24. Mai 2018
Die Digitalisierung der Landwirtschaft ist in vollem Gange. Profitieren von dieser Entwicklung sollen nicht nur die Bauern selbst, sondern auch Tiere und Verbraucher. Melkroboter versprechen eine artgerechtere Tierhaltung, vernetzte Bauernhöfe eine verbesserte Lebensmittelsicherheit. Wie das funktionieren kann, erklären wir im zweiten Teil unserer Serie zur digitalen Landwirtschaft.
Beim Stichwort ökologische Landwirtschaft mag mancher zuerst an Pflug und Pferdegespann denken. Doch für Biobauer Christoph von Hoegen sind Öko und Technik kein Widerspruch: Der Einsatz eines Melkroboters in seinem Stall bewirkt nicht nur, dass der Tagesablauf des Biobauern aus Stolberg bei Aachen nicht länger vom Melken diktiert wird. Die Kühe können sich zudem frei im Stall bewegen. Statt zur festgelegten Melkzeit wandern sie selbstständig zum Melken, wenn ihnen der Euter zwickt. Das sorgt für mehr Entspannung unter den Tieren und weniger Stress in der Herde. Zusätzlich registrieren die Systeme etwa, wie oft die Kühe wiederkäuen und wie viel sie sich bewegen. Dadurch können die Bauern besser als vorher einschätzen, wie es ihrem Vieh geht, und früher auf Krankheitssymptome reagieren. Aber auch in der konventionellen Landwirtschaft könnte die Nutzung von Technik die Haltungsbedingungen optimieren. So helfen Roboter zum Beispiel beim Ausmisten der Ställe und reduzieren durch mehr Sauberkeit die Zahl der Krankheitserreger. Fütterungsroboter wiederum erlauben es, das Futter auf das einzelne Tier abzustimmen. Mehr Tierwohl durch Technik – darin liegt auch für Christine Flöter von TÜV NORD das Potenzial der Digitalisierung des Bauernhofs. „Man kann individuell auf jedes einzelne Tier eingehen, was bislang nicht möglich war“, sagt die Expertin für Lebensmittelsicherheit.
Mit der Zahl von Sensoren und sonstiger digitaler Technologien auf Acker und Bauernhof wachsen natürlich ebenso die Aufgaben für Prüforganisationen wie TÜV NORD. „Um sicherzustellen, dass diese Geräte über längere Zeiträume zuverlässig funktionieren, ist eine regelmäßige Überwachung und Überprüfung der Sensoren sowie eine Validierung der erhobenen Daten unerlässlich“, erklärt Christine Flöter. Schließlich ist es nicht allein für die Bauern von entscheidender Bedeutung, dass die hochkomplexen Systeme verlässliche Ergebnisse produzieren, auf die sich Entscheidungen stützen lassen.
Zugleich eröffnet der vernetzte Bauernhof ganz neue Möglichkeiten für die Verfahren der Zertifizierung. Landwirte unterziehen sich hierbei einer freiwilligen Untersuchung durch unabhängige Prüforganisationen und können auf diese Weise belegen, dass sie spezielle Standards bei der Tierhaltung oder der Lebensmittelsicherheit einhalten. Bislang stützen sich die Prüfer – die sogenannten Auditoren – dazu auf die Unterlagen des Landwirts, kontrollieren die Situation auf dem Hof bei einem Ortstermin, analysieren Daten und Systeme und erheben Stichproben. Ein Prinzip, das trotz aller Gründlichkeit zwangsläufig an Grenzen stoßen muss, wie Christine Flöter erläutert. Selbst wenn der Auditor keine Unregelmäßigkeit feststellt: „Hätte er eine andere Stichprobe gezogen, wäre das Ergebnis möglicherweise anders ausgefallen“, so die Expertin für Lebensmittelsicherheit. Zukünftig könnten die Prüfer aus der Ferne auf die gesamten Daten des vernetzten Betriebs zugreifen und sich mithilfe von sogenannten Remote Audits ein viel umfassenderes Bild machen. Ersetzen soll diese Fernüberwachung die bisherigen Ortstermine nicht, sondern sie vielmehr sinnvoll ergänzen – besonders in den Bereichen des Bauernhofs, die den Blicken der Auditoren bislang entzogen waren. Sensoren oder Videokameras könnten künftig sichtbar machen, wie es in Silos oder unterirdischen Kanälen aussieht.
