23. Mai 2019
Alle Zeichen stehen auf Strom: Wer umweltfreundlichen Verkehr will, der kommt am Elektroauto nicht vorbei – das gilt mittlerweile in Politik, Gesellschaft und selbst in weiten Teilen der Automobilindustrie als ausgemachte Binsenweisheit. Doch gerade im Schwerlastverkehr stößt die Batterietechnologie bislang noch an ihre Grenzen. Toyota setzt deshalb seit Jahren auf den Wasserstoffantrieb. Mittlerweile entdecken auch deutsche Hersteller die Brennstoffzelle wieder für sich.
Mithilfe von Batterien können nicht nur Menschen, sondern auch Waren und Pakete umweltfreundlich von A nach B gebracht werden – das hat etwa die Post mit dem Streetscooter unter Beweis gestellt. Aber nicht nur Lieferwagen stehen mittlerweile unter Strom. Hersteller wie Daimler und Volvo haben auch bereits elektrische Lkw entwickelt. Die E-Laster sollen jedoch in erster Linie im städtischen Zulieferverkehr zum Einsatz kommen. Für die Langstrecke sind heutige Akkus meist noch zu schwach. Ihre Größe und ihr Gewicht gehen auf Kosten der Nutzlast der Brummis, und ihr Preis drückt aufs Portemonnaie der Logistikunternehmen. Eine sinnvolle wie saubere Alternative bietet hier die Brennstoffzelle, sagt Christian Förster, Elektromobilitätsexperte von TÜV NORD.
Die Technologie versorgte schon die Astronauten der Apollo 11 auf ihrer Mondmission mit Strom: In einem chemischen Prozess werden dabei Wasserstoff und Luftsauerstoff in Elektrizität umgewandelt, womit sich dann beispielsweise ein Motor antreiben lässt. Auch Brennstoffzellenfahrzeuge sind also streng genommen Elektromobile. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Man kann mit ihnen bereits heute weitere Strecken fahren als mit einem Batterieauto und sie fast so schnell auftanken wie einen herkömmlichen Verbrenner. Und es gibt noch einen Vorteil zum reinen Akkufahrzeug: „Wasserstoff als Energieträger für die Brennstoffzelle kann in einem vergleichbaren Verteilernetzwerk wie Dieselkraftstoff an einer Tankstelle angeboten werden, sodass wir auf diesem Sektor die klassische Autobahn-Tankstruktur nicht grundlegend ändern müssten“, betont Christian Förster. Anders als bei Ladestationen für Elektroautos müssen keine kilometerlangen Stromkabel verlegt werden. Stattdessen wird der Wasserstoff vor Ort erzeugt oder über Tankwagen an die Zapfsäulen geliefert. Doch die sind weltweit bislang noch rar gesät. Hierzulande kann man momentan an rund 60 öffentlichen Tankstellen Wasserstoff zapfen. Hinter Japan mit 96 Wasserstofftankstellen verfügt Deutschland damit international über das zweitgrößte Netz – das gegenüber 14.500 konventionellen Tankstellen und über 17.000 E-Ladepunkten allerdings ausgesprochen weitmaschig ausfällt.
Lückenhaftes Tankstellennetz
Eine lückenhafte Infrastruktur ist dabei nicht die einzige Hürde für den Wasserstoffantrieb. Die wenigen Brennstoffzellenfahrzeuge, wie sie Toyota, Hyundai oder Honda in Serie anbieten, sind bislang noch teurer als die ohnehin kostspieligen Elektroautos. Und auch der Wirkungsgrad eines Wasserstoffmobils ist deutlich geringer als der eines Batteriefahrzeugs. Denn Wasserstoff zu erzeugen und ihn in Strom umzuwandeln kostet viel Energie. „Mit einer Kilowattstunde regenerativ erzeugter Energie komme ich mit einem batterieelektrischen Fahrzeug mehr als doppelt so weit wie mit einem Brennstoffzellenfahrzeug“, erläutert E-Mobilitätsexperte Förster.
„Mit einer Kilowattstunde regenerativ erzeugter Energie komme ich mit einem batterieelektrischen Fahrzeug mehr als doppelt so weit wie mit einem Brennstoffzellenfahrzeug.“
Hohe Produktionskosten und spärlich gesäte Tankstellen erklären wohl auch die bisherige Zurückhaltung deutscher Autobauer gegenüber der Brennstoffzelle. VW, Audi und Daimler forschen zwar seit Jahrzehnten an der Technologie und haben bereits diverse Prototypen entwickelt. Bislang hat jedoch allein Daimler mit dem GLC F-Cell ein Wasserstoffauto in Serie produziert, das Kunden derzeit allerdings nur mieten, nicht kaufen können.
