12. Juli 2018
Im bayerischen Bad Birnbach, am Frankfurter Flughafen und auf dem EUREF-Campus in Berlin kommen sie bereits testweise zum Einsatz: autonome Busse, die ihre Ziele ohne menschlichen Fahrer ansteuern. Bahn und Verkehrsbetriebe setzen große Hoffnungen in die Automatisierung des Nahverkehrs. Die fahrerlosen Transportmittel sollen künftig höhere und flexiblere Taktfrequenzen ermöglichen und mehr Menschen zum Umstieg auf den öffentlichen Personennahverkehr bewegen. Wie das funktionieren könnte, ergründen wir im zweiten Teil der Serie Mobilität in Städten.
Die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs ist sonnengelb, sieht aus wie eine Skigondel auf Rädern, hört auf den Namen Emily und fährt ohne Lenkrad. Emily ist ein autonomer Kleinbus, Typ EZ10, des französischen Unternehmens EasyMile. Gerade wartet der putzige Elektrobus gegenüber der Solartankstelle vor dem Eingang des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) auf den nächsten Einsatz. Auf seiner Seite prangt das Logo der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG. Direkt daneben: das Logo von Ioki, einem Subunternehmen der Deutschen Bahn, das sich um neue Mobilitätsangebote jenseits der Schiene kümmert. Im Innenraum haben es sich die Fahrgäste bereits auf den sechs Sitzplätzen bequem gemacht. Dann steigt auch der Fahrbegleiter ein, in der Hand eine Joystick-Steuerung, mit der er Emily im Notfall wieder auf die Spur bringen kann. Mit einer Drehung des Schlüssels startet er den Motor, die Schiebetür schließt sich, und Emily surrt los: vorbei an hübschen Backsteinfassaden, an zahllosen Stromladesäulen, an denen Elektroautos ihre Akkus laden, und am alten Gasometer, aus dem Günther Jauch sich bis vor drei Jahren jeden Sonntag zum Polit-Talk in die Wohnzimmer meldete.
Ein wenig fühlt sich die Fahrt über den EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg wie der Trip mit einer Kleinbahn in einem Freizeitpark an. Das ist kein Wunder, erklärt Frank Hunsicker, der das Projekt als Programmleiter „Automatisiertes Fahren“ am InnoZ betreut. Denn Emily fährt auf virtuellen Schienen, ihre Route ist einprogrammiert. Unterwegs helfen GPS und Sensoren mit Laser und Radar dem Bus bei der Orientierung. Sie erzeugen ein dreidimensionales Bild der Umgebung, das dann mit der festgelegten Route abgeglichen wird. Auch das Tempo des Busses fühlt sich eher nach Freizeitunternehmung als nach Effizienz an. Mit entspannten zehn Kilometern pro Stunde zuckelt Emily über das Areal. „Wie ein sehr vorsichtiger Autofahrer“, kommentiert einer der Fahrgäste – mit Betonung auf „sehr“. Die gemütliche Fahrweise liegt neben rechtlichen Auflagen auch an der Geschwindigkeitsbeschränkung auf dem EUREF-Campus. Technisch möglich wäre für Emily ein Tempo von bis zu 45 km/h.
Die gemütliche Fahrweise liegt neben rechtlichen Auflagen auch an der Geschwindigkeitsbeschränkung auf dem EUREF-Campus.
Mit maximal 15 km/h ist auch der EasyMile-Shuttle im niederbayerischen Bad Birnbach eher gediegen unterwegs. Seit Ende Oktober 2017 verbindet er die Therme des Kurorts mit dem Ortskern und ist als erster Robotershuttle in Deutschland im öffentlichen Straßenverkehr unterwegs. Die Deutsche Bahn, die das Pilotprojekt auf die Straße gebracht hat, zog im Mai 2018 eine positive Zwischenbilanz. Seit dem Projektstart wurden 10.000 Fahrgäste rund 5.000 Kilometer unfallfrei transportiert. Im Spätsommer 2018 soll ein weiteres Fahrzeug hinzukommen und bald auch die nächste Generation der Shuttles eingesetzt werden, die etwa Steigungen besser bewältigen.
Bahn, Verkehrsbetriebe und die Forscher des InnoZ setzen große Hoffnungen in die Roboterbusse. In Kurorten wie Bad Birnbach oder in urbanen Fußgängerzonen können die kleinen, leisen und umweltfreundlichen Elektrobusse zukünftig auch dort Menschen bequem transportieren, wo bislang kein Stadtbus hingelangte. Grundsätzlich sollen die Roboterbusse das bestehende Verkehrssystem in den Städten nicht ersetzen, sondern ergänzen: Indem sie den Weg zwischen Haustür und Haltestelle verkürzen, schließen sie die Lücke der sogenannten letzten Meile. Laut Projektleiter Hunsicker soll das nicht nur Senioren und anderen, die nicht so gut zu Fuß sind, neue Mobilitätsmöglichkeiten eröffnen. Insgesamt sollen mehr und mehr Menschen dazu motiviert werden, auf Bus und Bahn umzusteigen und die Bequemlichkeit des Privatautos mit der Effizienz des Nahverkehrs zu verbinden – speziell in Stadtrandlagen, wo Busse und Bahnen seltener fahren und der Weg zur nächsten Haltestelle weiter ist. Großes Potenzial für den Einsatz der Robotershuttles sehen Experten wie Hunsicker aber insbesondere in ländlichen Regionen, in denen ein Auto heute unverzichtbar ist, um verlässlich von A nach B zu kommen. „Hier wäre es möglich, eine ganz neue Qualität der Erreichbarkeit herzustellen oder überhaupt wieder einen öffentlichen Nahverkehr anzubieten, der diesen Namen verdient“, erklärt Hunsicker. Schließlich ist der Fahrer gerade auf dem Land oftmals der größte Kostenfaktor beim Betrieb einer Buslinie.
