1. Februar 2017
Windkraftanlagen liefern sauberen Strom für eine nachhaltige Energiezukunft. Doch jüngst sind gleich vier der riesigen Windräder wie Strohhalme einfach umgeknickt. Experten beziffern den Schaden auf mehrere Millionen Euro. Christian Hering, Fachleiter Windenergie der Zertifzierungsstelle bei TÜV NORD, erklärt, warum moderne Windenergieanlagen trotzdem zu den sichersten Bauwerken in Deutschland gehören.
Es sieht aus wie ein gefallener Riese: Das tonnenschwere Windrad liegt umgestürzt und völlig zerstört auf dem Acker. Die Anlage mit ihren gigantischen Rotorblättern ist so groß und robust, dass sie für gewöhnlich auch aus vielen Kilometern Entfernung noch gut zu erkennen ist. Jetzt am Boden wirkt die Windkraftanlage plötzlich zerbrechlich und klein.
Bilder wie diese hat es in den vergangenen Wochen oft in den Medien gegeben: Gleich vier Windräder sind jüngst in Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern umgeknickt. Gutachter schätzen den Schaden jeweils auf mehrere Millionen Euro, zum Glück sind bei keinem der Vorfälle Menschen verletzt worden. Eine ungewöhnliche Unfallserie, die die Frage nach der Sicherheit von Windenergieanlagen lauter werden lässt.
„Die Anlagen unterliegen strengen Vorgaben und müssen ein Höchstmaß an Sicherheit erfüllen.“
Trotz der Havarien seien moderne Windräder grundsätzlich sicher, sagt Christian Hering, Leiter der Wind-Zertifizierung bei TÜV NORD: „Die Anlagen unterliegen strengen Vorgaben und müssen ein Höchstmaß an Sicherheit erfüllen.“ Im internationalen Vergleich gelten in Deutschland sogar höhere Anforderungen bei der Auslegung und späteren Prüfung. „Mindestens alle zwei Jahre werden die Windenergieanlagen durch die Prüforganisationen untersucht. Alle vier Jahre ist die Prüfung fällig, wenn der Anlagenbetreiber einen Wartungsvertrag mit dem Hersteller geschlossen hat“, so Hering. Welcher Prüfrhythmus wann gilt, regelt eine Richtlinie des Deutschen Institutes für Bautechnik.
Ähnlich wie bei den TÜV-Prüfungen für Autos oder Aufzüge, werden auch bei den Windrädern alle Bauteile von den Experten auf Funktionstüchtigkeit, Sicherheit und etwaige Mängel kontrolliert. Dazu zählen die Turmkonstruktion, das Fundament, die Rotorblätter sowie auch die elektrotechnischen Anlagen und der Maschinenbau. „Vor allem bei modernen und neuwertigen Windrädern sehen wir kein hohes Risiko,“ sagt Christian Hering.
„Vor allem bei modernen und neuwertigen Windrädern sehen wir kein hohes Risiko.“
Das war längst nicht immer so. Noch vor zwanzig Jahren waren die Sicherheitsstandards nicht so weit entwickelt. „Für viele Genehmigungsbehörden war der Bau von Windenergieanlagen Neuland. Zum Teil war noch gar nicht bekannt, welche Anforderungen die Windräder erfüllen müssen und welche Effekte auf das Bauwerk möglich waren“, erklärt Christian Hering. Die Bauteile der Windenergieanlage seien nicht dauerfest ausgelegt, heutige Windräder werden größtenteils für 20 bis 25 Jahre berechnet– spätestens dann müssen sie durch moderne Anlagen komplett ausgetauscht werden oder durch eine intensive Inspektion für den Weiterbetrieb fit gemacht werden. Verschleißteile werden schon vorher ausgewechselt.
Warum gerade jetzt gleich vier Windräder versagten, darüber kann Christian Hering nur spekulieren. Lose Schrauben, Ermüdung der Bolzen, Rotorblätter, die wegen Überdrehzahl oder Bruch an den Turm schlagen – Gründe könne es viele geben. Gutachter prüfen jetzt, welche Bauteile die Havarien verursacht haben und ob diese künftig noch genauer kontrolliert werden müssen.
Laut Angaben des Bundesverbands für Windenergie gibt es jährlich im Schnitt sechs bis sieben solcher Vorfälle. Gemessen an den rund 26.500 Anlagen in Deutschland ist die Zahl der bundesweiten Unfälle sehr gering: Nur 0,03 Prozent der Windräder sind jährlich von schweren Havarien betroffen.
VIER HAVARIEN UND UNFÄLLE IN VIER WOCHEN
- Im niedersächsischen Neu Wulmstorf nahe Hamburg ist Anfang Januar ein fast hundert Meter hohes Windrad umgestürzt. Vermutlich konnte es den starken Böen nicht standhalten – die genauen Ursachen werden aber noch untersucht. Es entstand ein Totalschaden.
- In Zichow (Landkreis Uckermark, Brandenburg) ist ebenfalls Anfang Januar ein Rotorblatt einer rund 130 Meter hohen Windkraftanlage abgeknickt. Der Flügel drohte abzubrechen und den Verkehr auf der nahegelegenen Bundesstraße B 166 zu gefährden – die Straße musste für Stunden vollgesperrt werden.
- Ende Dezember ist im sächsischen Windpark Sitten bei Leisnig eine Windkraftanlage umgeknickt. Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass ein Rotorblatt versagte, möglicherweise im Turm eingeschlagen ist und eine Beule verursachte, die den Turm destabilisierte. Möglich ist aber auch, dass das Versagen die Folge einer drastischen Unwucht durch den vorangegangenen Blattbruch war.
- Im vergangenen Dezember ist außerdem in Grischow bei Grimmen (Mecklenburg-Vorpommern) eine Windkraftanlage durchgebrochen und auf einen Acker gestürzt ähnlich wie beim jüngsten Vorfall nahe Hamburg. Nur ein etwa 25 Meter hoher Turmstumpf blieb stehen.
Bei keinem der Unfälle sind Personen zu Schaden gekommen.
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ZUR PERSON
© privat
Christian Hering ist Fachleiter Windenergie der Zertifizierungsstelle bei TÜV NORD. Der ehemalige Triathlet arbeitet hier seit 14 Jahren im Bereich Windenergie.
WINDENERGIE – ZAHLEN & FAKTEN
Die Energieversorgung in Deutschland wird zunehmend „grüner“. Die Windkraft ist dabei der wichtigste erneuerbare Energieträger. Ihr Anteil an der Bruttostromerzeugung im vergangenen Jahr beträgt 12,3 Prozent – so viel wie sonst keine regenerative Energiequelle.
Zum Vergleich: Der Anteil der Photovoltaik liegt nur bei knapp sechs Prozent.Inzwischen stehen rund 26.500 Windenergieanlagen in Deutschland. Ihre installierte Gesamtleistung beträgt etwa 42.000 Megawatt (MW). Allein Niedersachsen stemmt einen Anteil von rund 8.600 MW und führt damit die Rangliste an – gefolgt von den windreichen Bundesländern Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen.
Die Windkraft schafft außerdem Arbeitsplätze: Etwa 150.000 Beschäftigte zählt die Windindustrie.
Quellen: Bundesverband Windenergie, Stand Dezember 2015; BMWI, Stand Dezember 2016