06. August 2020
Windräder, Wasserkraftwerke, Solaranlagen auf Dächern oder Wiesen: Womit wir morgen „grünen Strom“ produzieren werden, scheint schon heute ausgemachte Sache. Forschende tüfteln aber noch an ganz anderen Methoden. So könnte etwa auch mit Wellen oder gar mit Luftfeuchtigkeit elektrische Energie gewonnen werden.
1. Schwimmende Solarkraft
Auf Dächern, Fassaden, Feldern und selbst auf ehemaligen Deponien sind Solaranlagen längst ein gewohntes Bild. Neuerdings hat die Solarbranche auch das Wasser für sich entdeckt. Auf einem Baggersee bei Renchen, unweit der französischen Grenze, hat der badische Energieversorger Erdgas Südwest eine schwimmende Solaranlage installiert. Sie versorgt mit einer Leistung von 750 Kilowatt vor allem die Maschinen des dortigen Kieswerks mit Strom.
Aus Sicht von Energie Südwest hat Photovoltaik zu Wasser viele Vorteile: Anders als Anlagen an Land belegt sie keine gefragten Flächen, konkurriert also nicht etwa mit der Landwirtschaft. Baden ist in Baggerseen aus Sicherheitsgründen ohnehin meistenteils tabu. Und anders als manchmal auf Hausdächern werden Solarpanels dort nicht verschattet und durch das Wasser sogar zusätzlich von unten gekühlt. Auf diese Weise liefern die Module bis zu 10 Prozent mehr Energie, die von den Baggern, Rüttlern und Förderbändern direkt vor Ort genutzt werden kann – das schont die Stromnetze. Und auch die Seen selbst soll die schwimmende Solarkraft ökologisch entlasten. Weil sie das Wasser unter sich verschatten, bremsen sie das Algenwachstum, das stehenden Gewässern und deren Bewohnern in heißen Sommern den Sauerstoff entzieht.
Bislang teurer als Solarkraft auf der grünen Wiese
Energie Südwest zählt allein in ihrem Einzugsbereich 150 Baggerseen. Auch geflutete Steinbrüche, Stauseen, Wasserreservoirs oder Braunkohletagebau-Seen gelten als vielversprechende Einsatzfelder für schwimmende Photovoltaik. Das Solarforschungsinstitut SERIS in Singapur schätzt das globale Potenzial für Stromerzeugung auf stehenden Gewässern auf 400.000 Megawatt – genug, um Hunderte Atom- oder Kohlekraftwerke zu ersetzen.
Noch sind die Photovoltaikanlagen rund 20 bis 25 Prozent teurer als jene auf der grünen Wiese. Und den Vorteilen bei der Energieausbeute steht möglicherweise ein höherer Wartungsaufwand durch Algenbewuchs und die Hinterlassenschaften von Seevögeln entgegen. Experten rechnen aber damit, dass die Installationskosten in naher Zukunft deutlich sinken werden. Gerade in dicht besiedelten Ländern mit vielen Wasserflächen dürften solche Anlagen dann bedeutsam werden.
Niederlande: großer Vorreiter in Europa
Weltweit nimmt die schwimmende Solarkraft aber schon jetzt Fahrt auf. Von 1,1 Gigawatt Mitte 2018 hat sich die global installierte Leistung auf dem Wasser bis Ende 2019 auf 2 Gigawatt fast verdoppelt. Die größten und leistungsfähigsten Anlagen schwimmen derzeit in China. In einem ehemaligen Kohleabbau- und Überschwemmungsgebiet bei Suzhou wurde ein Solarkraftwerk mit einer Nennleistung von 70 Megawatt gebaut, das sich über eine Fläche von 140 Hektar erstreckt.
© iStockKühlung inklusive: schwimmende Solaranlagen
In Europa haben sich, noch vor Großbritannien und Frankreich, die kleinen Niederlande zum großen Förderer und Vorreiter der Technik entwickelt. In einem 18 Hektar großen Baggersee bei Zwolle schwimmt seit diesem Jahr die größte Anlage weltweit außerhalb Chinas. Sie hat eine Leistung von 27.4 Megawatt – genug, um 7.200 Haushalte mit Strom zu versorgen. Geht es nach dem nationalen Konsortium „Zon op Water“, werden in den Niederlanden bis 2023 Solarkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 2 Gigawatt zu Wasser gegangen sein.
