MENU
Kurz nachgefragt

Wo steht der 3D-Druck heute?

24. September 2020

Vor rund zehn Jahren schienen wir alle kurz davor, unser Essen, Plastik­geschirr, Spielzeug und selbst Ersatzorgane einfach zu Hause auszudrucken. Zwischen­zeitlich ist es um die „additive Fertigung“ – so die offizielle Bezeichnung des drei­dimensionalen Drucks – in der Öffentlichkeit deutlich ruhiger geworden. Wo wir heute beim 3D-Druck stehen und welche Rolle die Technik in Industrie, Medizin und Produktentwicklung spielt, weiß Jens Groffmann von TÜV NORD.

 

#explore: Wo stehen wir heute beim 3D-Druck, Herr Groffmann?
Jens Groffmann: Das Bild des 3D-Drucks in der Öffentlichkeit ist oftmals von vollmundigen Marketingversprechen geprägt. Tatsächlich spielt die „additive Fertigung“ mit Metallen oder Kunststoffen in der Industrie und in der Medizin­technik heute eine große Rolle: Die Metall-Unterkonstruktion von Zahnprothesen, Endoprothesen wie künstlichen Knien, aber auch temporärer Knochen­ersatz werden heute mit 3D-Druckern produziert.
Auch bei der Herstellung von Hörgeräten spielt der 3D-Druck seine Stärken aus, denn der Gehör­gang jedes Menschen ist anders geformt. Mittels drei­dimensionalem Druck kann das Hörgerät passgenau für den Patienten gefertigt werden.
In der Automobilindustrie wird die Technologie sowohl in der Design­phase als auch bei der Produktion von Prototypen intensiv genutzt. 3D-Druck macht individuelle Einzel­anfertigungen zu erschwinglichen Preisen erst möglich: Brillenträger können sich Gestelle „on demand“ nach ihren Vorstellungen anfertigen lassen, Autokäufer ihren Wagen durch Bauteile aus dem 3D-Drucker individualisieren, was etwa BMW für den Mini anbietet.

 

Welchen grundsätzlichen Vorteil bietet die Technologie gegenüber herkömmlichen Produktions­verfahren?
Gängige Verfahren in der Metallverarbeitung arbeiten mit einem Roh­material – einer Stange, einem Rohr, einem Metallblock –, aus dem das fertige Bauteil heraus­geformt wird, indem man über­schüssiges Material durch Drehen und Fräsen entfernt. Bei der additiven Fertigung wird ein Bauteil dagegen Schicht für Schicht erzeugt, wodurch Material­über­schuss entfällt. Man benötigt nicht für jedes Bauteil eine spezielle Maschine oder Gussform, die gekauft, installiert und gewartet werden muss, und ist auch unabhängiger von den Liefer­fristen von Vor­lieferanten. Das heißt, man spart auf mehreren Ebenen Zeit und Geld. Nicht zuletzt kann man mit 3D-Druck Konstruktionen realisieren, die konventionell nicht herstellbar wären. 


Und wo haben klassische Verfahren noch immer die Nase vorn?
Hier muss man je nach Anwendungs­fall differenzieren: Will man identische Produkte in sehr hoher Stückzahl produzieren, sind konventionelle Methoden natürlich nach wie vor das Mittel der Wahl. Bei Kleinserien oder individuellen Einzel­anfertigungen spielt dagegen der 3D-Druck seine Stärke aus – etwa auch bei der Herstellung temporärer oder dauerhafter Ersatz­teile. Sei es auf einem Bohrfeld in Saudi-Arabien, einer Bohr­insel in der Nordsee oder anderen schwer erreichbaren Orten, an denen man möglichst schnell ein Ersatz­teil braucht, das die Produktion am Laufen hält, bis das entsprechende Originalteil eingetroffen ist. Die US Navy hat mittlerweile auf ihren Flug­zeug­trägern 3D-Fertigungszellen installiert, weil aus Platz­gründen nicht sämtliche Ersatz­teile bevorratet werden können. Die Flugzeuge an Bord müssen natürlich trotzdem einsatzfähig bleiben.

