrenamtlich durchgeführt, weswegen sich die regionalen Angebote auch unterscheiden können.
Wie läuft denn ein solcher Workshop ab, und was vermitteln Sie den Schülerinnen und Schülern?
Zumeist geben wir Workshops für einzelne Klassen, aber auch für Lehrkräfte oder Eltern. Wenn wir eine Klasse besuchen, dann greifen wir die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen auf und werfen gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen der digitalen Welt. Wieso kosten Dienste wie Google oder WhatsApp nichts? Glaube ich alles, was im Internet steht? Was sind Persönlichkeitsrechte, und wieso sollte ich sie insbesondere im Digitalen respektieren? Wie bewege ich mich sicher in sozialen Netzwerken? Was sind Hacker? Wie schütze ich meine Daten vor unberechtigten Zugriffen? Was ist Open-Source-Software, und wieso sollte ich sie nutzen? Das sind wohl die häufigsten Leitfragen in unseren Workshops. Wobei wir da flexibel sind und uns im Vorfeld absprechen.
„Wenn wir eine Klasse besuchen, dann greifen wir die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen auf und werfen gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen der digitalen Welt.“
Welche Themen faszinieren Jugendliche besonders? Wo besteht zugleich noch der größte Nachholbedarf?
Da wir ein Hackerverein sind, wollen sie natürlich etwas über Hacker erfahren. Und über das Darknet vielleicht. Meistens machen wir auch ein paar technische Demos, um zu zeigen, wie einfach es sein kann, IT-Systeme auszutricksen oder vermeintlich sichere Sperren zu umgehen. Da an vielen Schulen kein Informatikunterricht existiert, sind meistens die technischen Vorstellungen nicht korrekt. Sprich, wir erklären oft erst mal, wie Daten eigentlich ihren Weg durchs Internet nehmen und wo das problematisch sein kann oder was Metadaten sind.
Sie veranstalten auch Vorträge und Workshops für Eltern und Lehrkräfte. Was sind hier die wichtigsten Themen und die drängendsten Fragen?
Bei den Eltern geht es meist darum, zu verstehen, was die Jugendlichen online so tun. Und Datenschutz beziehungsweise IT-Sicherheit sind Themen, die sie umtreiben. Bei den Lehrenden ist es eigentlich ähnlich. Im Endeffekt gab es in den letzten Jahren viele Entwicklungen, die nicht alle nachvollzogen haben, weshalb sie ein Gefühl der Unsicherheit verspüren, vermute ich.
Mit dem Digitalpakt sollen den Ländern bald mehr Mittel zur Verfügung stehen, um die digitale Infrastruktur an Schulen auszubauen. Stehen wir also kurz vor dem Ziel?
Der Weg ist hier das Ziel. Digitalisierung ist kein Prozess, der auf ein Ende zusteuert. Es wird immer schneller immer weiter gehen. Dass der Digitalpakt endlich steht, begrüßen wir. Wir hatten schon 2016 mit den versprochenen „Wanka-Milliarden“ gerechnet und damals Forderungen an die Politik gestellt, damit es zu einem sinnvollen Einsatz unserer Steuergelder kommt. Diese Forderungen sind auch heute noch aktuell. Eine gute Infrastruktur ist Grundvoraussetzung für zeitgemäße Bildung. Sie hat aber ihren Preis. Zunächst einmal bei der Erstanschaffung – darum kümmert sich ja jetzt der Pakt –, vor allem aber bei der Wartung und den pädagogischen Konzepten. Hier braucht es eine riesige Fortbildungsinitiative. Dass in der Lehrkräfteausbildung aktuell wenig Wissen zu unseren digitalen Themen vermittelt wird, ist ein Trauerspiel und fahrlässig für unseren Wissensstandort. Insoweit stehen wir, wenn überhaupt, am Anfang eines Weges.
Immer mehr Schulen integrieren Medienkunde in den Stundenplan. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Wenn Medienkompetenz fächerübergreifend vermittelt wird, ist das gut. Wir brauchen nicht noch ein weiteres Lernsilo in der Schule. Die Digitalisierung spielt in allen Lebensbereichen eine Rolle, und somit gibt es in jedem Fach Anlässe, sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Was macht „digitale Bildung“ aus Ihrer Sicht aus, und was sind die Voraussetzungen dafür, dass sie gelingen kann?
