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Kurz nachgefragt

Was ist die ISO 15118?

10. Februar 2022

Wer heute ihr oder sein E-Auto an einer öffentlichen Ladesäule aufladen will, kommt um einen gewissen Aufwand nicht herum: Zunächst müssen Ladekarte oder App gezückt werden, erst dann geht es mit der Aufladung los. Die ISO 15118 soll diesen Vorgang erheblich erleichtern. Wie die Norm auch zur Stabilisierung der Stromnetze in Zeiten der Energiewende dienen kann, erklärt Manuel Hagemann, E-Mobilitätsexperte von TÜV NORD.

Wofür steht diese Norm?

Die ISO 15118 ist ein internationaler Standard, der die bidirektionale Kommunikation zwischen Elektrofahrzeug und Ladesäule regelt. Er wird von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) und der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC) verantwortet und kontinuierlich weiterentwickelt. In Kürze soll die Version zwei der Norm erscheinen, die dann weitere Funktionalitäten hinzufügt: etwa das sogenannte Vehicle-to-Grid, mit dem Elektroautos auch externe Verbraucher wie E-Bikes oder E-Scooter laden und vor allem Strom zurück ins Netz speisen können. Letzteres gilt als wichtiger Baustein des Smart-Grid, des intelligenten Stromnetzes der Zukunft. Außerdem deckt die neue Version auch das kabellose induktive Laden und automatisierte Ladeeinrichtungen, also Laderoboter, ab.

„Die ISO 15118 soll das Laden für E-Autofahrende nach dem Prinzip 'Plug & Charge' so simpel und komfortabel wie möglich machen.“

Manuel Hagemann, Experte für E-Mobilität bei TÜV NORD

Wie kann die Norm das Laden eines E-Autos vereinfachen?

Die ISO 15118 soll das Laden für E-Autofahrende so simpel und komfortabel wie möglich machen. „Plug & Charge“ heißt hier das Stichwort: Statt sich wie bisher über eine App oder eine RFID-Karte zu autorisieren, steckt man einfach den Stecker ins Auto. Das Fahrzeug identifiziert und autorisiert sich automatisch an der Ladesäule, die dann den Ladevorgang startet. Die Abrechnung läuft im Hintergrund ab. Die ISO 15118 gewährleistet dabei durch Verschlüsselungsverfahren und Sicherheitszertifikate, dass die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladesäule und die hinterlegten Vertragsdaten der Nutzenden geschützt sind. Ein weiterer Vorteil: Mit der neuen Version der ISO-Norm soll man auch mehrere Ladeverträge hinterlegen können. Das Fahrzeug kann selbst entscheiden, welcher davon der beste Tarif für diesen Ladepunkt ist. Das ist ja momentan noch ein Problem: Ich fahre selbst ein Elektroauto und nutze aktuell drei verschiedene Apps, um zu schauen, an welcher Säule ich am günstigsten laden kann. Künftig kann ich diese Auswahl bestenfalls dem Fahrzeug überlassen.

Mit welchen E-Fahrzeugen kann man bereits mit „Plug & Charge“ laden – und wo?

Noch ist die Technologie nur bei wenigen Modellen verfügbar, aber die Zahl wächst. So haben etwa der elektrische Smart, der Audi e-tron, der Ford Mustang Mach-E, der Porsche Taycan und der neue Mercedes EQS die ISO-Norm bereits implementiert. Grundsätzlich gilt: Um „Plug & Charge“-fähig zu sein, muss ein Elektroauto über Hardware mit hoher IT-Sicherheit verfügen. Dann kann die Funktionalität auch später über Softwareupdates freigeschaltet werden. VW hat das für dieses Jahr für seine ID-Modelle angekündigt – also für den ID.3, den ID.4 und den neuen ID.5.

Einige Wechselstromladesäulen sind bereits ISO-15118-fähig und unterstützen „Plug & Charge“. Dasselbe gilt für die meisten der heutigen Schnellladesäulen, die entsprechend per Update um die Funktion erweitert werden können. An den rund 400 Schnellladestationen von Ionity in Europa kann man seit Oktober 2021 mit „Plug & Charge“ laden. Aral will die Funktionalität ebenfalls an seinen Ladesäulen einführen.