 

Menschliche Organe aus dem 3D-Drucker machen immer wieder große Schlag­zeilen. Was ist in diesem Bereich bereits möglich?
Selbst wenn im Labormaßstab daran gearbeitet wird, ist das eher ein Thema der lang­fristigen Grundlagen­forschung. Denn wie man Zell­wachstum steuern, Nerven­bahnen oder Arterien drucken will, ist nach meiner Auffassung noch völlig unklar.
Bei der Rekonstruktion von Knochen hat der 3D-Druck dagegen tatsächlich bereits völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Er kommt etwa bei schweren Verletzungen des Unter­kiefers infolge eines Unfalls oder einer Krebs­erkrankung zum Einsatz. Dabei wird der betroffene Bereich mittels Computer­tomo­grafie gescannt, anhand dieser Datensätze am Rechner ein Implantat modelliert und anschließend aus einem biokompatiblen Material wie Titan gedruckt.

„Bei der Rekonstruktion von Knochen hat der 3D-Druck tatsächlich bereits völlig neue Möglichkeiten eröffnet.“

Jens Groffmann, Diplom-Ingenieur

Zur Operationsplanung kann auch ein Modell des geschädigten Körperteils gedruckt werden, an dem das Implantat auf Passform kontrolliert wird. Für den Operateur ist das eine enorme Hilfe, da er im Vorfeld mögliche Komplikationen besser erkennen kann. Das Universitäts­klinikum Eppendorf in Hamburg etwa arbeitet mit diesem Verfahren.
Aber auch temporärer Knochenersatz wird bereits additiv gefertigt. So lassen sich Abschnitte des Schädel­knochens mit gedruckten Magnesium­strukturen verschließen. Der entscheidende Vorteil: Der Körper ist in der Lage, das Magnesium über die Zeit abzubauen und die abgebaute Struktur durch nachwachsendes Knochen­material zu ersetzen.

 

In welchen Einsatzfeldern wird der 3D-Druck künftig eine größere Rolle spielen?
Letztlich bei allen teuren Maschinen und Geräten, die über Jahrzehnte im Einsatz sind, etwa in der Luftfahrt oder im Eisenbahn­sektor.
Flugzeuge werden rund 30 Jahre verwendet. Über diese gesamte Zeit muss man natürlich Ersatz­teile vorhalten – und das weltweit, weil die Maschinen ja komplett um den Globus fliegen. Und selbst wenn nur noch zwei Flugzeuge dieses Typs im Einsatz sind, muss man sicher­stellen, dass entsprechende Ersatzteile innerhalb von Stunden zur Verfügung stehen.
Züge sind sogar bis zu 50 Jahre im Einsatz. Das Problem: Die Hersteller der einzelnen Komponenten älterer Züge sind mittler­weile oft gar nicht mehr am Markt. Geht ein entsprechendes Bauteil kaputt, steht im schlimmsten Fall der ganze Zug still – ein enormer wirtschaftlicher Schaden. Bei der Deutschen Bahn ist es deshalb mittlerweile üblich, dass solche Bauteile nachgedruckt werden. Immer unter der Voraussetzung natürlich, dass das gedruckte Bauteil qualitativ mindestens gleich­wertig und ebenso haltbar ist wie das Original­teil.
Ein weiteres Beispiel sind innengekühlte Umform­werk­zeuge, die erheblich kürzere Zyklus­zeiten bei der Fertigung von hochfesten Karosserie­blechen ermöglichen und damit die Fertigungs­kosten signifikant senken.
Momentan werden auch verstärkt Materialien entwickelt, die speziell auf den 3D-Druck zugeschnitten sind. Das wird noch einmal neue Möglichkeiten eröffnen. Und auch der Trend zu individualisierten und personalisierten Produkten wird sich zunehmend verstärken und der Technologie einen weiteren Schub geben.

 

Was kann ich als Privatanwender mit einem 3D-Drucker anfangen?
Wenn Sie Bastler sind und gerne Dinge konstruieren, ist ein 3D-Drucker eine super Sache! Hier gibt es mittler­weile im Consumer-Bereich ganz anständige Geräte, die entsprechend mit Plastik arbeiten, für ein paar Hundert Euro – zum Vergleich: Ein 3D-Drucker für professionelle Anwendungen wie zur Verarbeitung von Metallen kann problem­los eine Million Euro kosten. Auch im künstlerischen Bereich oder im Design ist das eine herrliche Anwendung, die der Kreativität im wahrsten Sinne des Wortes kaum Grenzen setzt.

 

ZUR PERSON

Der Diplom-Ingenieur Jens Groffmann kümmert sich bei TÜV NORD Systems schwerpunkt­mäßig um Prüf­dienst­leistungen und Zertifizierung für den industriellen 3D-Druck. Mit seinen Kollegen bringt er Pilot­projekte mit Industrie­unternehmen auf den Weg und engagiert sich aktiv in den nationalen und inter­nationalen Normungs­gremien zum 3D-Druck.