28. März 2019
Mehr Komfort, geringere Umweltbelastung und weniger Unfälle – das versprechen die Befürworter des selbstfahrenden Autos. Doch auf welchem Level des automatisierten Fahrens befinden wir uns heute? Was müssen Fahrzeuge können, um eigenverantwortlich durch den Verkehr zu steuern? Und wie kann ihre Sicherheit umfassend geprüft werden? Das alles erklärt Katrin Leicht von TÜV NORD im Interview.
#explore: Die Ankündigungen diverser Hersteller erwecken den Eindruck, dass das selbstfahrende Auto demnächst über unsere Straßen rollt. Auf welcher Stufe des automatisierten Fahrens befinden wir uns denn heute tatsächlich?
Katrin Leicht: Hier muss man zwischen der Serienentwicklung und Forschungsprojekten unterscheiden. Während bei Testfahrzeugen mit einem für den Einsatzzweck entwickelten Sicherheitskonzept auch voll automatisierte Fahrzeuge bis Level 4 erprobt werden können, vollzieht sich die Serienentwicklung schrittweise und immer auf der Basis gesetzlicher Normen. Aktuell befinden wir uns hier auf Level 2. Das heißt: Der Fahrer wird von Assistenzsystemen unterstützt, kann temporär die Hände vom Steuer nehmen, muss aber immer eingreifen können und trägt jederzeit die volle Verantwortung für jegliche Funktionen des Fahrzeugs.
Was ändert sich mit Level 3?
Auf Level 3 kann ich als Fahrer in vorher definierten Situationen temporär die Verantwortung an das Fahrzeug abgeben und anderen Tätigkeiten nachgehen – angedacht ist das etwa für Staupiloten oder Reise-Assistenten für die Autobahnfahrt. Für den jeweiligen Einsatzzweck – also etwa die Fahrt im Stau – muss das Fahrzeug mit allen dort auftretenden Verkehrssituationen zurechtkommen. Dazu muss das Fahrzeug in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen: Es benötigt eine Entscheidungsbasis in Form von Sensorsystemen und intelligenter Software, die deren Informationen interpretiert, und eine Entscheidungslogik, nach der diese Entscheidungen getroffen werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Objekterkennung des Fahrzeugs unter allen Witterungsbedingungen und unabhängig von den Lichtverhältnissen umfassend funktioniert.
Können Level-3-Fahrzeuge unter den bisherigen Richtlinien überhaupt für die Straße zugelassen werden?
Die prinzipielle Möglichkeit, solche Systeme einzuführen, besteht bereits. Durch die Änderung des Wiener Übereinkommens sind automatisierte Systeme zulässig, wenn sie jederzeit vom Fahrer übersteuert oder ausgeschaltet werden können. Diese Änderung wurde in Deutschland im September 2016 angenommen und durch eine Anpassung des Straßenverkehrsgesetzes 2017 in die nationale Gesetzgebung überführt. Die internationale UN-Vorschrift für die Lenkfunktionen wird gerade aktualisiert, um die konkrete technische Ausgestaltung festzulegen. Dieser Prozess dürfte allerdings frühestens 2019 abgeschlossen sein. Offen ist damit bislang noch, wie diese Systeme dann später in der Zulassung sicher und effizient geprüft werden können. Auf dem bisherigen Stand der Vorschrift werden etwa Bremssysteme und Lenkung einzeln geprüft. Ab Level 2 sind diese aber faktisch miteinander gekoppelt. Dieses Zusammenspiel von Brems-, Lenk- und Beschleunigungsfunktionen muss in die Vorschriften einfließen, um eine ganzheitliche Betrachtung automatisierter Fahrfunktionen zu ermöglichen.
Die Sensorsysteme der Fahrzeuge müssen auch beispielsweise bei strömendem Regen verlässlich funktionieren. Sind denn die Witterungsbedingungen bereits Teil eines möglichen Prüfszenarios?
