23. Januar 2020
Über eine halbe Million Drohnen sind bereits in Deutschland unterwegs – die meisten davon für private Zwecke. Aber auch die Zahl professionell verwendeter Drohnen wächst rapide und soll laut Prognosen hierzulande bis 2021 auf 42.000 klettern. Dabei erfreuen sich die unbemannten Flugobjekte nicht nur bei Fotografen oder Filmemachern steigender Beliebtheit: Auch Feuerwehrleute, Landwirte oder Archäologen lassen sich zunehmend aus der Luft bei der Arbeit unterstützen.
Fliegendes Auge der Feuerwehr
Feuerwehrleute arbeiten gefährlich. Um sich am Einsatzort einen besseren Überblick zu verschaffen, fordern die Brandretter mittlerweile auch Luftunterstützung an. Mit Wärmebildkameras ausgerüstete Drohnen machen Brandherde ausfindig und sorgen an gefährlichen oder unzugänglichen Orten für Aufklärung, ohne dass ein Mensch dabei sein Leben riskieren muss. Mit ihren Infrarotkameras können die unbemannten Flugobjekte außerdem bei der Personensuche helfen. So spüren sie beispielsweise Unfallopfer auf, die aus ihrem Fahrzeug geschleudert wurden und die im Dunkeln oder versteckt im Unterholz sonst zu spät entdeckt werden würden. Autonome Drohnenschwärme sollen darüber hinaus die Ausbreitung giftiger Gase nach Bränden oder Unfällen messen, um die Bevölkerung künftig besser schützen zu können – ein Verfahren, das die Feuerwehr Dortmund im Rahmen des Forschungsprojekts „AirShield“ des Bundesbildungsministeriums erprobt hat. Um den Einsatzkräften die Luftunterstützung zu erleichtern, gelten für sie besondere Regeln in der Drohnenverordnung: Sie müssen den Einsatz der Flugmaschinen nicht vorher anmelden und dürfen Drohnen bis fünf Kilo auch außer Sichtweite fliegen, etwa um den Bereich hinter einer Rauchsäule zu erkunden. Dabei ist das Überfliegen von Einsatzstellen durch Dritte verboten. Für professionelle oder private Gaffer ist der Luftraum über einem Unfall also tabu.
Luftige Altertumsforscher
Vergangene Kulturen haben ihre Siedlungen, Häuser oder Grabstätten häufig an Orten errichtet, die heute schwer zu erreichen sind. Drohnen gelten hier als preiswerte und praktische Alternative zu Satellitenbildern und Helikopterflügen. Mit ihnen kann man sich aus der Vogelperspektive einen Überblick über eine Ausgrabungsstätte verschaffen. Im russischen Altai-Gebirge erstellten Archäologen anhand von Drohnenaufnahmen 3-D-Karten, über die sich die Größe der dortigen Grabhügel ermitteln ließ. Im US-Bundesstaat New Mexico halfen die Flugmaschinen den Forschern bei der Ausgrabung einer Stadt der Pueblo-Indianer. Mit ihren Infrarotkameras lokalisierten sie im Erdboden verborgene Mauern und gaben den Wissenschaftlern so wichtige Hinweise, wo sie ihre Spaten als Nächstes ansetzen mussten. Forscher aus Berlin und Dresden erstellten mit ihrem Archaeocopter 3-D-Karten von Karakorum, der einstigen Hauptstadt des mongolischen Reiches, von Tempelanlagen der Huasteken in Mexiko und vom Mausoleum König Jubas II. in Algerien. Dabei suchen die Archäologen nicht nur aus der Luft nach den Spuren vergangener Kulturen: Mit selbst entwickelten Unterwasserdrohnen überprüfen sie beispielsweise, wie stark der Zahn der Zeit an den jungsteinzeitlichen Pfahlbauten im österreichischen Mondsee genagt hat – damit auf Basis dieser Befunde das Weltkulturerbe besser für die Zukunft erhalten werden kann.
Einsatz über dem Ackerboden
Auch über Feldern und Wiesen ziehen Drohnen bereits ihre Kreise: Sie erfassen den Gesundheitszustand von Pflanzen, orten mit Infrarotkameras vor dem Mähen Rehkitze im Feld oder entdecken Unkrautnester von oben. Zudem bekämpfen sie Schädlinge wie den Maiszünsler auf biologische Art: Die Landesanstalt für Landwirtschaft und Gartenbau Sachsen-Anhalt lässt im Rahmen eines Pilotprojekts die Larven der Trichogramma-Schlupfwespe per Drohne auf die Eier des kleinen Schmetterlings herabregnen, um dem Maisschädling auf natürliche Weise den Garaus zu machen. Die landwirtschaftliche Versicherung Vereinigte Hagel lässt ebenfalls unbemannte Flugobjekte über Maisfeldern aufsteigen. Sie helfen dabei, Unwetterschäden aus der Luft festzustellen, was sich zu Fuß zwischen den mannshohen Pflanzen oft schwierig gestaltet. Mit Multispektralkameras ausgestattete Drohnen bestimmen wiederum das Pflanzenwachstum und damit den Stickstoffbedarf im Acker. So können Landwirte punktuell genau dort düngen, wo es nötig ist. Das schont den Geldbeutel ebenso wie die Umwelt.
