07. Januar 2021
Unpraktisch, unausgereift, ein wenig unheimlich, zu teuer, zu spät oder – in seltenen Fällen –sogar ihrer Zeit voraus: Erfindungen scheitern aus vielfältigen Gründen. Wir lassen sechs berühmte oder vergessene Flops der Technikgeschichte Revue passieren.
Betamax
Satte Farben und scharfe Bilder: Technologisch betrachtet war Sonys Betamax dem ein Jahr später erschienenen VHS-Rekorder von JVC überlegen. Als Betamax 1975 als erstes Heimvideosystem auf den Markt kam, hatte es also beste Voraussetzungen, um sich einen festen Platz in den Wohnzimmern der Welt zu erobern. Trotzdem konnte die VHS den „Formatkrieg“ für sich entscheiden – auch gegen Video 2000 von Philips und Grundig. JVC gelang es dank billiger Leerkassetten, einem größeren Filmangebot, einer großzügigen Lizenzvergabe an andere Hersteller und damit einer breiteren Auswahl erschwinglicher Geräte schlichtweg schneller, eine kritische Masse an Nutzern für sein Videosystem zu erwärmen. In den Videotheken, die bald überall aus dem Boden schossen, spielte VHS schnell die erste und dann die einzige Geige. Immerhin: In Fernsehsendern und professionellen Videoproduktionen wurde das aus dem Betamax-Format entwickelte Betacam-System für Jahrzehnte zum Standard. Inzwischen haben digitale Technologien das analoge Magnetband obsolet gemacht. 2015 – also zu ihrem 40. Geburtstag – gab Sony bekannt, die Produktion von Betamax-Kassetten einzustellen.
© alamyDas Heimvideosystem Betamax.
Nintendo Virtual Boy
Anfang der 1990er-Jahre schien die virtuelle Realität das erste Mal zum Greifen nah. Angefeuert von den Entwicklungen der NASA hielten Virtual-Reality-Systeme in den Spielhallen Einzug. Die großen Konsolenhersteller SEGA und Nintendo versprachen gar, die virtuelle Realität direkt zu den Gamern nach Hause zu bringen. Während SEGA seine VR-Brille noch in der Entwicklung beerdigte, brachte Nintendo sein Gerät 1995 tatsächlich auf den Markt. Der Virtual Boy sah aus wie eine rote Plastiktaucherbrille auf einem Gestell und sollte als der größte Flop in die Geschichte der Gameboy-Erfinder eingehen: Vollmundig als erste tragbare 3-D-Spielekonsole angekündigt, musste der Virtual Boy stattdessen mit seinem Stativ auf den Tisch gestellt werden. Das gebeugte Kauern vor dem Gerät sorgte bei den Spielern verlässlich für Rückenschmerzen, die schwarz-rote Monochrom-Grafik in grob gepixelter Auflösung für große Ernüchterung. Hinzu kam ein bescheidenes Angebot an Spielen, die von der 3-D-Funktion oft gar keinen Gebrauch machten. Die Verkaufszahlen in Japan und in den USA blieben hinter den Erwartungen zurück, in Europa wurde der Virtual Boy nicht mehr veröffentlicht. Anfang 1996 hatte Nintendo ein Einsehen und stellte die Produktion still und leise ein.
© alamySeit 1996 Geschichte: der Nintendo Virtual Boy.
Bildschirmtext
Im September 1983 machte die Deutsche Bundespost die ersten Schritte ins digitale Zeitalter: Über den neuen Bildschirmtext – kurz Btx – konnten sich Nutzer via Telefon in ein Netzwerk einwählen, um dort Nachrichten, Behördeninformationen oder Fahrpläne abzurufen, Nachrichten an andere Nutzer zu versenden oder bei Neckermann oder Otto nach Schnäppchen suchen. Die Zahl der Teleleser blieb jedoch übersichtlich: Bis 1986 rechnete die Post mit einer Million Nutzer, tatsächlich waren es nur 60.000. Grund dafür waren vor allem die hohen Kosten. Das Modem musste für viel Geld von der Post gemietet oder gekauft werden, hinzu kamen eine monatliche Grundgebühr sowie die Kosten für den Aufruf der Seiten. In Frankreich dagegen verbreitete sich das dortige Minitel schnell – nicht zuletzt, weil France Télécom die erforderlichen Endgeräte zunächst kostenlos und dann günstig bereitstellte. Im Jahr 2000 wurde Minitel von 25 Millionen Franzosen auf rund neun Millionen Geräten genutzt. Btx hatte es um diese Zeit unter dem neuen Namen T-Online immerhin noch über die Millionen-Marke geschafft – dank Onlinebanking. Noch war vielen Nutzern das Internet zu unsicher für elektronische Geldgeschäfte. Deshalb überlebte die Btx-Schnittstelle für Onlinebanking das offizielle Ende des Btx-Dienstes 2001. Sechs Jahre später beugte sich die Telekom schließlich der Übermacht der Webdienste und schaltete im Mai 2007 auch die Reste des Btx-Systems endgültig ab.
