24. Februar 2022
Während das 5G-Netz erst nach und nach wächst, werden bereits die ersten Weichen für die nächste Generation gestellt: 6G soll 50-mal höhere Datenraten bieten als 5G in seiner finalen Ausbaustufe und eine noch einmal deutlich niedrigere Latenz – also quasi eine verzögerungsfreie Übertragung der Datenpakete. Dirk Kretzschmar, Geschäftsführer von TÜViT, über den künftigen neuen Standard.
Mit 5G geht es gerade erst richtig los, nun wird bereits an 6G gearbeitet. Ist das nicht ein bisschen früh?
Dirk Kretzschmar: Tatsächlich bewegen wir uns im üblichen Zeitrahmen. Seit den Anfängen des Mobilfunks findet rund alle zehn Jahre ein Generationswechsel statt, der zumeist mit einem neuen Ansatz verbunden ist. Das war bei 5G so und wird auch bei 7G nicht anders sein. Bei 6G wird die Standardisierung 2025 starten, die Realisierung erfolgt dann 2030. Momentan bewegen wir uns noch in der visionären Phase. Wir entwickeln Ideen, was im Jahr 2030 relevant sein wird: Wie arbeitet unsere Gesellschaft? Wie kommunizieren wir miteinander? Welche gesellschaftlichen wie technischen Anforderungen muss ein neuer Mobilfunkstandard erfüllen?
„Wie wir und unsere Geräte miteinander kommunizieren, wird sich fundamental verändern und erweitern. Das 6G-Netz soll die Fähigkeit besitzen, die Umgebung zu erfassen.“
Und wie könnten wir 2030 leben, und welche Rolle soll 6G dabei spielen?
Die Visionen, die etwa der japanische Mobilfunkanbieter NTT Docomo entwirft, fallen durchaus futuristisch aus. Der Grundtenor: Alles wird mittels 6G miteinander vernetzt sein. Wie wir und unsere Geräte miteinander kommunizieren, wird sich fundamental verändern und erweitern. Man spricht von einer Verschmelzung der digitalen, physischen und biologischen Welt, der cyber-physischen Fusion. Das 6G-Netz soll die Fähigkeit besitzen, die Umgebung zu erfassen. Neben der Kommunikation spielen somit auch sensorische Fähigkeiten eine Rolle. Extended-Reality-Brillen (VR, AR und Mixed Reality) dürften eine Selbstverständlichkeit sein und uns auf unseren Wegen mit Zusatzinformationen versorgen. In Videokonferenzen könnten unsere Gesprächspartnerinnen und -partner künftig als Hologramme mit am Tisch sitzen, und dank taktiler und weiterer Sensorik könnten Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn in die Fernkommunikation Einzug halten. Dass man etwa ein Parfüm zu Hause riechen kann, bevor man es bestellt. Oder sich über Remote hinweg berührt, also etwa im Videocall die Hand schüttelt. 6G soll ebenso die Kommunikation zwischen technischen und energetischen Einrichtungen erheblich verbessern und uns so beim Erreichen der Klimaziele unterstützen. Auch von autonomen Fabriken ist in den Visionspapieren die Rede, die völlig ohne menschliche Arbeitende fernab unserer Städte, etwa unter der Erdoberfläche, produzieren. Möglicherweise hat sich in zehn Jahren zudem bereits ein Weltraumtourismus entwickelt. Über Habitate auf dem Mond oder Mars wird ja schon seit geraumer Zeit nachgedacht. Dann müsste unsere Kommunikationsinfrastruktur neben Erde, Himmel und Meer zusätzlich das Weltall abdecken. Angedacht ist entsprechend, dass wir mit 6G eine sogenannte extreme Coverage erreichen – eine Mobilfunkabdeckung, die auch Orte erfasst, an denen überhaupt keine Menschen leben.
Welche technischen Voraussetzungen müsste 6G dafür erfüllen?