© MDR/Marie-Kristin LandesInformatiker und Unternehmer Axel Weckschmied bietet Schädlingsbekämpfung per Drohne an.
Leichtere Luftpost
Was der sprechende Kühlschrank für das Internet der Dinge, ist die Paketdrohne für die „Unmanned Aerial Systems“, also den unbemannten Flugverkehr: ein erstes, handfestes Beispiel für den konkreten Nutzen der neuen Technologie. Im Dezember 2013 versprach Amazon-Chef Jeff Bezos, dass in vier bis fünf Jahren Kunden ihre Bestellung per Drohne geliefert bekommen. Doch bis heute ist „Prime Air“ nicht über Testflüge hinausgekommen. Regulatorische Hürden und technische Probleme hatten die hochfliegenden Pläne ausgebremst. Zumindest Letztere will der Online-Riese nun bewältigt haben. Mitte 2019 wurde eine neue Drohne vorgestellt, die gut 24 Kilometer weit fliegen und bis zu 2,3 Kilogramm schwere Pakete innerhalb von 30 Minuten zustellen soll. In den nächsten Monaten will Amazon seinen Drohnen-Lieferdienst dann endlich starten. Google-Mutterkonzern Alphabet ist bereits einen Schritt weiter. Nach jahrelangen Tests liefert Alphabet seit April 2019 im australischen Canberra regulär Waren per Drohne aus. Mit einer Genehmigung der US-Luftfahrtbehörde FAA hat das Tochterunternehmen Wing im Oktober vergangenen Jahres auch in Christiansburg, Virginia, einen Feldversuch gestartet. Kunden des Transportdienstleisters FedEx, einer Drogeriekette und eines lokalen Süßwarenladens können sich seither aus der Luft beliefern lassen – mit Päckchen bis 1,5 Kilogramm. Gesteuert werden die Geräte dabei von mehreren Piloten am Boden.
© DHLTransportmöglichkeit unabhängig von etablierter Infrastruktur: DHL-Paketkopter.
Auch Post-Tochter DHL experimentiert seit Jahren mit der Lieferung aus der Luft. Im Herbst 2014 flog eine DHL-Drohne erstmals Medikamente und Eilgüter versuchsweise auf die Nordseeinsel Juist. Seitdem testet der Zusteller die Technologie auch im Alpenort Reit im Winkl und am Victoriasee in Afrika. Im Mai 2019 wurde die erste innerstädtische Route in China in Betrieb genommen. Zweimal täglich transportieren unbemannte Flugmaschinen in der Stadt Dongguan bis zu fünf Kilogramm schwere Kisten mit Expresssendungen über eine acht Kilometer weite Strecke zwischen zwei Packstationen – und zwar ohne dass sie von jemandem gesteuert werden. Statt mit einem Lieferwagen 40 Minuten durch den Stadtverkehr gefahren zu werden, sollen die Expresslieferungen so in acht Minuten ihr Ziel erreichen. Künftig will DHL die Luftpost auch in anderen chinesischen Städten anbieten. In Europa ist dagegen kein regulärer Lieferbetrieb geplant. Drohnen seien bis auf Weiteres „ein reines Forschungsprojekt“, so eine Unternehmenssprecherin. Die Regeln für den Drohneneinsatz sind streng. Bei Wind und Wetter müssten sie noch oft am Boden bleiben, und für den Massenversand seien sie ohnehin nicht geeignet, ist man sich in der deutschen Logistikbranche einig. Daher konzentriere man sich bei DHL auf Spezialanwendungen wie Medikamententransporte in Afrika.
