15. Februar 2017
Die Mission Rosetta ist einzigartig in der Geschichte der Raumfahrt. Die gleichnamige Sonde hat 6,4 Milliarden Kilometer zurückgelegt, um nach über zehn Jahren Reise durch das All den Kometen 67P/Tschurjumov-Gerasimenko, kurz Tschuri, zu erreichen. An dem Erfolg des spektakulären Projekts war maßgeblich Alter Technology (ATN), ein Tochterunternehmen der TÜV NORD GROUP, beteiligt. Im Interview spricht Geschäftsführer Luis Gómez über die Zusammenarbeit mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und verrät, wann die Menschen zum Mars fliegen und von welcher Mission er als nächstes träumt.
#explore: An welchen Weltraumprojekten ist Alter Technology beteiligt?
Luis Gómez: ATN war schon sehr früh an den meisten wissenschaftlichen, erdbeobachtenden und bemannten Raumflugmissionen in Europa und Missionen weltweit beteiligt, zum Beispiel in Projekten wie dem größten je in Europa gebauten Satelliten Envisat, der internationalen Raumstation ISS, den ARIANE-Launcher, das europäische Wettersatellitensystem METEOSAT, die Weltraumteleskope Herschel und Planck und den Mars-Rover Curiosity zur Erkundung des Mars eingebunden. Auch neuere Projekte wie der Solar Orbiter, Euclid, Bepi Colombo und natürlich Rosetta zählen dazu.
Welche besonderen Voraussetzungen muss die Technologie im All erfüllen?
Wie überprüft Alter Technology die Bauteile der Satellitensysteme?Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Weltraum ein für elektronische Geräte feindliches und einzigartiges Umfeld ist. Die von Sonne und Sternen ausgehende Strahlung, der luftleere Raum, die extremen Temperaturschwankungen, das Umfeld beim Start, mit Vibrationen, mechanische Erschütterungen oder Beschleunigung, sind alles Voraussetzungen, die bei Anwendungen auf der Erde kaum vorkommen. Die Technologie muss extrem robust und zuverlässig sein. Dazu kommt die Unmöglichkeit von Reparaturen – wir können es uns nicht leisten, dass ein System im Orbit nicht funktioniert. Daher ist Zuverlässigkeit eine zentrale Größe, und alle bei ATN durchgeführten Tests und Bewertungen sind darauf ausgelegt, den Nachweis zu erbringen, dass die ausgewählten Bauteile diesen Bedingungen während der gesamten Betriebsdauer des Systems standhalten können.
Wie sieht ein typisches ATN-Labor aus?
Wir können in drei wichtige Bereiche unterscheiden. Das mechanische Labor dient der Analyse der Belastbarkeit der Konstruktion sowie der Fähigkeit der ausgewählten Bauteile, den herrschenden Bedingungen in mechanischer Hinsicht standzuhalten. In diesem Bereich finden wir Mikroskope und Werkzeuge zur Öffnung und Schliffbilderstellung, um die interne Beschaffenheit der Teile sowie alle sonstigen Funktionen zu überprüfen. Das Umweltlabor simuliert dagegen einige der Umweltbedingungen, denen die Teile während des Betriebs ausgesetzt sind. Wir müssen zudem einige Beschleunigungsfaktoren einbeziehen, um die Bedingungen, denen die Teile während der Jahre ihres Betriebs ausgesetzt sind, innerhalb weniger Tage zu simulieren.
© iStock
Und der dritte Bereich?
Das ist ein Labor für elektrische Messungen. Nach Abschluss all dieser Tests und Maßnahmen müssen wir nämlich bestätigen, dass alle Teile nicht nur weiterhin wie erwartet funktionieren, sondern dass zudem keine wesentlichen Veränderungen der wichtigsten Parameter aufgetreten sind. Wir sollten außerdem noch unser Strahlungslabor erwähnen, wo wir das radioaktive Umfeld simulieren. Hierzu verwenden wir eine so genannte ‚Co60-Kammer’, die denen ähnelt, die in Krankenhäusern bei der Strahlentherapie zum Einsatz kommen.
Wie eng ist die Zusammenarbeit mit der Europäischen Weltraumorganisation?
Alter Technology wurde vor 30 Jahren zur Prüfung der laufzeitsicheren Mikroelektronik gegründet. Damals führte die ESA zwölf europäische Länder und damit den Großteil der Weltraumindustrie zusammen. Die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Beteiligten war absolut grundlegend und angesichts dieser Rahmenbedingungen war die Zusammenarbeit mit der ESA in allen Bereichen stets äußerst eng.
Und heute?
