03. September 2020
Früher blätterten wir in Brockhaus, Telefonbuch oder Branchenverzeichnis, heute finden wir die Antworten auf fast alle Fragen im Internet. Über 3,5 Milliarden Anfragen werden weltweit täglich in Suchmaschinen getippt. Ein riesiger Markt und ein gewaltiger Bedarf, der doch auch der Umwelt zugutekommen könnte, so die Idee von Christian Kroll. 2009 gründete der Betriebswirtschaftler daher Ecosia – eine Suchmaschine, die mit den Klicks ihrer Nutzer Bäume pflanzt.
Name:
Christian Kroll
Alter:
36
Beruf:
Gründer und Geschäftsführer von Ecosia
Website:
https://www.ecosia.org
Was ist Ecosia?Ecosia ist die grüne Suchmaschine, die Bäume pflanzt.
Wie ist die Idee entstanden?
Die Idee kam mir auf einer Weltreise. Als ich einige Zeit in Nepal und Südamerika gelebt hatte, konnte ich die dort herrschenden sozialen und ökologischen Ungerechtigkeiten hautnah miterleben und viel über die Abholzung des Regenwaldes lernen. Als mir daraufhin bewusst wurde, wie viel Potenzial in Suchmaschinen steckt und wie dieses bisweilen von Unternehmen genutzt wurde – nämlich fast ausschließlich für Kapitalinteressen und Marketingmöglichkeiten –, stand für mich fest: Ich will es besser machen und eine nachhaltige Alternative schaffen.
Wie wird aus einer Internetsuche ein Baum, und wie können Sie und Ihre Mitarbeiter zugleich davon leben?
Unsere Suchmaschine generiert durch geschaltete Anzeigen einen Gewinn. Wenn ein Nutzer also etwas über Ecosia sucht und auf eine der Anzeigen klickt, bekommen wir Geld vom Werbetreibenden. Mit diesen Einnahmen decken wir unsere laufenden Kosten: Wir bezahlen unsere Angestellten, das Büro und das Marketing. Das, was von den Einnahmen übrig bleibt, ist der Gewinn, der für unsere Baumpflanzprojekte oder unsere weiteren Projekte, wie der Bau von Solaranlagen, genutzt wird.
Wie suchen Sie die Projekte aus, und wie stellen Sie sicher, dass dort tatsächlich Bäume gepflanzt werden?
Für die Auswahl und Koordination der Projekte ist unser Tree-Planting-Team zuständig. Vorzugsweise arbeiten wir mit lokalen Partnern zusammen, da sie entscheidende Kenntnisse über die Region, in der wir Bäume pflanzen, verfügen. Zusammen mit dem Wissen, das wir mitbringen, entsteht so ein fruchtbarer Austausch darüber, wie das Projekt aufgebaut werden sollte. Neben Verträgen haben wir ein Monitoring, das je nach Projekt über Satelliten, eine App oder klassische Bürokratie funktioniert. Dank regelmäßigem Kontakt mit unseren Partnern können wir den Fortschritt und die Herausforderungen unserer Baumpflanzprojekte ganz genau im Blick behalten. Die wichtigsten Updates teilen wir außerdem auch gerne und regelmäßig auf unserem Blog oder dem YouTube-Kanal mit unseren Usern.
Wie kann es eine kleine Suchmaschine aus Berlin technologisch überhaupt mit dem Giganten Google aufnehmen?
Google ist natürlich eine harte Konkurrenz mit unglaublich viel Marktmacht. Dennoch verfolgen wir ganz einfach andere Motive als Google: Der Nachhaltigkeitsaspekt, unsere Transparenz und unser Datenschutz sind alles Faktoren, die Ecosia zu einem sehr starken Mitbewerber machen. Bei Ecosia kann man nämlich nachvollziehen, was mit dem Geld und den Daten passiert, und tut nebenbei auch noch etwas Gutes für die Umwelt. Wir entwickeln für unsere Suchmaschine zum Beispiel Features, die dabei helfen sollen, unsere Nutzer zu mehr Nachhaltigkeit im Alltag zu motivieren. So haben wir beispielsweise Kennzeichnungen für nachhaltig oder aber weniger nachhaltig agierende Unternehmen eingeführt: Mit einem „grünen Blatt“ oder einem „Kohlekraftwerk“ werden diese in den Suchergebnissen entsprechend markiert.
„Nun sind wir also nicht nur CO2-neutral, sondern sogar CO2-negativ.“
Internetserver fressen viel Strom und fördern so den CO2-Ausstoß. Wie können Sie verhindern, dass Ecosia nicht selbst der Umwelt schadet?
