13. August 2020
Wasserstoff soll Schiffe oder Lastwagen umweltfreundlicher antreiben und in der Stahl- und Chemieindustrie Kohle und Erdöl ersetzen. Mit der im Juni verabschiedeten Nationalen Wasserstoffstrategie will die Bundesregierung die globale Führungsrolle bei Wasserstofftechnologien sichern und die industrielle Produktion auf den Weg bringen. Tatsächlich könnte das leichteste Element unseres Universums künftig auch auf dem Meer produziert werden.
Auf den ersten Blick erinnert das riesige Gebilde an eine gewöhnliche Bohrinsel. Doch statt Öl oder Erdgas aus dem Meeresgrund zu pumpen, produziert die 50 Meter hohe Plattform „grünen“ Wasserstoff. Auf bis zu zehn Stockwerken stapeln sich Transformatoren und Elektrolyseure, die von Meerwasserentsalzungsanlagen mit Süßwasser versorgt werden. Dieses Wasser wird in den Elektrolysegeräten in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten. Der dazu nötige Strom stammt aus Windrädern, die um die Anlage herum aus dem Meer in die Höhe wachsen. Pipelines oder Tankschiffe bringen den Wasserstoff dann an Land, wo er Verkehr und Industrie umweltfreundlicher machen soll – so sieht es zumindest das Konzept vor, das das hessische Ingenieurunternehmen Tractebel Ende 2019 erstmals vorgestellt hat.
© Tractebel OverdickBislang noch Theorie: das Konzept von Tractebel.
Zwar wären der Bau und der Betrieb von Elektrolyseuren auf See aufwendiger und teurer als auf festem Erdboden. Dennoch hätte die direkte Umwandlung von Windstrom in Wasserstoff aus Sicht der Ingenieure mehrere Vorteile: Grünstrom und Wasserstoff würden genau dort produziert, wo der Wind besonders stark und beständig weht. Die Umwandlung vor Ort könnte zudem die Stromnetze entlasten und vor allem auch die Kosten für die Netzanbindung von Offshorewindparks senken, die bis zu 26 Prozent der Stromgestehungskosten von Offshorewindenergie ausmachen. „Die Mehrkosten einer Elektrolyseplattform auf See werden durch die vermiedenen Investitionskosten für die Stromnetzanbindung mehr als ausgeglichen“, zeigt sich Tractebel-Ingenieur Felix Knicker gegenüber Spiegel Online überzeugt. Und je weiter die Windparks vom Festland entfernt sind, desto besser sei die Bilanz der Elektrolyse auf See.
Alte Ölbohrplattformen mit grüner Zukunft
Bislang existiert die Wasserstoffplattform nur auf dem Papier. Doch laut Tractebel haben bereits mehrere Firmen Interesse an dem Konzept bekundet. In den Niederlanden ist man schon einen Schritt weiter: Rund 13 Kilometer vor Scheveningen will ein Verbund von Unternehmen der Öl- und Gasindustrie gemeinsam mit dem Forschungsinstitut TNO noch in diesem Jahr eine Pilotanlage auf einer ehemaligen Ölbohrplattform installieren. Geplant ist ein Elektrolyseur mit einer Leistung von einem Megawatt, der dann 2021 in Betrieb gehen soll. Von einer Wasserstoffproduktion in industrieller Größenordnung ist das noch weit entfernt. Doch mit dem Projekt sollen erst einmal Erfahrungen gesammelt werden. Ist der Test erfolgreich, könnten künftig zahlreiche in die Jahre gekommene oder bereits ausgemusterte Ölbohrplattformen einer neuen und grünen Nutzung zugeführt werden. Ein kostspieliger Abriss der Plattformen würde sich damit ebenso erübrigen wie die teure Installation von Stromkabeln, so die Idee der Initiatoren. Denn Bohrinseln sind schließlich ohnehin über Pipelines mit dem Festland verbunden, über die der Wasserstoff direkt zu den Verbrauchern transportiert werden könnte.
Dänische Inselträume in Nord- und Ostsee
Die ambitioniertesten Pläne für Wasserstoff auf See werden momentan in Dänemark geschmiedet. Bis 2030 wollen die Skandinavier ihren CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um ganze 70 Prozent reduzieren. Eine Schlüsselrolle sollen dabei sogenannte Energieinseln spielen, die die Dänen bis zum Ende des Jahrzehnts vor ihren Küsten errichten wollen. Um diese Inseln herum sind Windräder geplant, auf den Inseln selbst Elektrolyseure und Power-to-X-Anlagen, in denen sich der Wasserstoff weiter in synthetische Treibstoffe umwandeln lässt.