© picture allianceEinwahl via Telefon: der Bildschirmtext.
Apple Newton
Nicht jede Erfindung von Apple hat die Schlagkraft des iPhones: Als einer der größten Flops des Unternehmens gilt gemeinhin der Newton, ein persönlicher digitaler Assistent – kurz PDA. Bei der Weltpremiere 1993 in Boston pries der damalige Apple-Chef John Sculley den Newton als „Basistechnologie des digitalen Zeitalters“. Als Allzweckwaffe für „mobile warriors“, also mobile Geschäftsleute und Kreative, sollte er Notizzettel, Adressbuch, Organizer, Fax- und Kommunikationsgerät in einem sein. Ein großer Verkaufserfolg wurde der Newton allerdings nie: Mit 700 Dollar war der Einstiegspreis hoch, die Akkulaufzeit kurz und die Handschrifterkennung zwar innovativ, verstand aber zumindest bei den ersten Modellen gerne mal Bahnhof. Und um sich mit der Außenwelt zu verbinden, musste das hochpreisige Handheld zudem mit externen Geräten verbunden werden. 1998, nach der Rückkehr von Steve Jobs zu Apple, wurde die Produktion eingestampft. Maßstäbe konnte der Newton trotzdem setzen: mit seiner intuitiven Bedienoberfläche, klugen Komfortfunktionen und den Prozessoren von ARM, deren verbesserte Nachfolger heute in nahezu sämtlichen mobilen iOS- oder Android-Endgeräten am Werk sind.
© alamyDer PDA Apple Newton kam nicht gut an.
Nokia N-Gage
Das Beste zweier Welten wollte Handygigant Nokia 2003 miteinander „engagen“ – also verloben. Doch die geplante Traumhochzeit zwischen Handy und tragbarer Konsole ging gründlich daneben. Das N-Gage kostete stolze 300 Dollar und brachte nur eine kleine Auswahl an Spielen bei umständlicher Handhabung mit: Wollte man das Spiel wechseln, musste man erst einmal den Akku entfernen. Mikrofon und Lautsprecher waren an der schmalen Seite des N-Gage verbaut. Für ein Telefonat musste man das klobige Gerät also seitwärts ans Ohr halten – was seinen Besitzern eher amüsierte, anstatt bewundernde Blicke in der Öffentlichkeit einbrachte. Bald hatte das N-Gage seinen Spitznamen als „Tacophone“ oder „Döner-Handy“ weg, „Sidetalking“ wurde im Internet zum stehenden Begriff und auf einer eigenen Website veralbert. Der bereits 2004 erschienene Nachfolger konnte zwar diverse Macken des Erstlings ausbügeln, das N-Gage aber nicht mehr auf die Erfolgsspur manövrieren. 2005 löste Nokia die Verlobung und stellte das N-Gage ein.
© alamyHandy und Konsole in einem: das Nokia N-Gage.
Google Glass
Eine Datenbrille, die mittels Augmented Reality Informationen direkt in das eigene Sichtfeld projiziert und fast freihändig bedient werden kann: Die 2012 vorgestellte Google Glass schien der nächste große Sprung in der digitalen Evolution zu sein. Der Hype war entsprechend groß – noch größer war die Ernüchterung. Für 1.500 Dollar bot Googles Gesichtscomputer nur eine rudimentäre Augmented-Reality-Funktion, eine schwache Akkulaufzeit und eine dürftige Kamera. Und weil man diese bereits mit einem Augenzwinkern auslösen konnte, musste die Umwelt eines Glass-Trägers fürchten, ständig unbemerkt gefilmt oder fotografiert zu werden. Nutzer wurden als spionierende „Glassholes“ geschmäht und aus Bars und Cafés verbannt. Diesen Imageschaden konnte Google auch mit Nachbesserungen nicht mehr beheben. Anfang 2015 wurde die Onlinebestellung gestoppt. Erst 2017 folgte eine Version, die professionellen Anwendern vorbehalten war. Seit diesem Jahr ist die Enterprise Edition der Google Glass zwar wieder frei verkäuflich. Endverbrauchern soll sie aber weiterhin nicht die Wirklichkeit erweitern, sondern beispielsweise Wartungsmonteuren bei der Arbeit die Hände freihalten.
© alamyDie Datenbrille Google Glass leidet noch am schlechten Image.
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