Wenn Sie die jungen Menschen fragen, dann werden die nicht zwischen digitaler und nicht digitaler Bildung unterscheiden. Es geht ihnen um ihre Bildung. Um das, was wir ihnen mitgeben, damit sie die Herausforderungen, die auf sie zukommen, bewältigen können. Und das sind so einige, wenn wir bedenken, wie wir den Planeten und die Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme lokal wie global strapazieren. Eine Voraussetzung für eine gelungene Bildung ist, dass wir den Etat für Bildung krass hochfahren. Ich denke da in Größenordnungen und nicht in Einmalzahlungen durch einen Digitalpakt. Dass wir nicht akzeptieren, dass es reiche Schulträger gibt, die ihre Schulen modern ausstatten können, und andere, die das eben nicht schaffen. Es gilt, die Lehrenden zu stärken. In der Ausbildung, in der Fortbildung. Generell darf der Lernstand von niemandem als final angesehen werden. Weiterbildung muss integraler Bestandteil der täglichen Arbeit werden. Dazu müssen die Entlastungen vom Dienstherrn bereitgestellt werden. Wir müssen den Mut haben, große Veränderungen am heutigen Schulsystem vorzunehmen und dabei auch Fehler zu machen. Wichtig ist, dass wir aus diesen schnell lernen und dann nachsteuern. Es darf dabei keine Denkverbote geben. Vielleicht ist ein verfassungsmäßiges Recht auf lebenslange Bildung besser als eine Schulpflicht? Das ist bewusst provokativ in den Raum gestellt.
Welches digitale Produkt muss erst noch erfunden werden?
Puh! Ich beziehe mich jetzt mal auf Schule. Was ich da wirklich spannend fände, wäre eine Datenbrille. Das kann man mit heutiger Technologie auch datenschutzkonform(er) machen. Augmented Reality würde den Unterricht revolutionieren, und wir bräuchten keine Bildschirme mehr, sondern könnten Flächen und Objekte mit ganz unterschiedlichen Layern versehen. Hier kann man ziemlich weit denken. Übrigens bräuchten wir da nicht mal mehr „das Internet“, sondern könnten mit lokalen Rechenzentren arbeiten. Das bricht die Monopole großer amerikanischer Plattformen … Auch mal eine spannende Überlegung.
Auf welche könnten Sie verzichten?
Auf das Whiteboard. Es ist für mich Inbegriff von Symbol- und Pseudodigitalisierung. Nicht, dass die Dinger nicht ihre Berechtigung hätten, aber meistens wurden sie hingehängt und dann wie Bildschirme oder Tafeln genutzt. Das kann es nicht sein. Da sie wartungsintensiv sind, sieht man an ihnen auch schnell, dass es professionelle Wartung braucht …
Hätten Sie gerne einen Haushaltsroboter?
Kommt drauf an, für welche Aufgaben und wie er in mein Heimnetzwerk integriert ist. Ich will nicht, dass er am Ende mit meinem Strom für andere Kryptowährungen schürft oder meine Netzsicherheit zerstört … Einen Staubsauger-Roboter fände ich nett, wobei er wohl nicht über unsere Schwellen kommt.
Welche technische Anwendung wird auch Ihnen immer ein Rätsel bleiben?
Ich finde einige Dinge nicht wertschöpfend oder sinnig. Aber da ich neugierig bin, würde ich mir die gegebenenfalls auch näher ansehen. Ich will schon Technik verstehen, zumindest im Prinzip.
Wann waren Sie das letzte Mal 24 Stunden offline?
Vermutlich auf meinem letzten Australienflug? Leider schaffe ich das sonst nicht. Aber sagen Sie das nicht meinen Schüler*innen, weil denen sage ich, wie wichtig es ist, sich Auszeiten zu nehmen …
Urlaub ohne WLAN – Traum oder Albtraum?
Wenn ich gerade ein Navi brauche – ein Albtraum. Wenn ich in Norwegen am Wandern bin, ist das toll! Wobei da witzigerweise das mobile Netz im hintersten Nationalpark besser ausgebaut war als bei uns. Aber das ist eine andere Geschichte. :-)
Im #explore-Format „Steckbrief“ kommen regelmäßig, spannende und inspirierende Menschen aus der digitalen Szene zu Wort – Forscher*innen, Blogger*innen, Startup-Gründer*innen, Unternehmer*innen, Hacker*innen, Visionäre*innen.