Inzwischen verläuft die Kooperation zwischen beiden Organisationen sehr effizient und sogar noch professioneller. ATN engagiert sich aktiv in mehreren Arbeitsgruppen im Bereich der Mikroelektronik, der Qualitäts- und Zuverlässigkeitsrichtlinien und der künftigen technologischen Trends und Strategie. Darüber hinaus arbeiten unsere Mitarbeiter bei den unterschiedlichen Projekten von Anfang an mit den ESA-Teams zusammen.
Die Rosetta-Mission ist eines dieser gemeinsamen Projekte. Was macht sie so einzigartig?
Rosetta war vor allem aus zwei Gründen eine ganz besondere Mission. Erstens wegen der Reisedauer. Eine Herausforderung war sicherzustellen, dass die Sonde die Gefahren der mehr als zehn Jahre langen Reise durch den Weltraum übersteht. Zweitens wegen der Landung. Die schwierigste Phase der Rosetta-Mission war das Rendezvous mit dem sich schnell bewegenden Kometen.
„Jede Art von bemannter Mission bedarf gründlich bewährter Technologien, und einige Aspekte sind nach wie vor weitgehend ungeklärt.“
Welche konkreten Aufgaben hat ATN bei der Rosetta-Mission übernommen?
ATN war dafür verantwortlich, Qualität und Zuverlässigkeit der Mehrzahl der elektronischen Komponenten an Bord der Sonde zu gewährleisten. Unsere Experten haben die technischen Eigenschaften aller elektronischen Bauteile in unseren Laboren anspruchsvollen Temperatur-, Strahlungs-, Thermalvakuum- und Funktionstests untersucht, um sicherzustellen, dass diese den enormen Anforderungen der Mission gewachsen sein würden.
Haben Sie die Landung der Sonde auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko live verfolgt?
Ja, von der Bodenstation des ESA Astronomy Centre in der Nähe von Madrid aus. Die meisten unserer Mitarbeiter haben die Landung über eine Internetverbindung zur ESA ebenfalls verfolgt.
Wie stehen Sie zu dem geplanten bemannten Flug zum Mars? Ist die Technologie schon so weit?
Die technologische Entwicklung wird bemannte Missionen zum Mars möglich machen, aber nicht kurzfristig. Jede Art von bemannter Mission bedarf gründlich bewährter Technologien, und einige Aspekte sind nach wie vor weitgehend ungeklärt. Es stimmt, dass wir dank einiger früherer Missionen inzwischen mehr über die Beschaffenheit der Marsoberfläche wissen; wir fangen an, die Gefahren einer derartigen Reise besser zu verstehen. Aber wir können die Sicherheit der Mannschaft auf solch langen Weltraumreisen noch lange nicht garantieren.
An welchen innovativen Projekten arbeiten Sie derzeit?
Wir sind aktuell in verschiedenen Bereichen tätig. Nicht nur im Weltraum, sondern wir arbeiten beispielsweise auch an gewerblichen Drohnen und deren Anwendung. Außerdem beschäftigen wir uns mit dem Einsatz neuer IT-Technologien: Wir entwickeln ein webbasiertes Tool mit neusten Technologieentwicklungen, um die Methoden des Data Mining auch für die Raumfahrtindustrie zu verwenden. Außerdem arbeiten wir an neuen Halbleitertechnologien unter Einsatz von Galliumnitrid und Siliziumkarbid.
Von welcher Mission träumen Sie als nächstes?
Obwohl die meisten Nachrichten über die Erforschung des Weltalls derzeit den Mars zu betreffen scheinen, habe ich persönlich den Mond im Auge. Der Mond wird die Plattform sein, um Technologien zu testen, die später bei der weiteren Erkundung des Weltraums, einschließlich des Mars, zum Einsatz kommen. Vielleicht ist ein Grund auch, dass der Mond unser enger kosmischer Nachbar ist und dass wir Menschen seine Oberfläche erkunden, seit wir erstmals Teleskope entwickelt haben. Vielleicht ist es auch bloß, weil hier mittelfristig greifbare Ergebnisse erzielbar sein könnten und – man kann es ruhig laut sagen – weil ich hoffe, das noch zu erleben.
Das könnte Sie auch noch interessieren
ZUR PERSON
© Henning Scheffen Photography
Luis Gómez ist Geschäftsführer von Alter Technology (ATN), einem Tochterunternehmen der TÜV NORD GROUP. Das Unternehmen war maßgeblich an dem Erfolg der Mission Rosetta beteiligt.
ALTER TECHNOLOGY IN ZAHLEN
Standorte – Spanien, Großbritannien, Frankreich
Beschäftigte – 250 Mitarbeiter, davon sind mehr als die Hälfte Ingenieure
Teilnahme an Weltraummissionen – Mehr als 100
Erfahrung – mehr als 30 Jahre (Gründung 1986)
Weltraumsonde, die die meisten Kilometer zurückgelegt hat – Rosetta mit 6,4 Milliarden Kilometern
Anzahl der getesteten unterschiedlichen Komponenten – 130.000