28. Februar 2018
So selbstverständlich wie Strom, Licht und fließendes Wasser: Smart-Home-Anwendungen sind ein Megatrend. Forscher gehen davon aus, dass Häuser, die sich selbst organisieren, in wenigen Jahren zur Normalität gehören. Aber sind Smart-Home-Produkte wirklich verlässlich und sicher? Und was passiert mit den gesammelten Daten? Fragen wie diese beschäftigen Verbraucher, Hersteller und Technologie-Dienstleister wie TÜV NORD. Matthias Springer, Experte für funktionale Sicherheit, klärt über aktuelle Schwachstellen und künftige Entwicklungen auf.
Anfang November hatte ein Mann aus der holsteinischen Kreisstadt Pinneberg Ärger mit dem digitalen Assistenten des US-Unternehmens Amazon, Alexa genannt. Mit Alexa, so das Versprechen des Herstellers, wird die Wohnung zum Smart Home. Auf einen sprachlichen Befehl hin geht die Garagentür hoch, der Rollladen runter oder der Fernseher an. Doch bei diesem Nutzer passierte etwas anderes: An einem Samstagabend, an dem der Alexa-Nutzer nicht zu Hause war, machte sich der Voice Service selbstständig. Alexa spielte in ohrenbetäubender Lautstärke Musik ab – bis die Nachbarn die Polizei riefen und diese die Tür für die Beseitigung der Ruhestörung aufbrechen musste. Später hieß es in Medienberichten, dass die App eines Drittanbieters schuld gewesen sei.
Für Matthias Springer, Experte für funktionale Sicherheit und IT-Security bei TÜV NORD, zeigt der Fall grundsätzliche Probleme auf: Smart-Home-Produkte wie Alexa arbeiten nicht immer wie versprochen, es hapere noch „an der Funktionalität“. „Der Kunde, der sich so etwas zulegt, fragt sich außerdem: Wer macht da eigentlich was mit meinen Daten? Und ist das Produkt mit meinen anderen Geräten und Apps kompatibel?“, sagt Matthias Springer. Die Herausforderung für die Hersteller bestehe darin, diese Bedenken auszuräumen – vor allem wenn Smart-Home-Produkte noch mehr in den Alltag integriert werden. Aktuell können Nutzer über spezielle Anwendungen per App oder Sprachsteuerung Heizungen, Türen, Fenster, Jalousien und Lampen steuern. Ebenfalls bereits auf dem Markt sind intelligente Kühlschränke und Kaffeemaschinen, die eine Verknappung erkennen und selbstständig eine Bestellung auslösen können, oder Waschmaschinen, die die Wasserzufuhr und die Waschdauer automatisch anpassen.
Zertifikate für Smart-Home-Anwendungen
Matthias Springer und seine Kollegen prüfen und zertifizieren bei TÜV NORD unter anderem Smart-Home-Produkte. Dabei geht es nicht nur um eine einwandfreie Leistung. „Wir denken IT-Sicherheit und mechanische Sicherheit zusammen, das nennen wir Security4Safety“, erklärt Matthias Springer. „Ohne IT-Sicherheit keine Produktsicherheit. Viele Schwachstellen und Hacker-Angriffe lassen sich zudem auf Sicherheitslücken in Hard- und Software zurückführen. Daher muss IT-Sicherheit schon bei der Produktentwicklung mitgedacht und überprüft werden.“ Auf diese Weise verringere sich für Unternehmen auch das Risiko von späteren Rückrufaktionen und Schadensersatzansprüchen.
„Der Kunde, der sich so etwas zulegt, fragt sich außerdem: Wer macht da eigentlich was mit meinen Daten? Und ist das Produkt mit meinen anderen Geräten und Apps kompatibel?“
Noch basiert dieser umfassende Check im Großen und Ganzen auf Freiwilligkeit, denn es gibt derzeit kaum gesetzliche Vorgaben dazu. Das sollte sich aus Sicht von TÜV NORD ändern: durch eine verbindliche Prüfung der IT-Security im Sicherheitsgesamtkontext.
Der Check
Eine Zertifizierung läuft bei TÜV NORD so ab: Ein Hersteller übergibt TÜV NORD sein Produkt. Matthias Springer prüft dann zusammen mit seinen Kollegen Hardware- und Software-Aspekte. „Ich schaue mir die Architektur der Komponente an, die Kommunikationswege und natürlich die implementierten Schutzmaßnahmen.“ Ähnlich läuft das Verfahren bei der Software ab: Da werden zum Beispiel die Quellcodes analysiert, die vom Hersteller übermittelt worden sind. Generell gilt, dass nur getestet werden kann, was an TÜV NORD übergeben wird. Was der Hersteller zurückbehält, bleibt ungeprüft.
Smart Home: So selbstverständlich wie Strom, Licht und fließendes Wasser?
Der aktuelle Megatrend Smart Home wird künftig Standard in deutschen Haushalten sein, so die Prognose von Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom Anfang 2017. Allerdings hinkt die gesetzliche Regulierung den Innovationen hinterher. Das liegt auch daran, dass der Markt noch sehr unübersichtlich ist. Justiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas (SPD) erklärte etwa im Februar 2017, er sehe bislang keinen Bedarf, gesetzgeberisch einzugreifen. „Ich halte es für besser, abzuwarten, welche Produkte sich durchsetzen“, sagte er. Verbraucherschützern und Sicherheitsexperten ist das jedoch zu wenig. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen forderte im September 2017 eine „umfassende Prüfung des gesetzlichen Rahmens für Smart-Home-Produkte und -Anwendungen“. Der Fokus solle hierbei besonders auf der Identifizierung von Haftungslücken im Vertragsrecht liegen. Im Klartext: Es soll geklärt werden, wer dafür haftet, wenn beispielsweise Alexa von alleine so laut Musik abspielt, dass die Polizei anrücken muss – der Nutzer oder der Hersteller? „Es gibt ganz viele Themen, die so neu sind, dass sie noch nicht gesetzlich geregelt sind. Das wirkt sich negativ auf das Vertrauen des Nutzers aus“, meint Matthias Springer. Ein Problem, das in Zukunft noch mehr an Brisanz gewinnen wird. Denn obwohl Smart-Home-Anwendungen heute noch nicht sehr verbreitet sind: Auch Springer geht davon aus, dass das smarte Zuhause in ein paar Jahren selbstverständlich sein wird.
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ZUR PERSON
© TÜV NORD
Matthias Springer ist direkt nach seinem Studium 2008 bei TÜV NORD gelandet. Als Projektleiter „Security4Safety“ sind er und sein Team zuständig für die Entwicklung von Dienstleistungen für die Industrie 4.0 vor dem Hintergrund der digitalen Transformation – mit dem Ziel, die beiden Werte Security und Safety zu verschmelzen. Der Reiz des Unbekannten macht seinen Arbeitsalltag spannend: „Neues mitzugestalten und voranzutreiben ist meine Motivation“, sagt Matthias Springer.