© InnoZ/Max PowerElektrobus Emily auf dem EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg
Geht es nach Frank Hunsicker und seinen Kollegen vom InnoZ, kann man den Bus dann auch „on demand“ bestellen, ihn also einfach über eine App dorthin bestellen, wo man ihn braucht, statt sich nach festen Abfahrtszeiten und Routen richten zu müssen. Für die Fahrgäste bedeutet das mehr Flexibilität, für die Verkehrsunternehmen eine bessere Auslastung. Die entsprechende App dazu wird bereits entwickelt. Ein erster Test soll im Laufe des Sommers 2018 starten. Auch auf die Nutzung induktiver Ladetechnik wird der Roboterbus am InnoZ vorbereitet. Zu den Schichtenden oder in den Fahrpausen könnten die Fahrzeuge zum Aufladen selbstständig mit Induktionsplatten versehene Parkplätze ansteuern, wie sie zum Beispiel an der Solartankstelle vor dem Institut im Boden verbaut sind. Das spart Personal und macht den Betrieb autonomer Shuttleflotten effizienter. In naher Zukunft soll Emily auch das Privatgelände des EUREF-Campus verlassen und sich in den Berliner Stadtverkehr wagen. Die dafür erforderliche Zulassung wird vorbereitet. Zunächst nehmen technische Prüfdienste wie der TÜV dazu etwa die Betriebssicherheit und das Verkehrsverhalten des Roboterbusses unter die Lupe. Die Zulassung des Shuttles ist dabei immer an eine konkrete Route gekoppelt, auf der er unterwegs sein darf, erläutert Hunsicker das aufwendige Verfahren. Wenn die Behörden Emily ihren Segen geben, könnte der Shuttle etwa als Zubringer zum Berliner Bahnhof Südkreuz eingesetzt werden.
Auch in Hamburg sollen autonome Busse bald über öffentliche Straßen rollen.
In Finnland wurden die Busse bereits 2016 im Straßenverkehr getestet. Möglich gemacht hat das eine Lücke im finnischen Verkehrsgesetz, das Fahrer und Lenkrad nicht zwingend vorschreibt. Auch in Hamburg sollen autonome Busse bald über öffentliche Straßen rollen. Ab 2019 startet in der Hafencity ein mehrjähriger Roboterbus-Test. Aktuell wird die Infrastruktur an den Straßen aufgebaut, mit der die Shuttles dann kommunizieren können. Sensoren an Straßenlaternen verraten den autonomen Fahrzeugen präzise, was im Verkehr hinter der nächsten Ecke vorgeht. Vernetzte Ampeln melden den Roboterbussen, wann sie eine Kreuzung sicher passieren können, ohne dass ein menschlicher Fahrbegleiter eingreifen muss. Im Schweizer Ort Sitten wo Roboterbusse seit 2016 durch die Innenstadt kurven, werden solche smarten Ampelanlagen aktuell installiert. Das erhöht die Sicherheit – und damit auch das Tempo, mit dem die Shuttles schließlich unterwegs sein können. Spätestens 2021 sollen die Busse in Hamburg mit 50 km/h durch die Hafencity flitzen, plant die Hamburger Verkehrsgesellschaft Hochbahn, die das Projekt auf den Weg bringt.
Bis dahin müssen aber auch noch technische Hürden überwunden werden. Denn Shuttles, wie sie auf dem EUREF-Campus unterwegs sind, mögen nicht jede Witterung. Im Winter könnten verschneite Straßen den Sensoren die Orientierung erschweren, sagt Projektleiter Hunsicker. Das finnische Unternehmen Sensible 4 arbeitet bereits an einer Lösung. Wasser von oben mögen die Sensoren allerdings ebenfalls nicht in allen Fällen, wie die Testfahrt demonstriert. Der einsetzende Nieselregen über dem Campus stört Emily nicht im Geringsten. Doch dann öffnet der Himmel seine Schleusen, der Bus verlangsamt sein Tempo und bleibt dann stehen. Aus Sicherheitsgründen müssen wir jetzt manuell zurückfahren, und so greift der Fahrbegleiter zu seinem Joystick. So plötzlich, wie er kam, hört der Regen jedoch auf, und Emily schnurrt wieder los. „Die Technik ist schließlich noch jung und wird sich weiterentwickeln“, meint Frank Hunsicker. Die Sensorsysteme werden überarbeitet, und die autonomen Busse lernen mit jedem Test dazu. Und anders als bei menschlichen Fahrern wird Übermut oder Sekundenschlaf auch in Zukunft nicht zu ihrem Programm gehören.
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ZUR PERSON
© InnoZ
Frank Hunsicker ist Programmleiter „Automatisiertes Fahren“ am Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) in Berlin.