Blutkonserven am Fallschirm
In Afrika liefert das kalifornische Start-up Zipline Medikamente und Blutkonserven bereits seit 2016 aus der Luft. Mittlerweile wurden nach eigenen Angaben mit den autonomen Drohnen über 27.000 lebensrettende Hilfspakete abgeworfen. Die meisten davon in Ruanda, wo abgelegene Krankenhäuser mit Spenderblut versorgt werden. Die Drohnen sind dabei mit 100 Stundenkilometern unterwegs und stellen ihre Blutbeutel in einem Radius von 80 Kilometern innerhalb von 45 Minuten zu. Autos oder Motorräder wären auf dem schlecht ausgebauten Straßennetz deutlich länger unterwegs. Die selbst entwickelten Drohnen erinnern dabei eher an große Modellflugzeuge. Die bekannten Quadrocopter wären allerdings schlicht zu langsam und könnten durch ihren hohen Energieverbrauch nur weitaus kürzere Strecken fliegen. Um den Betrieb so effizient wie möglich zu machen, werden die Zipline-Drohnen von einer Rampe in die Luft katapultiert, werfen ihre Pakete mit einem Fallschirm am Zielort ab, werden am Logistikzentrum dann per Fangseil wieder aus der Luft gefischt und anschließend mit frischen Akkus ausgestattet. Seit 2019 liefert Zipline zudem in Ghana Impfstoffe, Blut und Medikamente aus drei Logistikzentren aus – fünf sollen es einmal werden. In diesem Jahr will das Unternehmen, an dem mittlerweile auch U2-Sänger Bono beteiligt ist, in Indien und auf den Philippinen starten. In einem Pilotprojekt im US-Bundesstaat North Carolina soll darüber hinaus ermittelt werden, ob und wie autonom operierende Drohnen über Ballungsräumen in die Luftraumüberwachung integriert werden können, damit sie auf ihren Lieferflügen weder andere Luftfahrzeuge noch Menschen am Boden gefährden.
© Jake BrightDie Drohne als Lebensretter: Start-up Zipline liefert Blutkonserven und Medikamente aus der Luft.
Inspektionen von oben
Besonders bei Inspektionen erfreuen sich Drohnen wachsender Beliebtheit. Schließlich mussten menschliche Prüfer bei ihrer Arbeit bislang oft gefährlich hoch hinaus oder konnten die letzten Winkel einer Anlage nur unter hohem Zeitaufwand unter die Lupe nehmen. TÜV NORD verwendet unbemannte Flugobjekte beispielsweise um Bahninfrastruktur zu überwachen. Die Drohnen fliegen dabei über Gleise, Brücken und Bauwerke, erfassen mit ihren HD- und Infrarotkameras Veränderungen und Schäden, die dann von den menschlichen Experten ausgewertet werden. Im EU-geförderten Forschungsprojekt „Aeroarms“ entwickeln die Sicherheitsfachleute vom TÜV NORD gemeinsam mit der Universität Sevilla und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ein komplexes Inspektionssystem. Herzstück sind Drohnen, die über Roboterarme verfügen und einen mit Sensoren ausgestatteten Prüfcrawler zum Beispiel auf den Rohrleitungen einer Raffinerie aufsetzen. Dieser Crawler untersucht die Leitungen dann auf Verschleiß oder Schäden. Bislang brauchte es dafür zeitaufwendige Arbeitsschutzmaßnahmen und komplizierte Gerüste, damit menschliche Inspektoren die Rohre überhaupt erreichen konnten.
Mit Infrarot auf Minenjagd
Nirgendwo auf der Welt werden mehr Menschen durch Minen getötet, verletzt oder verstümmelt als in Afghanistan. Das Tückische an den Schmetterlingsminen, die die sowjetische Armee in den 1980er-Jahren dort millionenfach abgeworfen hat: Aufgrund ihrer Form und ihrer farbigen Lackierung halten Kinder sie häufig für Spielzeug. Und weil sie überwiegend aus Kunststoffen bestehen, können sie mit Metalldetektoren kaum entdeckt werden. Hier sollen Drohnen mit Infrarotkameras Abhilfe schaffen, so die Idee US-amerikanischer Forscher. Flüssigsprengstoffe heizen sich schneller auf als die Umgebung und kühlen abends langsamer ab. Deshalb können die Wärmebildkameras der Drohnen sie als „thermale Anomalie“ erfassen. In der Pilotphase werden die Bilder händisch von den Forschern ausgewertet. Künftig soll der Prozess aber mit Algorithmen automatisiert werden. Klassische Landminen will der in Afghanistan geborene Ingenieur und Designer Massoud Hassani mit der selbst entwickelten Mine-Kafon-Drohne entschärfen. Zunächst erstellt eine Drohne dazu eine 3-D-Karte der Umgebung. Danach fliegt eine weitere Flugmaschine auf Basis der Daten über das Areal und spürt mit ihren diversen Sensoren Minen auf, um sie mittels eines Detonators in die Luft zu sprengen. Dieses Verfahren soll sicherer und günstiger sein als herkömmliche Methoden – und die Welt so erheblich schneller von Abermillionen noch verborgener Minen befreien.