23. Januar 2018
Bislang stand der Datenschutz bei der Softwareentwicklung oft an letzter Stelle. Privacy by Design soll das ändern. Durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wird das Prinzip sogar ab 25. Mai 2018 für Unternehmen verpflichtend. Jörg Schlißke erklärt, was hinter dem Konzept steckt und wie es den Datenschutz für Nutzer verbessern soll.
#explore: Was ist Privacy by Design?
Jörg Schlißke: Privacy by Design bedeutet, dass der Datenschutz bereits bei der Konzipierung und Entwicklung von Software und Hardware zur Datenverarbeitung berücksichtigt wird. Durch benutzerfreundliche Voreinstellungen sollen dabei ausschließlich Daten erhoben werden, die für den jeweiligen Verarbeitungszweck erforderlich sind, um möglichst wenig in die Schutzrechte der betroffenen Nutzer einzugreifen. Bei einem Vertrag mit einem Onlinehändler wären das etwa Name, Anschrift und Kontoverbindung.
„Ein Unternehmen darf von seinen Angestellten nur Informationen erfassen, die für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses unverzichtbar sind.“
#explore: Und was bedeutet es für Unternehmen?
Jörg Schlißke: Ein Unternehmen darf von seinen Angestellten nur Informationen erfassen, die für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses unverzichtbar sind. Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind hier die Stichworte. Entwickelt ein Unternehmen eine Software zur Datenverarbeitung, muss es bei der Entwicklung Sorge tragen, dass etwa eine Löschkonzeption umgesetzt wird oder nicht unbedingt erforderliche Datenfelder anonymisiert beziehungsweise pseudonymisiert werden. Dieses Grundprinzip der Erforderlichkeit ist bereits im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) angelegt. Privacy by Design ist dabei eng verbunden mit Privacy by Default, was zu Deutsch „Datenschutz ab Werk“ bedeutet. Geräte und Webdienste müssen demnach von Haus aus mit datenschutzfreundlichen Voreinstellungen ausgestattet sein. Bislang mussten Nutzer oft umständlich und manuell einer automatischen Nutzung ihrer Daten etwa für Werbezwecke widersprechen (Opt-out). Das war beispielsweise bei Facebooks Aktualisierung der Datenschutzerklärung 2015 der Fall.
#explore: Könnten Sie das in einem weiteren Beispiel noch etwas genauer beschreiben?
Jörg Schlißke: Als Umsetzungsbeispiel für das Prinzip Privacy by Default sind Tracking-Einstellungen von Internet Browsern zu nennen. Hier teilt der Browser den besuchten Webseiten automatisch mit, dass der Benutzer nicht verfolgt werden soll. Der Anwender kann dann selbst diese Schutzfunktion ausschalten und dem Tracking zustimmen, wenn er das will – man spricht hier von Opt-in. Das stärkt die Wahlfreiheit der Nutzer. Sie können zukünftig selbst entscheiden, welche Daten sie Unternehmen über das nötige Maß hinaus zur Verfügung stellen.
„Verstoßen Unternehmen gegen die Datenschutzvorgaben, können die Aufsichtsbehörden ab Mai 2018 Bußgelder von bis zu 20 Millionen Euro erheben.“
#explore: Durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) werden Privacy by Design und Privacy by Default ab Mitte Mai 2018 gesetzlich verpflichtend. Was ändert sich dadurch für Unternehmen?
Jörg Schlißke: Die Unternehmen sind jetzt gefordert. Grundsätzlich enthält zwar bereits das BDSG Vorgaben zu Privacy by Design im Sinne der Datenvermeidung und Datensparsamkeit. Allerdings blieb es bei einem sogenannten Programmsatz, einer Art Absichtserklärung. Verstöße konnten nur bedingt sanktioniert werden. Das ändert sich mit dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung. Verstoßen Unternehmen gegen die Datenschutzvorgaben, können die Aufsichtsbehörden ab Mai 2018 Bußgelder von bis zu 20 Millionen Euro erheben und zudem eine Gewinnabschöpfung von bis zu vier Prozent des konzernweiten Jahresumsatzes vornehmen – und zwar nach dem Standortprinzip. Auch ausländische Unternehmen mit einer Niederlassung in Europa fallen demnach unter die Vorgaben der DSGVO und können sanktioniert werden. Und dieser Sanktionsrahmen wird auch ausgeschöpft werden, das wissen wir aus unseren Gesprächen mit den Aufsichtsbehörden. Unternehmen sollten also nicht abwarten und darauf hoffen, dass sich die Datenschutz-Grundverordnung als zahnloser Papiertiger erweist. Als Beleg dafür, dass sie ihren Garantieverpflichtungen nachkommen, können sich die Firmen zukünftig einem genehmigten Zertifizierungsverfahren unterziehen lassen. Zertifizierbar sind allerdings nur gewisse Kernmerkmale der DSGVO wie Privacy by Design und Privacy by Default.
#explore: Was ändert sich für die Nutzer?
Jörg Schlißke: Die Rechte der Nutzer werden insgesamt gestärkt. Sie können zukünftig ihre Betroffenenrechte auch in dem Land geltend machen, in dem die Daten erhoben wurden – sprich grenzübergreifender Handel. Gestärkt wurde zusätzlich ihr Auskunftsrecht über Art, Menge und Verwendung der gespeicherten Daten. Auch der Anspruch auf Korrektur oder Löschung fälschlich erhobener Daten wurde gestärkt. Zudem wurde die Transparenzpflicht von Unternehmen verschärft. Das ist ein wichtiger Zugewinn für Nutzer: Datenschutzerklärungen waren ja bislang oft sehr kompliziert und umfangreich. Zukünftig müssen Betreiber von Webseiten, sozialen Netzwerken oder Handelsplattformen ihre Datenschutzerklärungen sprachlich so anpassen, dass auch Minderjährige und nicht rechtsfähige Personen sie verstehen können. Was noch aussteht, ist die Reform der E-Privacy-Verordnung, die mit der Datenschutzverordnung korrespondiert. Diese bezieht sich zunächst nicht auf natürliche Personen, also auf Nutzer. Wird aber etwa über eine Webseite ein Bezug zu einer natürlichen Person hergestellt, dann gilt die E-Privacy-Verordnung als Spezialnorm vorrangig gegenüber der Datenschutz-Grundverordnung. Aktuell gilt hier noch die alte Datenschutzrichtlinie von 1995. Es gibt den Entwurf einer Novellierung, der allerdings noch nicht verabschiedet ist. Damit eine lückenlose und vollumfängliche Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung gewährleistet werden kann, muss der Gesetzgeber hier nachbessern.
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ZUR PERSON
© TÜV NORD
Jörg Schlißke ist Produktmanager für Datenschutz-Qualifizierung bei TÜViT und beschäftigt sich seit 2011 mit Privacy by Design und Privacy by Default. Mit seinem Team ist der Wirtschaftsjurist verantwortlich für Datenschutzberatung, Datenschutzbegutachtung und Zertifizierung zum Datenschutz und zur Datensicherheit. Zudem ist er Leiter der Fachstelle für Datenschutzsachverständige beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein.