26. September 2019
Seit Juni sind die Ridesharing-Shuttles von MOIA in Hamburg unterwegs. Da die Typgenehmigung für die goldgelben Elektrobusse noch ausstand, wurden diverse Fahrzeuge von den Sachverständigen von TÜV NORD in Einzelabnahmen unter die Lupe genommen. Was hinter einer solchen Einzelabnahme steckt, wie sie abläuft und wie sie sich von einer Typgenehmigung unterscheidet, das erklärt TÜV-NORD-Experte Klaus Baumeister im Kurzinterview.
#explore: Was ist denn eigentlich eine „Einzelabnahme“, und bei welchen Fahrzeugen ist sie erforderlich?
Klaus Baumeister: Eine Einzelabnahme kommt immer dann zur Anwendung, wenn eine europäische Typgenehmigung nicht herangezogen werden kann – zum Beispiel bei Eigen- und Umbauten oder auch bei Importfahrzeugen. Sie ist aber auch bei Neufahrzeugen erforderlich, die nicht in die EU-Typgenehmigungsvorschriften hineinpassen, wie etwa bei automatisierten Bussen, die in Deutschland an einigen Orten schon testweise im Einsatz sind. In einem solchen Fall kommt dann der amtlich anerkannte Sachverständige (aaS) einer Technischen Prüfstelle ins Spiel. Er prüft die vorgelegte Dokumentation sowie das Fahrzeug im praktischen Fahrversuch.
Sind alle Anforderungen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) erfüllt, erstellt der Sachverständige ein Einzelgutachten. Darauf aufbauend erteilt die Zulassungsbehörde anschließend eine Einzelgenehmigung. Diese Einzelzulassung basiert auf nationalem Recht und bezieht sich, wie der Name schon sagt, auf Einzelfahrzeuge oder kleine Serien identischer Fahrzeuge. Solche Fahrzeuge müssen natürlich ebenso sicher sein wie ein Serienfahrzeug. Damit aber eine Einzelabnahme nicht zu umfangreich und damit teuer wird, sind hierfür geringere Prüfumfänge und weniger Nachweise vorgeschrieben als bei einer Typprüfung für ein Serienfahrzeug. So werden beispielsweise keine zerstörenden Prüfungen verlangt. Ein Crashtest würde bei einem Einzelfahrzeug ja auch wenig Sinn machen.
„Ohne vorherige Abstimmung mit uns kann eine Abnahme an einem selbst gebauten Fünf-Tonnen-Anhänger wirklich umfangreich und teuer werden.“
Wie viel Zeit nimmt so eine Einzelabnahme in Anspruch?
Das kann zwei Stunden, drei Wochen oder vier Monate dauern, abhängig davon, welche Vorarbeiten der Kunde, etwa an der Dokumentation, bereits geleistet hat. Ohne vorherige Abstimmung mit uns kann eine Abnahme an einem selbst gebauten Fünf-Tonnen-Anhänger wirklich umfangreich und teuer werden. Rollt so ein Fahrzeug auf unseren Hof, werden oft zahlreiche Probleme offensichtlich, die erst behoben werden müssen. Wenn jemand ein Kraftfahrzeug selbst zusammenbaut, wird es erst recht wirklich kompliziert. So etwas kam vor einigen Jahren zwar noch häufiger vor, aber auch heute noch gibt es Leute, die sich selbst ein Auto zusammenbauen. Wird hier im Vorfeld eine intensive Abstimmung mit der Prüfstelle angestrebt und liegen die notwendigen Nachweise und Gutachten zu den einzelnen Bauteilen des Fahrzeugs vor, kann die Abnahme aber auch in kurzer Zeit bewerkstelligt werden.
Wie unterscheidet sich das zur „Typgenehmigung“?
Wenn ein Hersteller weit über 1.000 Fahrzeuge produziert, benötigt er eine Typgenehmigung, um diese Fahrzeuge in den Verkehr zu bringen. Anders als die Einzelabnahme basiert die Typgenehmigung nicht auf nationalem Recht, sondern ist in allen 28 EU-Staaten gültig. Während der sogenannten Homologation, so nennt sich das Typprüfverfahren auch, wird das Fahrzeug über 40 einzelnen Prüfumfängen unterzogen: etwa Abgas- und Geräuschverhalten, Bremse, elektromagnetische Verträglichkeit und natürlich auch diversen Crashtests. Und zwar für alle unterschiedlichen Varianten eines Modells. Seitencrash und Frontcrash müssen somit zum Beispiel sowohl bei dem Modell mit Automatik- als auch bei dem mit Schaltgetriebe durchgeführt werden, jeweils mit kleinem oder großem Motor und so weiter. Bevor so ein Fahrzeug in den Verkehr kommen kann, wurden also vorab schon mehrere Dutzend Prototypen geprüft.