Das klingt nicht nach einer schnellen, flächendeckenden Umsetzung. Woran liegt das?

Die ISO 15118 bietet zwar eine höhere Sicherheit als klassische RFID-Karten, ihre Implementierung ist allerdings durchaus komplex und für Fahrzeughersteller, Ladesäulenbetreiber und Ladestromanbieter mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden. Einerseits, weil sie eine Abstimmung unterschiedlicher Akteure erfordert. Andererseits wird die Norm laufend weiterentwickelt. Ladesäulenbetreiber wie Fahrzeughersteller müssen hier natürlich immer auf dem aktuellen Stand bleiben, um die Kommunikation zwischen E-Auto und Infrastruktur verlässlich gewährleisten zu können. Um die Umsetzung der Norm zu erleichtern, hat der Verein CharIN Testszenarien erarbeitet, auf die sich die beteiligten Akteure bei der Implementierung stützen können.

Können E-Autos über den ISO-Standard auch zur Stabilisierung der Stromnetze beitragen?

Die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien ist mit fluktuierenden Verfügbarkeiten verbunden. Denn Wind und Sonne wehen beziehungsweise scheinen naturgemäß nicht immer gleichermaßen stark. Um diese Schwankungen und mögliche Ungleichgewichte im Stromnetz auszugleichen, kann der Strom aus E-Fahrzeugbatterien eben bei Bedarf ins Netz zurückgespeist werden. Das sogenannte Vehicle-to-Grid kann damit einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten. Und wer auf diese Weise ihre oder seine Batterie zur Stabilisierung der Netze zur Verfügung stellt, wird dann auch entsprechend finanziell vergütet – sei es über entsprechende Entgelte oder über Rabatte beim lokalen Stromversorger. Privatpersonen wie gewerbliche Flottenbetreiber, etwa Verkehrsunternehmen mit vielen E-Bussen, können also mit ihren Elektrofahrzeugen Einnahmen erzielen, wenn diese gerade nicht im Einsatz sind. Wie das dann in der Breite konkret abläuft, muss noch geregelt werden.

Aber niemand möchte doch mit einem leeren Akku starten …

Die Batterie wird bei einer solchen Nutzung für die Netze natürlich nicht vollständig entladen. Vielmehr geben Fahrzeughaltende nur einen kleinen Teil der Gesamtkapazität der Batterie für Vehicle-to-Grid frei, beispielsweise zehn Prozent. Außerdem kann man über die in der ISO 15118 spezifizierte Funktionalität auch festlegen, dass die Batterie zur geplanten Abfahrtzeit auf einem bestimmten Ladestand sein soll. Das E-Fahrzeug wird dann entsprechend langsamer, aber damit auch batterieschonender geladen. Und man hat weiterhin die Garantie, mit einem ausreichend gefüllten Akku loszufahren.

Was schätzen Sie: Wie dürfte sich die ISO 15118 und damit „Plug & Charge“ in den kommenden Jahren verbreiten?

Meine Erwartung ist, dass die Marktdurchdringung der ISO-Norm weiter Fahrt aufnimmt, „Plug & Charge“ künftig zur Selbstverständlichkeit wird und die Aufladung an öffentlichen Ladesäulen damit so unkompliziert wird, wie sie es heute an der heimischen Wallbox bereits ist. Teilweise wird darüber diskutiert, ob die Durchsetzung der ISO 15118 politisch angeschoben werden sollte, etwa durch eine verpflichtende Aufnahme in die Ladesäulenverordnung. Ich denke aber, dass der Markt das selbst regeln dürfte. Denn für Kundinnen und Kunden bietet „Plug & Charge“ einen großen Komfortgewinn. Und die wachsende Nachfrage nach vereinfachtem Laden wird auch die Fahrzeughersteller und Ladesäulenbetreiber dazu motivieren, die Technologie zu implementieren.

 

ZUR PERSON

Manuel Hagemann ist technischer Experte für E-Mobilität bei TÜV NORD. Im TÜV-Verband leitet der studierte Maschinenbauingenieur den Arbeitskreis Elektromobilität.

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