28. November 2019
Seit April surrt auf Sylt ein Roboterbus durch den Ort Keitum, im Oktober ist in Osnabrück der „Hubi-Shuttle“ gestartet, und Anfang Oktober konnten auch im Städtchen Lauenburg an der Elbe das erste Mal Fahrgäste im selbstfahrenden „TaBuLa-Shuttle“ Platz nehmen. Bevor die automatisierten Busse auf die Straße durften, wurden sie von Klaus W. Baumeister und seinen Kollegen unter die Lupe genommen. Wie solche automatisierten Shuttles geprüft werden, das erklärt der Sachverständige von TÜV NORD im Interview.
#explore: Herr Baumeister, wie geht denn die Prüfung eines automatisierten Busses vonstatten?
Klaus W. Baumeister: Bevor so ein Fahrzeug auf die Straße kann, müssen viele Aspekte berücksichtigt werden. Optimalerweise werden wir bereits bei der ersten Streckenbegehung mit Vertretern des Betreibers, des Herstellers und der Stadt einbezogen. Denn hier fallen meist schon die ersten Punkte auf, die es zu lösen gilt – etwa, ob Hecken am Straßenrand gestutzt werden müssen, da sie vom Fahrzeug als Hindernis betrachtet werden. Diese können die Shuttles ja bislang noch nicht umfahren. Sie sind darauf programmiert, sofort anzuhalten, sobald ihre Sensoren ein Hindernis erkennen. Im Rahmen der Begehung wird außerdem festgelegt, ob auf einem Streckenabschnitt eine Geschwindigkeitsbeschränkung eingeführt wird, damit der Tempounterschied zwischen den bislang auf 18 Stundenkilometer gedrosselten Bussen und den anderen Verkehrsteilnehmern nicht zu groß ausfällt. Dabei können sich durchaus auch größere Änderungen ergeben: Der Hubi-Shuttle in Osnabrück sollte ursprünglich nach links auf eine viel befahrene Straße abbiegen. Da das Fahrzeug dazu noch nicht in der Lage war, wurde die Strecke einfach umgedreht, wodurch diese Abbiegesituation entfiel.
„Auch wenn der Bus automatisiert fährt: Es ist immer ein Sicherheitsfahrer an Bord, der sogenannte Operator.“
Wie geht es dann weiter?
In einem zweiten Schritt wird das Fahrzeug von uns in einer Einzelbegutachtung auf technische Sicherheit für den manuellen Fahrbetrieb geprüft. Denn auch wenn der Bus automatisiert fährt: Es ist immer ein Sicherheitsfahrer an Bord, der sogenannte Operator. Er trägt die Verantwortung und muss jederzeit in der Lage sein, das Fahrzeug zu steuern oder zu stoppen. In unserem Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität in Hannover oder alternativ an einem anerkannten Prüfstandort überprüfen wir dabei die Dokumentation des Herstellers. Wir vermessen und wiegen das Fahrzeug, testen das Bremsverhalten und fahren auf unserem Testgelände bei unterschiedlichen Wetterlagen wie Regen und Wind oder auch bei Nacht, um etwa herauszufinden, ob bei Dunkelheit Spiegelungen auftreten, die die Sicht des Sicherheitsfahrers beeinträchtigen können. Des Weiteren führen wir Ausfallszenarien durch: Wir simulieren beispielsweise einen Sensorausfall, um zu testen, ob das Fahrzeug dabei wie vorgeschrieben in den „sicheren Zustand“ übergeht und gegebenenfalls eine sofortige Bremsung einleitet.
Was ist die rechtliche Grundlage für die Zulassung dieser automatisierten Busse?
Grundsätzlich werden diese Fahrzeuge nach nationalem Recht im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung zugelassen. Da sie aktuell nicht schneller als 18 Stundenkilometer fahren, greifen bei ihnen nicht wie bei anderen Kraftfahrzeugen die Vorschriften der Europäischen Union (EU). Aber auch im nationalen Recht der Straßenverkehrsordnung gibt es Anforderungen, die diese Fahrzeuge nicht erfüllen: Sie verfügen beispielsweise nicht über ein Lenkrad und eine mechanische Betriebsbremse, sondern werden über einen Joystick gesteuert und elektrisch gebremst. Hier hat man sich darauf verständigt, dass das unter bestimmten Voraussetzungen dennoch zulässig sein kann. Damit jeder Sachverständige in Deutschland hier nach gleichen Maßstäben arbeitet, hat der VdTÜV in Verbindung mit den Länderbehörden Richtlinien entwickelt, in denen diese Ausnahmen und ihre Voraussetzungen aufgelistet sind und beschrieben werden.
Wie werden die automatisierten Fahrfunktionen überprüft?