Toyota setzt auf Brennstoffzelle
Aktiv vorangetrieben wird die Technologie vor allem in Fernost. Besonders Toyota hat sich der Brennstoffzelle verschrieben. „Wir glauben, dass wir beides brauchen: die Batterie und die Brennstoffzelle“, bekräftigte Toyota-Sprecher Hisashi Nakai gegenüber der „Welt am Sonntag“ die Überzeugung des Unternehmens. Mit dem Modell Mirai hat der japanische Autobauer Ende 2014 die erste Wasserstoff-Limousine in Serie auf den Markt gebracht. Wirtschaftlich lässt der Erfolg jedoch auf sich warten. Weltweit wurden seit der Einführung gerade mal rund 7.000 Exemplare verkauft. Trotzdem glaubt Toyota, dass die Stunde der Brennstoffzelle geschlagen hat. Bereits ab 2020 will der Autobauer den Absatz von Wasserstofffahrzeugen auf 30.000 pro Jahr steigern. Und mit den höheren Stückzahlen sollen auch die Produktionskosten sinken und die Brennstoffzellen nicht länger nur in hochpreisigen Limousinen oder SUVs zum Einsatz kommen. Neben mit Wasserstoff betriebenen Pkw entwickeln die Japaner außerdem Gabelstapler, Lkw und Busse. Zu den Olympischen Sommerspielen im kommenden Jahr liefert Toyota 100 Wasserstoffbusse, die Gäste aus aller Welt durch die japanische Hauptstadt kutschieren sollen. In Kalifornien testet der Hersteller seit 2017 einen Brennstoffzellentruck. Der Wasserstoffbrummi kann am Stück bis zu 480 Kilometer fahren und ein Gesamtgewicht von mehr als 36 Tonnen bewegen. Ende des Jahres sollen die Trucks dann regulär in den Häfen von Los Angeles und Long Beach eingesetzt werden.
Auch der Autohersteller Hyundai, der bereits seit einigen Jahren Brennstoffzellenautos in Serie anbietet, hat einen Wasserstofflaster entwickelt. Der Hyundai Fuel Cell Electric Truck bringt ein Gesamtgewicht von 34 Tonnen auf die Waage und soll mit einer Tankfüllung rund 400 Kilometer weit kommen. Noch ab 2019 wollen die Südkoreaner zusammen mit dem Schweizer Wasserstoffunternehmen H2 Energy (H2E) eine Flotte von 1.000 Lkw über fünf Jahre testen. Insgesamt sechs Milliarden Euro investiert der Autobauer bis 2030 in Wasserstoffgefährte und will bis dahin eine halbe Million Fahrzeuge produzieren.
Weltpremiere zwischen Cuxhaven und Buxtehude
Aber nicht nur auf der Straße wird mit der Brennstoffzelle experimentiert: Zusätzlich unterstützt Toyota die Weltreise des ersten Wasserstoffschiffs. Der elektrisch angetriebene Katamaran „Energy Observer“ arbeitet sowohl mit Sonnenenergie als auch mit einem System, das aus Meerwasser kohlenstofffreien Wasserstoff erzeugt. Nach einer komplett energieautonomen Weltumrundung soll er pünktlich zu den Olympischen Spielen in Tokio einlaufen.
© Coradia iLintAls erster Wasserstoffzug der Welt verkehrt der „Coradia iLint“ zwischen Cuxhaven und Buxtehude.
Ebenso wird die Technologie bereits auf der Schiene eingesetzt. In Niedersachsen können Fahrgäste die 100 Kilometer lange Strecke zwischen Cuxhaven und Buxtehude seit September 2018 im ersten Wasserstoffzug der Welt zurücklegen. Wo sonst Dieselzüge dröhnen, rollt nun der leise „Coradia iLint“ über die Gleise, dessen Sicherheitsgutachten TÜV NORD erstellt hat. Statt Ruß, Stickoxid und CO2 pustet er nur Wasserdampf in die Luft. „Wasserstoff ist eine echte emissionsarme und effiziente Alternative zum Diesel“, sagt der Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr Enak Ferlemann. Gerade auf Nebenstrecken, wo sich der Betrieb von Oberleitungen nicht rechnet, sollen die umweltfreundlichen Wasserstoffzüge Dieselloks ersetzen – etwa zwischen Berlin und dem brandenburgischen Barnim, wo der Einsatz eines Brennstoffzellenzugs ab 2022 angedacht ist. In Niedersachsen verkehren die beiden Wasserstoffzüge als „Vorserienmodelle“ noch im Probebetrieb auf der Strecke. Offiziell durchgestartet wird Ende 2021, wenn weitere 14 Wasserstoffzüge in Betrieb gehen sollen. Rund 81 Millionen Euro stellt das niedersächsische Verkehrsministerium für deren Anschaffung bereit. In den kommenden 30 Jahren könnten schließlich alle 120 Dieselzüge der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) durch umweltfreundliche Alternativen ersetzt werden. Auch in Hessen wird bereits mit der Brennstoffzelle geplant. Der Verkehrsverbund Rhein-Main hat bei Alstom 27 Brennstoffzellenzüge bestellt, die ab Ende 2022 durch den Main-Taunus-Kreis rollen sollen.