„Je früher Probleme erkannt werden, desto schneller können sie behoben und mögliche Folgen verhindert werden.“
Transparenz, von der nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Bauern selbst profitieren, wie Christine Flöter betont: „Je früher Probleme erkannt werden, desto schneller können sie behoben und mögliche Folgen verhindert werden.“ Fressen etwa Kühe verschimmelte Futtermittel, kann das auch ihre Milch mit den von Schimmelpilzen erzeugten krebserregenden Substanzen belasten. Die kostspielige Konsequenz für den Milchbauern: Die Milch wird von der Molkerei abgelehnt und muss außerdem auf eigene Kosten entsorgt werden. Ein enormer finanzieller Schaden, der durch sensorgestützte Frühwarnsysteme verhindert werden könnte.
Die Kombination von Sensordaten mit der sogenannten Blockchain-Technologie, einer Art dezentralem und deshalb fälschungssicheren Buchhaltungssystem, würde eine bislang unbekannte Transparenz in der Lebensmittelindustrie ermöglichen – vom Acker oder der Aufzucht bis in den Supermarkt. Darin liegt für Christine Flöter vielleicht das größte Potenzial der digitalen Landwirtschaft. „Der Verbraucher wird zukünftig über alle Schritte Bescheid wissen“, sagt sie. Durch Lebensmittelskandale erodiertes Vertrauen ließe sich dadurch zurückgewinnen, und weitere Skandale könnten bestenfalls schon im Vorfeld verhindert werden.
Damit sich die digitalen Möglichkeiten auf den Bauernhöfen tatsächlich in der Breite durchsetzen können, muss die Infrastruktur verbessert werden. In einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom nannten 39 Prozent aller Landwirte eine unzureichende Internetversorgung als Hindernis der digitalen Landwirtschaft. 42 Prozent machen sich Sorgen um die IT- und Datensicherheit. „Wenn das Internet der Dinge funktionieren soll, muss ein Missbrauch der Daten des Landwirts so effektiv wie möglich verhindert werden“, konstatiert Professor Hans W. Griepentrog, Agraringenieur und Experte für Precision Farming an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Anders als klassische Unternehmen können Bauern schließlich keine eigene IT-Sicherheitsabteilung auf die Beine stellen, um Hackerangriffe zu verhindern. Die Sorge um den Verlust der Datenhoheit treibt ein Drittel der befragten Bauern um – also die Fragen, wem die Daten des smarten Bauernhofs gehören und wer sie nutzen darf. Aus Griepentrogs Sicht muss daher sichergestellt sein, dass die Daten nicht einfach von Cloud- oder Sensoranbietern weitergegeben oder verkauft werden. „Das sind ja alles sensible Betriebs- und Geschäftsdaten des Landwirts. Deshalb muss er Eigner seiner Daten bleiben und bei einer Nutzung Dritter die Bedingungen bestimmen“, fordert der Agrarwissenschaftler.
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© Griepentrog
Professor Hans W. Griepentrog leitet an der Universität Hohenheim den Fachbereich Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion. Der Maschinenbauingenieur und Sohn eines Landwirts entwickelt und optimiert Messverfahren für landwirtschaftliche Maschinen, um so den Einsatz von Dünger und Pestiziden auf ein Minimum zu reduzieren. Im Projekt VertiCRobo geht der Experte für Precision Farming und Robotik mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Fakultäten der Frage nach, wie autonome Roboterschwärme eine nachhaltige und biodiverse Landwirtschaft fördern können.