Bislang ist das noch nicht der Fall. Auch wenn Hersteller solche Testszenarien berücksichtigen, müssen dem Fahrer die jeweiligen Systemgrenzen, innerhalb derer die automatisierte Funktion einwandfrei funktioniert, kommuniziert werden. Systemgrenzen beziehen sich allerdings auf mehr als nur auf Witterungsbedingungen. In jedem Fall muss aber definiert werden, wie solche Witterungsbedingungen konkret geprüft werden können. Eine Autobahnfahrt bei Schnee und Eis lässt sich ja nicht zwangsläufig unter realen Bedingungen testen – schließlich kann man die Prüfungen nicht nur auf den Winter beschränken. Hier müssen wir gegebenenfalls aussagekräftige Simulationen entwickeln, um solche Szenarien realitätsnah zu prüfen. Zudem benötigen wir geeignete Prüfgelände, auf denen sich solche Simulationen zum einen überhaupt durchführen lassen, und auf denen zum anderen die Anforderungen aus der Vorschrift erfüllt werden können.
„Der Übergang von Level 2 zu Level 3 ist ein erheblicher Sprung – vor allem durch die temporäre Verlagerung der Verantwortung vom Fahrer auf die Maschine.“
Worin bestehen weitere Herausforderungen auf dem Weg zu Level 3?
Der Übergang von Level 2 zu Level 3 ist ein erheblicher Sprung – vor allem durch die temporäre Verlagerung der Verantwortung vom Fahrer auf die Maschine. Hier muss nachvollziehbar sein, wer wann für welches Fahrmanöver verantwortlich war. Um das zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber festgelegt, dass ab Level 3 die Fahrt durch eine Blackbox im Wagen aufgezeichnet wird. Zudem muss das System in der Lage sein, die eigenen Systemgrenzen eindeutig und vorausschauend zu erkennen, um den Fahrer mit einem entsprechenden zeitlichen Vorlauf zur Übernahme aufzufordern. Diese Phase der Kontrollübergabe ist besonders kritisch. Hier muss ermittelt werden, welche Signale zur Interaktion von System und Fahrer am besten geeignet sind, damit dieser jederzeit weiß, was er zu tun hat. Die Dauer der Übergabezeiten muss ebenso noch geklärt werden wie die Tätigkeiten, denen Fahrer nachgehen dürfen, wenn sie schnell wieder ins Fahrgeschehen eingreifen sollen.
Plötzlich in einer Gefahrensituation das Steuer zu übernehmen ist ja psychologisch eine große Herausforderung. Gibt es denn hier bereits Erfahrungswerte und Studien, die belegen, ob und in welchem Zeitfenster das tatsächlich funktioniert?
Hierzu wurden Minimal- und Maximalwerte ausgewertet, die eine breite Streuung wiedergeben. Es kann bis zu 30 Sekunden dauern. Dieser Wert ist aber im Hinblick auf hohe Geschwindigkeiten und die dabei zurückgelegte Strecke nicht akzeptabel. Die Herausforderung besteht einerseits darin, dass jeder Fahrer genug Zeit haben muss, um sich in die Fahraufgabe einzufinden. Andererseits muss das System während dieser Übergabezeit weiterhin voll funktionstüchtig sein. Es muss seine Systemgrenzen also entsprechend vorausschauend erkennen, damit es mit diesem zeitlichen Vorlauf an den Fahrer übergeben kann. Weil diese Kontrollübergabe von Mensch zu Maschine eine so große Herausforderung darstellt, haben einige Hersteller angekündigt, Level 3 überspringen und direkt zu Level 4 übergehen zu wollen.
Beim voll automatisierten Fahren auf Level 4 soll das Fahrzeug auch längere Fahrtabschnitte eigenverantwortlich bewältigen – etwa die komplette Autobahnfahrt. Trotzdem muss der Fahrer im Fall der Fälle eingreifen können. Aber verliere ich als Autofahrer nicht Routine und Sicherheit, wenn die meiste Zeit die Maschine steuert?
Befürworter des automatisierten Fahrens argumentieren ja meist mit einer viel sichereren Fahrweise der Maschinen. Wenn wir aber im Gesamtsystem mögliche Unsicherheiten schaffen, weil der Fahrer nicht mehr adäquat reagieren kann und dadurch Unfälle baut, dann greift dieses Argument natürlich nicht mehr. Ein möglicher Lösungsansatz wäre die Einführung spezieller Fahrtrainings, in denen die Übergabe der Kontrolle von Maschine zu Mensch wie bei der Ausbildung von Cockpitpiloten trainiert wird.