2. Strom aus Luftfeuchtigkeit
Metalle können sich bei hoher Luftfeuchtigkeit spontan aufladen, wie ein Arbeiter 1843 schmerzhaft erfahren musste. Er erlitt einen schweren Stromschlag, weil sich eine Metalloberfläche in einem wasserdampfgefüllten Raum aufgeladen hatte. Physikalisch betrachtet, gehen bei diesem Phänomen Ionen von der Oberfläche auf die kleinen Wassertropfen in der Luft über. Je nach Art des Metalls findet dadurch eine positive oder negative Aufladung statt.
Wissenschaftler der israelischen Universität Tel Aviv haben auf Basis dieses Wissens einen neuartigen Akku entwickelt. Dazu suchten die Forschenden zunächst nach zwei Metallen, die sich möglichst unterschiedlich aufladen. Edelmetall und Zink erwiesen sich in den Experimenten als das elektrisierendste Paar: Stieg die Luftfeuchtigkeit auf über 60 Prozent, konnte eine Spannung von fast 1 Volt gemessen werden. Ein Effekt, der sich auch bei einem ersten Praxistest auf dem Dach des Instituts einstellte.
Aus Sicht der Wissenschaftler ein vielversprechendes Ergebnis. Schließlich liegt die Spannung der Feuchtigkeitsakkus dicht an der von 1,5-Volt-Batterien, mit denen sich Radios, Taschenlampen, Wecker oder Fahrradlampen betreiben lassen. Auf Basis der Forschungen könnten künftig Batterien entwickelt werden, die sich über Luftfeuchtigkeit aufladen lassen. Davon sollen dann vor allem Menschen in tropischen Entwicklungsländern profitieren, wo die Luftfeuchtigkeit konstant hoch und das Stromnetz noch lückenhaft ist.
3. Wellenkraftwerke
Wellen sorgen auf den Weltmeeren tagtäglich für gehörigen Wirbel. Treffen sie auf eine Küste, setzen sie Schätzungen zufolge dabei pro Meter eine Leistung von 15 bis 30 Kilowatt frei. Würde diese Energie vollständig in Strom verwandelt, könnte ein 30 bis 60 Kilometer langer Küstenabschnitt ein großes Kohlekraftwerk oder Kernkraftwerk ersetzen. Rund ein Sechstel des weltweiten Strombedarfs wäre auf diese Weise zu stillen.
Nach den ersten Ölkrisen in den 1970er-Jahren versuchten Forschende erstmals, das gewaltige Potenzial der Wellenenergie zu heben. Doch diese Versuche blieben in den Ansätzen stecken – die verwendete Technik hielt der ebenso rauen wie salzigen Umgebung nicht stand oder war schlicht nicht effizient genug. Und mit dem sinkenden Ölpreis schmolz auch das politische Interesse an alternativen Energiequellen. Wiederentdeckt wurde die Wellenkraft um die Jahrtausendwende. RWE, EnBW, e.on, Siemens und der Heidenheimer Turbinenhersteller Voith investierten in unterschiedliche technologische Ansätze, die mit teils sehr unterschiedlichen Methoden die Wellenbewegung an der Wasseroberfläche in mechanische Kraft umwandeln sollten.
Elektrisierende Seeschlange
Der Energiekonzern e.on beteiligte sich an den gewaltigen Wellenwandlern, die das britische Unternehmen Pelamis Wave Power ab 2004 in der aufgewühlten Nordsee vor den schottischen Orkney-Inseln testete: Die Glieder der 180 Meter langen und 1.300 Tonnen schweren „Seeschlange“ aus rotem Stahl folgten der Bewegung der Wellen. Dabei aktivierten sie hydraulische Pumpen an ihren Gelenken, die ihrerseits einen Generator antrieben. 2013 zog sich e.on jedoch aus dem Projekt zurück – die Entwicklung der Technologie habe sich zu sehr verzögert. Als weitere Investoren dem Auszug folgten, ging Pelamis 2014 in die Insolvenz. Auch andere Wellenkraftprojekte erlitten finanziell Schiffbruch oder blieben in der Demonstrationsphase stecken, weil ihre Effizienz oder Zuverlässigkeit unter den Erwartungen blieb.