„Während der sogenannten Homologation, so nennt sich das Typprüfverfahren auch, wird das Fahrzeug über 40 einzelnen Prüfumfängen unterzogen.“
Im Vorfeld wird mit dem Fahrzeughersteller abgestimmt, welche Fahrzeugvarianten als repräsentativ gelten, sodass die Anzahl der Prüffahrzeuge gering bleibt. Im Anschluss an die Prüfungen wird ein Gesamtprüfbericht erstellt und bei der Genehmigungsbehörde eingereicht. Das ist in Deutschland das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Entsprechen alle Prüfergebnisse den gesetzlichen Vorschriften, erhält der Hersteller eine EU-Typgenehmigung und darf die Fahrzeuge in Serie produzieren und verkaufen. Weil immer wieder etwa ein neues Getriebe oder eine andere Schalldämpferanlage dazukommt, gibt es auch immer wieder Nachträge zu bestehenden Genehmigungen.
Wie läuft so eine Typprüfung ab?
Hier gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Bei Variante eins stellt der Hersteller die Prüffahrzeuge TÜV NORD zur Verfügung. Wir sorgen dann für die regelwerkskonforme Durchführung aller Prüfungen auf eigenen Prüfständen und Testgeländen. Bei Variante zwei erfolgen die Prüfungen auf den Prüfanlagen des Herstellers. Das heißt: Wir betreuen alle notwendigen Tests und Nachweise, also etwa den Crashtest oder die Motorleistungsprüfung auf der Anlage des Herstellers. Dabei überprüfen wir im Vorfeld, ob die Anlagen den Anforderungen entsprechen. Wir dokumentieren, ob jeder einzelne Sensor kalibriert ist, ob die Messkette stimmt und so weiter. Prüfungen, die seltener vorkommen, wie etwa der Fußgängerschutz oder umfangreiche Nachweise an Fahrassistenzsystemen, werden auch auf den Anlagen von Ingenieurdienstleistern durchgeführt, die wir dementsprechend ebenso überwachen und betreuen.
Werden die Fahrzeuge dann auch in der laufenden Produktion noch einmal geprüft?
Der Hersteller muss sicherstellen, dass auch das hunderttausendste Fahrzeug ebenso die Vorschriften erfüllt wie das zuerst geprüfte. Deshalb ist er gesetzlich verpflichtet, sogenannte Conformity-of-Production-Prüfungen (CoP) durchführen. Zu einem von der Genehmigungsbehörde festgelegten Zeitpunkt oder nach einer bestimmten produzierten Stückzahl muss er dazu ein Fahrzeug aus der Serienproduktion entnehmen und an diesem sämtliche Einzelprüfumfänge nochmals durchführen. Diese CoP-Prüfungen werden durch den Hersteller durchgeführt, der diese Tests und ihre Ergebnisse gegenüber der Genehmigungsbehörde nachweisen muss. Oftmals werden solche CoP-Prüfungen auch an uns übergeben und wir erbringen die Nachweise als Dienstleistung.
Was passiert, wenn die Prüforganisation und damit auch die Genehmigungsbehörde feststellen, dass ein Fahrzeugtyp die Anforderungen nicht erfüllt?
Dann muss der Hersteller entsprechend nachbessern. So etwas kommt immer wieder einmal vor. Bei den Konformitätsprüfungen kommt es darauf an, wie gravierend die festgestellten Abweichungen sind. Geht es nur um eine Kleinigkeit, die zudem nicht sicherheits- oder umweltrelevant ist, muss der Hersteller das Problem in der Produktion abstellen. Mit Erlaubnis der Genehmigungsbehörde müssen die im Feld befindlichen Fahrzeuge nicht nachgebessert werden. Bei größeren Mängeln sind Rückrufaktionen mit umfangreichen Nachbesserungen und Anpassungen unumgänglich.
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ZUR PERSON
Klaus Baumeister ist amtlich anerkannter Sachverständiger für den Kraftfahrzeugverkehr bei TÜV NORD Mobilität in Hannover.
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