Was bedeutet diese Entwicklung für Zulassungsnormen und Prüfverfahren, und welche Rolle kommt dabei den Prüfinstituten zu?
Wir am Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) beraten das Bundesverkehrsministerium als Teil des Sonderausschusses „Fahrerassistenzsysteme“ bei der Serienentwicklung automatisierter Fahrzeuge. Zugleich sind wir in mehrere Forschungsprojekte involviert, also autonome Shuttlebusse, wie sie etwa in der Charité in Berlin erprobt werden. Bei solchen Forschungsprojekten kann man auf der Basis nationaler Gesetzgebung einige wenige Ausnahmen zulassen, die bei Serienfahrzeugen nicht möglich wären. Aktuell wird die Zulassung dieser Projekte je nach Bundesland anders gehandhabt. In Zusammenarbeit mit einigen anderen TÜVs entwickeln wir nun eine Guideline, um die Zulassung von solchen Forschungsfahrzeugen auf nationaler Basis zu vereinheitlichen und Prüfern eine Orientierung zu geben, was sie beachten müssen.
Wie gehen Sie bei der Zulassung solcher Forschungsprojekte vor?
Das Fahrzeug muss generell der StVZO entsprechen. Neben den Fahrfunktionen schauen wir uns das Sicherheitskonzept der Fahrzeuge an und die Strecke, auf der sie eingesetzt werden sollen. Denn diese Fahrzeuge werden immer nur für eine konkrete Route zugelassen. Wenn auf einer solchen Strecke etwa mit einem starken Fußgängeraufkommen zu rechnen ist, kann man zum Beispiel Einschränkungen festlegen, dass das Fahrzeug nur für Tempo 10 freigegeben wird. In diesen Forschungsprojekten geht es ja darum, Erfahrungen zu sammeln, wie sich etwa die Sensorsysteme unterschiedlicher Hersteller bewähren und wie das Fahrzeug im Alltag überhaupt reagiert, um auf der Basis dieser Daten das System zu verbessern. Ein mögliches Sicherheitskonzept könnte die Definition eines Sicherheitstunnels sein. Wenn sich Personen oder Fahrzeuge zu weit in diese Zone hineinwagen, bleibt das Fahrzeug stehen. Auf der Autobahn könnte man das natürlich nicht machen, ohne einen Auffahrunfall zu riskieren.
„Das Ziel der Hersteller ist Level 5 – also das autonome Fahrzeug, das ohne menschlichen Eingriff völlig selbstständig agiert.“
Welche Aspekte werden in den Richtlinien für die Zulassung solcher Forschungsprojekte festgelegt?
Ein zentraler Aspekt ist etwa, dass die Verantwortung für das Fahrzeug klar geregelt ist und nur eingewiesene Sicherheitsfahrer das Fahrzeug führen dürfen. Denn ein solcher Steward muss bei diesen Fahrzeugen immer mit an Bord sein. Das besagt die Wiener Übereinkunft, die fahrerlose Fahrten bislang nicht zulässt. Das Ziel der Hersteller ist natürlich Level 5 – also das autonome Fahrzeug, das ohne menschlichen Eingriff völlig selbstständig agiert. Hier bauen wir gerade eine Kooperation auf, um gemeinsam mit Partnern eine Anforderungsermittlung zu erstellen. Also zu definieren, welche Anforderungen überhaupt erfüllt sein müssten, damit fahrerloses Fahren sicher erprobt werden kann – und ob das überhaupt möglich ist.
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ZUR PERSON
Katrin Leicht ist Maschinenbauingenieurin und Typprüferin für Fahrerassistenzsysteme am Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) von TÜV NORD. Dort beschäftigt sie sich mit automatisiertem und vernetztem Fahren und arbeitet mit ihren Kollegen an Lösungen, wie solche Systeme sicher auf die Straßen entlassen werden können.