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Flutkatastrophen verhindern

Wo stehen wir beim Hochwasserschutz?

30. Juni 2022

Schwere Sturzfluten, Überschwemmungen in Flussgebieten und alleine in Deutschland mehr als 180 Menschen, die ihr Leben in den Wassermassen ließen: Die Flutkatastrophe im Juli 2021 hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Ein Jahr danach stellt sich die Frage: Wo stehen wir in Deutschland eigentlich beim Hochwasserschutz? Ein Gespräch mit dem Hydrologen Bruno Merz vom Helmholtz-Zentrum Potsdam.

#explore: Ein Jahr liegt die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nun zurück. Müssen wir künftig auch in Deutschland häufiger mit solchen Extremereignissen rechnen?

Bruno Merz: Das müssen wir definitiv! Unsere Daten zeigen, dass Häufigkeit und Intensität von lokalem Starkregen zunehmen. Dieser tritt überwiegend im Sommer auf und führt zu Überschwemmungen in Städten und zu Sturzfluten wie im Ahrtal. Die Modellsimulationen zeigen auch, dass sich diese Phänomene weiter verstärken werden. Grund dafür ist der Klimawandel: Mit höheren Temperaturen nimmt die Verdunstung zu, und wärmere Luft kann zugleich mehr Wasserdampf aufnehmen und halten. Damit steht in der Atmosphäre auch mehr Wasserdampf für Starkniederschläge zur Verfügung – mit den entsprechenden Konsequenzen.

Sind unsere Frühwarnsysteme und unser Katastrophenmanagement gut genug?

Vorhersage, Frühwarnung und Katastrophenmanagement fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer, und die sind hier unterschiedlich aufgestellt. Zum Beispiel haben wir im vergangenen Jahr gesehen, dass die Frühwarnung nicht besonders gut funktioniert hat. Wir müssen also einerseits die Frühwarnsysteme ausbauen. Andererseits sollten wir auch die Art der Vorhersagen verändern. Heute gibt man Vorhersagen zum Wasserpegel. Als Beispiel: An Pegel X ist in sechs Stunden mit einem bestimmten Wasserstand zu rechnen. Mittlerweile gibt es jedoch schnellere Computermodelle, mit denen sich Aussagen darüber treffen lassen, welche Flächen wann überflutet sein werden. Das sind natürlich wertvolle Informationen, wenn etwa über die Evakuierung des örtlichen Krankenhauses entschieden werden muss. Grundsätzlich gilt: Eine Warnung alleine reicht nicht. Die Menschen müssen die Warnung verstehen und außerdem wissen, was dann zu tun ist. Das zeigen die Befragungen, die wir mit Betroffenen in Überflutungsgebieten durchgeführt haben.

„In den vergangenen Jahrzehnten hat man in erster Linie auf technischen Hochwasserschutz gesetzt. Wir müssen aber zugleich auch die Anfälligkeit von Menschen, Infrastruktur und Bebauung senken.“

Bruno Merz, Leiter der Sektion Hydrologie am Helmholtz-Zentrum Potsdam und Professor an der Universität Potsdam

Wie ließe sich der Hochwasserschutz an sich verbessern?

In den vergangenen Jahrzehnten hat man in erster Linie auf technischen Hochwasserschutz gesetzt, also Flussdeiche, Hochwasserschutzmauern, Talsperren oder Rückhaltebecken. Das ist natürlich sehr sinnvoll, reicht allerdings nicht. Wir müssen zugleich die Anfälligkeit von Menschen, Infrastruktur und Bebauung senken – beispielsweise durch private Bauvorsorge. Menschen, die in gefährdeten Zonen leben, müssen erstens über dieses Hochwasserrisiko informiert sein und sich zweitens durch entsprechende Maßnahmen darauf vorbereiten, etwa durch wasserdichte Fenster und Türen oder Wasserschutzbarrieren im Garten. Sehr wichtig ist auch eine Hochwassersicherung für Heizöltanks. Das ist nicht besonders teuer, macht aber einen gewaltigen Unterschied. Denn wenn Heizöl austritt und das kontaminierte Wasser ins Mauerwerk dringt, lässt sich das Haus meist nicht mehr sanieren und muss abgerissen werden.

Können und sollten wir Städte und Infrastrukturen umgestalten, um uns besser gegen solche Extremereignisse schützen zu können?