Suchen bei Ecosia werden zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien angetrieben. Zum einen werden mit den Suchen Bäume gepflanzt, die den Klimawandel bekämpfen, indem sie CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Zum anderen haben wir Solaranlagen in Deutschland bauen lassen, um unsere Verwendung der Internetserver auszugleichen. Nun sind wir also nicht nur CO2-neutral, sondern sogar CO2-negativ. Doch wir wollen noch mehr tun. Mit dem Bau weiterer Solaranlagen möchten wir unsere Produktion von erneuerbarer Energie verdoppeln und damit nicht nur unseren Eigenbedarf decken, sondern auch aktiv umweltbelastende Energie aus dem Netz verdrängen.
Viele Gründer spekulieren darauf, ihr Start-up eines Tages gewinnbringend verkaufen zu können. Wie ist das bei Ihnen?
Seit Ecosia im Jahr 2018 in ein sogenanntes Unternehmen im Verantwortungseigentum umgewandelt wurde, gehört es sich praktisch selbst beziehungsweise dem eigenen Sinn und Zweck. Diese Entscheidung habe ich getroffen, um damit meine Versprechen, dass ich Ecosia niemals verkaufen und unsere Gewinne niemals entnehmen würde, zu untermauern. Das Modell des Verantwortungseigentums setzt uns nämlich rechtlich bindende und unwiderrufliche Beschränkungen auf: Es ist nun mir selbst und auch sonst jedem absolut unmöglich, Ecosia gewinnbringend zu verkaufen oder Firmenkapital zu entnehmen. Die Unternehmensführung liegt seither bei den Treuhändern und wird nur von ausgewählten Personen für begrenzte Zeiträume ausgeübt. Sie kann daher auch nicht von mir vererbt werden.
Was sind Ihre Ziele für die Zukunft, wie soll es mit Ecosia weitergehen?
Ecosia ist zwar die größte grüne Suchmaschine, in Zukunft möchten wir aber noch grüner werden und viele weitere grüne Features umsetzen. Auf lange Sicht möchten wir beispielsweise bei der Suche nach einer neuen Waschmaschine diejenige anzeigen können, die die höchste Energieeffizienz aufweist und ohne Kinderarbeit produziert wurde. Auch beim Reisen wollen wir unseren Nutzern dabei helfen können, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen, indem wir beispielsweise bei der Suche einer Flugverbindung neben dem Ergebnis die entsprechende Bahnverbindung inklusive der CO2-Ersparnis anzeigen wollen. Darüber hinaus möchten wir in Zukunft vielleicht auch unseren Fokus erweitern und uns noch auf andere ökologische Krisen konzentrieren.
Die größte Herausforderung ist …
… die Klimakrise. Zwar können wir dank unserer Nutzer eine Menge Bäume pflanzen. Die Zahl der jährlich abgeholzten Bäume ist jedoch immer noch deutlich größer als die Zahl der neu gepflanzten. Der Baumbestand sinkt also trotzdem. Es muss sich noch grundlegend etwas in der Politik und Gesellschaft ändern, wenn wir den Planeten retten möchten.
Welches digitale Produkt muss erst noch erfunden werden?
Gute Frage. Ein Gerät, das ganz nebenbei die Klimakrise bekämpft. Vielleicht ein nachhaltiger, ressourcenschonender und kostengünstiger CO2-Filter?
Auf welches könnten Sie verzichten?
Wenn ich nicht arbeite, kann ich eigentlich sehr gut auf digitale Geräte verzichten.
Welche technische Anwendung wird Ihnen immer ein Rätsel bleiben?
Ich bin davon überzeugt, dass man mit der richtigen Einstellung alles lernen kann. Wenn es mich stört, dass ich mich nicht ausreichend mit einem technischen Gerät auskenne, dann versuche ich das zu ändern.
Wann waren Sie das letzte Mal 24 Stunden offline?
Wenn man in einem Tech-Unternehmen arbeitet, ist es meiner Meinung nach wichtig, sich Offline-Zeiten zu nehmen. An Tagen, an denen ich nicht arbeite, verzichte ich also ganz gerne mal auf Handy und Co.
Urlaub ohne WLAN: Traum oder Albtraum?
Das klingt für mich eher nach einem Traum.
Im #explore-Format „Steckbrief“ kommen regelmäßig spannende und inspirierende Menschen aus der digitalen Szene zu Wort: Forscher*innen, Blogger*innen, Start-up-Gründer*innen, Unternehmer*innen, Hacker*innen, Visionäre und Visionärinnen.