© Wikimedia Commons/Erik Friis-Madsen/WaveDragon/ CC BY 3.0*Wellen stecken voller Energie. Die Wege sie zu nutzen werden noch erforscht.
Die großen Energieversorger haben sich heute aus der Wellenkraft zurückgezogen, kleine Unternehmen tüfteln dagegen weiter an der Idee. Das bayerische Start-up SINN Power arbeitet an einer kostengünstigen Wellenkraftwerks-Technik, die sich modular erweitern lässt. Seit 2015 wird die Technologie im Hafen des griechischen Heraklion erprobt und hat nach Angaben des Unternehmens bereits sechs Meter hohe Wellen überstanden. Die schwimmende Plattform soll dabei auch mit Solarzellen und kleinen Windrädern bestückt werden können, um in Zukunft etwa kleine Inseln in der Karibik mit „grünem Strom“ zu versorgen.
4. Strom aus Regen – Regenstrom
Regen lässt Pflanzen wachsen, könnte aber auch LED-Lampen zum Leuchten bringen – mittels Hydrovoltaik. Rinnt Regen über ein Dach, einen Schirm oder eine andere nichtleitende Oberfläche, erzeugt er eine Ladungsspur. Die Tropfen sammeln die umgekehrte Ladung. Dieses bekannte Phänomen haben Physikerinnen und Physiker des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz näher untersucht.
Sie entwickelten eine Methode zur Ermittlung der Ladungserzeugung und erdachten zusätzlich ein theoretisches Modell zum besseren Verständnis. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden eine Oberfläche entwickeln, die den Aufladungseffekt bestmöglich nutzt. So sollen zumindest kleinere Mengen an Strom erzeugt werden. Das könnte zum Beispiel den Bewohnern von einsamen und regenreichen Gebieten zugute kommen, in denen es noch keine Elektrizität gibt.
Nano-Stromgenerator
Forschende aus Hongkong verfolgen einen anderen Ansatz. Sie wollen die Aufprallenergie von Regentropfen in Strom umwandeln. Dazu haben sie einen Nano-Stromgenerator entwickelt, der Energie aus der Fallhöhe einzelner Tropfen erzeugen kann. Ein einzelner Wassertropfen auf 15 Zentimeter Höhe reiche ihrer Studie zufolge aus, um 100 LED-Lampen zum Leuchten zu bringen.
Damit das funktioniert, müssen die Tropfen allerdings möglichst gleichmäßig und aus gleicher Höhe auf die Oberfläche des Generators fallen. Für den Einsatz im Regen passten die Forschenden die Konstruktion so an, dass das Regenwasser zunächst aufgefangen und dann durch feine Kapillaren in regelmäßig fallende Tröpfchen geteilt wird.
© City University of Hong KongVon der Aufprallenergie zum Strom: Nano-Stromgenerator.
Schlüssel zum Strom ist eine Schicht aus Indiumzinnoxid und Teflon, die sich mit jedem neuen Tropfen immer weiter elektrisch auflädt. Dadurch erzeuge der Generator auch auf kleiner Fläche tausendmal so viel Leistung wie ein Generator ohne das Material. Aus Sicht der Forschenden bietet diese Technik großes Potenzial: An allen Orten der Welt, wo Regen fällt oder Wasser fließt, könnte mit einem solchen Generator elektrische Energie produziert werden – selbst auf einem Regenschirm oder dem Rumpf einer Fähre. Zuvor haben die Wissenschaftler aber wohl noch viel Forschung vor sich. Denn einen kurzen Energiestoß zu generieren gilt als vergleichsweise einfach, genug Strom anzusammeln, um elektrische Geräte kontinuierlich zu versorgen, dagegen als erheblich schwerer.