Unsere Städte und Dörfer sind viel zu dicht an Flüssen und Bächen gebaut. Das gilt für Deutschland ebenso wie auf der ganzen Welt. Durch die Zunahme der Extremereignisse wächst das damit verbundene Risiko. In stark gefährdeten Gebieten wie an manchen Stellen im Ahrtal wäre es daher sinnvoll, Häuser und Betriebe umzusiedeln. Denn ab einer bestimmten Wasserhöhe und Fließgeschwindigkeit kann auch das wasserdichte Fenster nicht mehr schützen. In Vietnam oder in den USA hat man nach Flutkatastrophen Menschen teils in größerem Umfang umgesiedelt, in Deutschland bislang nur vereinzelt. Umsiedelungen sind politisch natürlich nur schwer umzusetzen. Sie wären aber der effektivste Hebel, um das Risiko deutlich zu senken.

Gibt es auch beim Städtebau Möglichkeiten, um das Risiko von Überschwemmungen zu vermindern?

Wir haben in den vergangenen Jahrhunderten vor allem daraufgesetzt, Wasser schnell abzuleiten, wo es uns stört: Wir haben Felder drainiert und Flüsse begradigt. Damit ist jedoch andernorts die Hochwassergefahr gestiegen, denn das Wasser muss ja irgendwo hinfließen. Auch die Kanalisation unserer Städte ist auf einen schnellen Wasserabfluss ausgelegt. Aber eben nicht auf die Wassermengen, die bei Extremereignissen wie Starkregen auftreten – das wäre auch gar nicht möglich. Expertinnen und Experten setzen daher mittlerweile auf das Konzept der „Schwammstadt“. Das bedeutet, dass wir dezentrale Wasserspeicher in Städten anlegen: Dachbegrünungen und mehr Versickerungs- und Rückhalteflächen, auch durch Entsiegelung. Ziel ist also eine Stadt, die sich wie ein Schwamm mit Wasser vollsaugt, um es langsam wieder abzugeben. Das sorgt dann zugleich für mehr Grün in den Städten. Und weil das Wasser an heißen Tagen auf diesen Flächen verdunsten kann, verbessert sich auch das Mikroklima in urbanen Räumen.

Kommen wir beim Hochwasserschutz aus Ihrer Sicht eigentlich schnell genug voran?

Aus meiner Sicht hakt es hier noch. Nach Hochwasserkatastrophen wie im Ahrtal ist die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Politik hoch. Allerdings versucht man zumeist nur die konkrete Situation vor Ort zu verbessern, um beim nächsten Mal besser geschützt zu sein. Doch das ist zu kurz gesprungen. Denn das nächste Hochwasserereignis wird wieder anders aussehen und in einer anderen Region auftreten. Wir müssen dieses Problem daher systemischer angehen und uns als Gesellschaft grundsätzliche Fragen stellen: Welche Risiken können wir tragen und welche nicht? Sind wir bereit, die entsprechenden Konsequenzen und Kosten in Form von Investitionen oder Umsiedlungen in Kauf zu nehmen? Länder wie die Schweiz oder die Niederlande verfolgen einen solchen systemischen Ansatz und sind daher schon ein ganzes Stück weiter. Sinnvoll wäre es aus meiner Sicht auch, kritische und sensible Infrastrukturen wie Umspannwerke, Seniorenheime oder Kindergärten gezielter zu schützen.

Erläutern Sie uns gern den Begriff der „naturbasierten Lösungen“. Welches Potenzial haben diese?

Mit naturbasierten Lösungen ist etwa die Renaturierung von Fluss- und Bachläufen gemeint oder Flächenentsiegelungen sowie naturverträglichere Landwirtschaft. Auf kleine und mittlere Hochwasser hätte das einen deutlichen Effekt. Der würde bei Extremereignissen wie im Ahrtal zwar deutlich geringer ausfallen. Aber diese naturbasierten Lösungen verbessern in jedem Fall den ökologischen Zustand der Gewässer. Und sie fördern vor allem auch die Grundwasserbildung. Neben häufigerem Hochwasser haben wir im Zuge des Klimawandels zudem immer öfter mit Dürren zu kämpfen. Naturbasierte Lösungen könnte dem entgegenwirken, aber natürlich erfordern sie mehr Flächen und vor allem ein gesellschaftliches Umdenken.

 

ZUR PERSON

Bruno Merz ist Leiter der Sektion Hydrologie am Helmholtz-Zentrum Potsdam (Deutsches GeoForschungsZentrum) und Professor an der Universität Potsdam. In seiner Forschung beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit hydrologischen Extremereignissen, Hochwasserrisikomanagement und Risikoanalyse.

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