Einerseits benötigen wir sehr große Bandbreiten, um dieses hohe Datenaufkommen zu realisieren. Bei 5G sollen Datenraten von 20 Gigabit pro Sekunde erreicht werden, und davon sind wir in der aktuellen Version noch weit entfernt. Für 6G werden Datenraten von einem Terabit pro Sekunde angestrebt – also fünfmal so viel. Wenn künftig in 6G alles mit allem kommunizieren soll, benötigen wir zudem sehr sichere, verlässliche Netze und verzögerungsfreie Übertragungen. Für 5G wird bereits eine Latenz von einer Millisekunde, also ein Betrieb in Echtzeit, versprochen. Hier muss aber ebenfalls das für 2025 angekündigte 5G-Advanced zeigen, ob das tatsächlich umsetzbar ist. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass im Zuge der fortschreitenden Vernetzung innerhalb der kommenden zehn Jahre die Anforderungen noch einmal erheblich steigen und wir mit 6G entsprechend Latenzzeiten von deutlich unter einer Millisekunde erreichen müssen. Konkret wird hier von circa 100 Mikrosekunden gesprochen – also ein Zehntel der Latenz von 5G –, damit etwa autonome Fahrzeuge, vielleicht auch Flugtaxis, sich in Echtzeit miteinander abstimmen können. Eine verzögerungsfreie Datenübertragung wäre aber ebenfalls erforderlich, um Telechirurgie, also Operationen aus der Ferne, zu ermöglichen.
Wo liegen die Herausforderungen?
Die anvisierten Übertragungsraten im sogenannten Sub-Terahertz-Frequenzbereich stellen große Herausforderungen an Technik, Frequenzmodulation, Wellenformen und an die Kodierungsschemata. Mit den heute verfügbaren Techniken bewegen wir uns bereits am physikalischen Limit: Momentan können wir Geschwindigkeiten von einem Terabit pro Sekunde noch gar nicht realisieren. Wir benötigen also eine technische Revolution, ansonsten wird 6G eher eine Evolution zu 5G: zwar schneller, aber nicht in der angestrebten Größenordnung.
5G arbeitet mit kurzwelligen Frequenzen, die einen hohen Datendurchsatz erlauben, aber auch eine viel kürzere Reichweite haben als noch 4G. Man benötigt also deutlich mehr Basisstationen. Diese Problematik dürfte sich mit 6G verschärfen.
Während man mit 5G Bereiche von rund einem Kilometer abdecken kann, wären es mit den für 6G erforderlichen Frequenzen nur wenige bis maximal 150 Meter. Um die angestrebte flächenmäßige Abdeckung erreichen zu können und nicht überall Antennen aufstellen zu müssen, sollen bei 6G verschiedene Sende- und Empfangstechnologien mit Reflexionsverfahren kombiniert werden. Diese Reflektoren sind letztlich kleine Dioden oder Folien, die auf Wände, Fenster oder Straßenlaternen geklebt werden können. Zugleich wird man als Handynutzende und -nutzender selbst zum Teil der Sende-Infrastruktur – zum Reflektor für andere Nutzende oder vernetzte Geräte. Ein weiterer Baustein sind erdnahe Satelliten, die künftig einen Teil der Abdeckung übernehmen sollen. Letzteres ist auch bereits für 5G-Advanced angedacht.
Soll 6G auch bei der IT-Sicherheit neue Wege beschreiten?
Für die Anwendungen von 6G ist Zuverlässigkeit elementar. Und die steht und fällt nicht zuletzt mit der IT-Sicherheit. Die Sicherheitskonzepte bisheriger Mobilfunkgenerationen gehen noch davon aus, dass Angriffe eher im sogenannten Accessbereich, also an den Mobilfunkgeräten, Antennen und Basisstationen, stattfinden. Aber je tiefer man ins Netzinnere kommt, desto mehr nehmen die Sicherheitsanforderungen ab. 6G soll stattdessen auf ein Zero-Trust-Modell setzen. Jede involvierte Komponente, unsere Mobilfunkgeräte, die Antennen, die weitere Infrastruktur – keine vertraut sich. Und jede Komponente muss überprüfen, ob und wie die andere mit ihr kommunizieren darf. Dieses Zero-Trust-Modell dürfte sich nur noch schwerlich in 5G implementieren lassen, soll dann aber in 6G tatsächlich umgesetzt werden.
ZUR PERSON
© TÜViT
Dirk Kretzschmar ist Geschäftsführer von TÜViT und Experte in Sachen Netzsicherheit.
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In Folge 4 gibt Dirk Kretzschmar Auskunft über relevante Sicherheitsaspekte von 5G.