Die automatisierten Fahrfunktionen können nur auf einer vorher eingemessenen Route erfolgen. Dazu wird das Fahrzeug zunächst manuell über eine Strecke bewegt, lernt durch seine Sensoren, etwa GPS, Radar oder Lidar, den Weg kennen. Eine Hausecke, eine Litfaßsäule oder eine Frau, die mit einem Hund die Straße überquert: Alles wird zunächst aufgezeichnet. Im Anschluss werden diese Daten dann in einem Großrechner bereinigt. Denn die Frau läuft dort schließlich nicht jeden Tag, die Litfaßsäule und die Hausecke sind dagegen Konstanten. Auf Basis dieser Daten entwickelt der Hersteller ein Programm, mit dem sich das Fahrzeug auf dieser konkreten Strecke selbst zurechtfinden kann – wobei es einer virtuellen Schiene folgt. Wir lassen uns dann in einer Fahrprobe vor Ort demonstrieren, ob sich das Fahrzeug anforderungsgemäß verhält. Dabei orientieren wir uns an den besagten Richtlinien, in denen detailliert aufgeschlüsselt ist, welche Verkehrsszenarien das Fahrzeug beherrschen muss. Meist fahren wir die Strecke dafür mehrfach: Wird etwa der Zebrastreifen von einer Person überquert und das Fahrzeug hält an, kann dieser Punkt abgehakt werden. Kreuzt gerade niemand die Straße, fahren wir weitere Runden, bis die entsprechende Situation eingetreten ist und wir schließlich alle geforderten Verkehrsszenarien testen konnten. Anhand meiner Beobachtungen bei der Fahrprobe wird der Datensatz des Shuttles durch den Betreiber neu konfiguriert und in meinem Beisein fixiert. Und nur mit diesem nach Datum und exakter Uhrzeit benannten Datensatz darf der Bus später automatisch betrieben werden. In der erteilten Ausnahmegenehmigung ist der Datensatz namentlich festgelegt, zudem ist eine Zeichnung der Strecke mit einer minutiösen Beschreibung des programmierten Fahrverlaufs enthalten: Wo fährt das Fahrzeug wie schnell, wann erfolgt ein Not-Stopp? Wenn der Betreiber Anpassungen vornimmt, wird ein neuer Datensatz erforderlich und gegebenenfalls eine neue Begutachtung durch uns.
„Die automatisierten Fahrfunktionen können nur auf einer vorher eingemessenen Route erfolgen. Dazu wird das Fahrzeug zunächst manuell über eine Strecke bewegt, lernt durch seine Sensoren, etwa GPS, Radar oder Lidar, den Weg kennen.“
Wann wäre das beispielsweise der Fall?
Das Fahrzeug in Lauenburg war etwa noch nicht in der Lage, eine Ampel zu erkennen. Deshalb hatten wir bei der Begutachtung einen Nothalt festgelegt. Das heißt, das Fahrzeug hielt automatisch an, und der Fahrer aktivierte es wieder, sobald die Ampel grün war. Nun wurde eine Infrastruktur aufgebaut, damit das Fahrzeug mit der Ampel kommunizieren kann, um diesen Streckenabschnitt selbstständig zu bewältigen. Der Betreiber erstellte einen neuen Datensatz, dessen korrekte Funktion von uns auf der Strecke überprüft wurde.
Vor vier Jahren haben Sie den ersten Robo-Shuttle unter die Lupe genommen. Wie hat sich die Technik seitdem weiterentwickelt?
Antriebsseitig ist das Fahrzeug in Lauenburg eine Weiterentwicklung des Shuttles auf Sylt. Da die Insel flach ist, wird es dort bloß mit einer Achse angetrieben. In Lauenburg muss der Bus dagegen auch Steigungen bewältigen, deshalb sind dort zwei Achsen motorisiert. Verbessert hat sich in den vergangenen Jahren außerdem die Sensorik. Die ersten Generationen der Fahrzeuge konnten sich nur an fixen Punkten in ungefähr drei Meter Höhe orientieren. Eine Hauswand konnte der Shuttle also problemlos erkennen; freie Strecken zwischen zwei Ortschaften ließen sich allerdings noch nicht befahren, da dort die Orientierungspunkte fehlten. Die Sensoren der neuesten Generation können nun auch Fahrbahnmarkierungen identifizieren sowie Dinge wahrnehmen, die sich unter drei Metern Höhe befinden. Damit lassen sie sich prinzipiell auch auf anderen Strecken einsetzen. Bei den Projekten selbst lässt sich in jüngerer Zeit darüber hinaus eine Tendenz zu einem immer höheren Schwierigkeitsgrad bezüglich der zu bewältigenden Fahr- und Verkehrssituationen ausmachen. Der Kurs in Lauenburg wird in seiner dritten und letzten Ausbaustufe ein sehr breites Spektrum an Verkehrsszenarien enthalten: etwa Streckenabschnitte auf einer Bundesstraße, enge Gassen, Kopfsteinpflaster, Steigungen und Gefälle bis zu 16 Prozent. Mit diesem anspruchsvollen Kurs will Lauenburg zum Testzentrum werden, auf dem Hersteller ihre Fahrzeuge erproben können. Aber auch dort ist das Fahrzeug nach wie vor auf einer vorgegebenen virtuellen Schiene unterwegs. Der nächste größere Schritt wäre dementsprechend, dass die automatisierten Shuttles selbstständig überholen können. Auf der Autobahn ist das ja bereits streckenweise möglich. Aber in der Stadt sind die Fahrbahnmarkierungen oft weniger klar, und die Verkehrssituation ist erheblich komplexer. Daher wird es sicher noch einige Zeit dauern, bis die Busse selbstständig etwa parkende Autos umfahren können.
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ZUR PERSON
Klaus W. Baumeister ist amtlich anerkannter Sachverständiger für den Kraftfahrzeugverkehr bei TÜV NORD Mobilität in Hannover.