Japan auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft
Das internationale Interesse am Wasserstoffzug ist ebenfalls groß. Anfragen kamen dem Hersteller Alstom zufolge etwa aus Kanada, Indonesien und Japan. Und das ist kein Wunder: Die Regierung des Inselstaats will Wasserstoff zum Energieträger der Zukunft machen und fördert entsprechende Projekte, aber auch den Kauf eines Wasserstoffautos mit hohen Subventionen. Auf diese Weise will die Regierung bis zum Jahr 2030 rund 800.000 Brennstoffzellenfahrzeuge auf Nippons Straßen bringen. Die Wasserstoffversorgung soll dafür ebenfalls drastisch erhöht werden: von 200 Tonnen jährlich (bezogen auf 2017) auf 4.000 Tonnen im Jahr 2020 und auf 300.000 Tonnen im Jahr 2030. Dabei soll der Wasserstoff nicht nur Autos antreiben, sondern auch Häuser mit Strom und Wärme versorgen. Noch ist das aufgrund der hohen Preise und des geringen Wirkungsgrads nur bedingt rentabel. Ändern soll sich das mit der zunehmenden Ausbreitung regenerativer Energien. Damit der Strom an besonders hellen oder windigen Tagen nicht verloren geht, weil gerade nicht genug Menschen ihren Mixer laufen lassen, soll er im Wasserstoff zwischengespeichert werden. „Erst im Kontext der Verbreitung neuer Energiequellen ist die Verwendung von Wasserstoff effektiv“, sagte Toshiki Shimizu, Leiter der Abteilung für intelligente Energiesysteme bei Panasonic, gegenüber der Stuttgarter Zeitung.
„Erst im Kontext der Verbreitung neuer Energiequellen ist die Verwendung von Wasserstoff effektiv.“
Japans großer Nachbar China will die Verbreitung der Brennstoffzelle ebenfalls weiter vorantreiben. 2018 steckte der chinesische Staat bereits 11 Milliarden Euro in die Förderung der Technologie – Tendenz weiter steigend. Bis 2030 soll es im Reich der Mitte 3.000 Wasserstofftankstellen geben. Auch die Autobauer setzen Wasserstoff auf ihre Agenda: Great Wall Motors etwa investiert verstärkt in die Brennstoffzellentechnologie. Und das Start-up Grove Hydrogen Automotive hat Ende April in Shanghai seine ersten Serienfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb vorgestellt.
Bosch und Audi planen mit der Brennstoffzelle
Mittlerweile entdecken auch deutsche Hersteller die Vorteile der Brennstoffzelle wieder für sich. So will Audi künftig mehr Geld und Kapazitäten in die Entwicklung stecken, wie der Autobauer unlängst ankündigte. Noch in diesem Jahr möchten die Ingolstädter einen ersten Prototyp entwickeln und 2021 ein Auto mit Brennstoffzelle auf den Markt bringen – wenn auch zunächst in kleinen Stückzahlen. Die Großserienproduktion ist für Mitte des kommenden Jahrzehnts anvisiert. Bosch will bei der Brennstoffzelle ebenfalls vorne dabei sein. Bis 2022 plant das Zulieferunternehmen, eine Serienfertigung für Brennstoffzellen aufzubauen. Besonders im Bereich der Nutzfahrzeuge sieht Bosch großes Potenzial. Der Konzern kalkuliert, dass im Jahr 2030 bereits bis zu 20 Prozent aller Elektrofahrzeuge von Brennstoffzellen angetrieben werden könnten.
Nichts mehr verpassen: Jetzt kostenlosen #explore-Newsletter abonnieren
Entdeckt, erklärt, erzählt - Der Podcast
Alle zwei Wochen eine neue Folge. Entdeckt, erklärt, erzählt ist der Podcast von #explore by TÜV NORD. In jeder Folge haben wir einen Gast, der uns spannende Einblicke in Zukunftsthemen und Trends gibt sowie Innovationen einordnet. Den Podcast gibt's auf allen gängigen Podcast-Apps - einfach kostenfrei abonnieren!