Eine dieser Energieinseln ist als künstliches Eiland in der Nordsee angedacht – mit einer Windkraftkapazität von zwei Gigawatt, die später auf mindestens zehn Gigawatt aufgestockt werden soll. Die zweite Energieinsel in der Ostsee ist dagegen natürlichen Ursprungs und daher auch bereits existent: Bornholm wird nach den Plänen der dänischen Regierung zum Energieknotenpunkt ausgebaut, dessen Windkraftkapazität ebenfalls um zwei Gigawatt wachsen soll.
Mit den Zwei-Gigawatt-Inseln würde Dänemark seine Windenergiekapazitäten auf See von momentan rund 1.700 Megawatt mehr als verdreifachen – mehr als genug, um alle heimischen Haushalte mit Energie zu versorgen. Der erzeugte Strom soll daher nicht nur direkt genutzt oder in grünen Wasserstoff umgewandelt, sondern auch in andere EU-Staaten exportiert werden. Für Bornholm ist zunächst eine Übertragungsleitung nach Polen geplant. Die künstliche Energieinsel „VindØ“ in der Nordsee soll mit dem Netz der Niederlande verkabelt werden.
Tatsächlich nimmt das Zukunftsprojekt bereits konkretere Formen an: Im Mai gaben zwei dänische Pensionsfonds und der heimische Energieversorger SEAS-NVE bekannt, zunächst umgerechnet rund 54 Millionen Euro in die Entwicklung von „VindØ“ zu stecken. Die Insel soll etwa hundert Kilometer vor der Küste auf Betonschwimmkörpern entstehen. Das Projekt sei zwar groß und anspruchsvoll, könne jedoch mit vorhandenen Technologien und weitestgehend ohne staatliche Finanzspritzen realisiert werden, zeigte sich das Konsortium überzeugt.
Westküste 100
Auch in Deutschland werden die Weichen auf Wasserstoff gestellt. Mit der im Juni 2020 beschlossenen Nationalen Wasserstoffstrategie will die Bundesregierung das CO2-freie Gas als „Energieträger der Zukunft“ etablieren. Insgesamt sieben Milliarden Euro sollen in die Forschungsförderung und den Aufbau von Produktionsanlagen und Tankinfrastruktur fließen. Elektrolyseure auf hoher See sind dabei zunächst nicht geplant – wohl aber an der Waterkant in unmittelbarer Nähe zu Offshorewindparks. Als erstes „Reallabor“ für Wasserstofftechnologien hat das Projekt „Westküste 100“ im August vom Bundeswirtschaftsministerium eine Zusage über 30 Millionen Euro Fördergeld erhalten.
Im schleswig-holsteinischen Dithmarschen wollen die Raffinerie Heide, Thyssenkrupp, der Gasnetzbetreiber OGE, der dänische Stromerzeuger Ørsted und weitere Partner mit Windstrom vom Meer grünen Wasserstoff erzeugen. Das 90-Millionen-Euro-Projekt könne dazu beitragen, Deutschland die Technologieführerschaft beim Thema Wasserstoff zu sichern, so Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.
© Johannes Hofmann/WESTKÜSTE100Wird Wasserstoff künftig auf dem Meer produziert?
Stück für Stück soll in Dithmarschen eine regionale Wasserstoffwirtschaft in industrieller Größenordnung aufgebaut werden. In einem ersten Schritt planen die Projektpartner Elektrolyseure mit einer Gesamtleistung von 30 Megawatt. Der dort produzierte Wasserstoff soll ins Gasnetz gespeist, in Kavernen gespeichert und für die Herstellung von klimafreundlicherem Flugkerosin verwendet werden.
Anders als die dänischen Energieinseln werden die Anlagen in dieser fünfjährigen Phase nicht unmittelbar mit den Windturbinen, sondern zunächst mit dem normalen Stromnetz verbunden. Die Elektrizität für die Wasserstoffproduktion wird aus Offshorewindparks eingekauft. Die räumliche Nähe zu den Windenergieanlagen auf See soll die Stromnetze an Land entlasten. Auf längere Sicht wollen die Projektpartner die Elektrolyseleistung auf bis zu 700 Megawatt hochfahren. Der Strom dazu könnte dann direkt aus Windparks vor der Küste stammen, die neu in der Nordsee entstehen sollen.
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