17. Oktober 2019
Wind und Sonne erzeugen sauberen Strom – aber Wind weht nicht immer, die Sonne scheint nicht immer, wenn man sie gerade braucht. Wollen wir künftig den Großteil unserer Energie aus den sogenannten Erneuerbaren beziehen, muss der Ökostrom also gespeichert werden. Aber welche Technologien stehen dafür zur Verfügung, wo liegen ihre Vor- und Nachteile, und wie kann die saubere Stromversorgung von morgen gesichert werden?
Der Anteil regenerativer Energien an der gesamten Stromproduktion ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. 2018 kletterte er auf knapp 38 Prozent. Im ersten Halbjahr 2019 produzierten Wind, Sonne, Wasser und Biomasse erstmals mehr Strom als Kohle und Atom zusammen – vor allem dank eines außergewöhnlich windigen Frühjahrs.
Bis 2030 sollen die Erneuerbaren 65 Prozent unseres Strombedarfs decken, 2050 sollen es dann 80 Prozent sein, so der erklärte Plan der Bundesregierung. Die große Herausforderung besteht zum einen im nötigen Ausbau von Windparks und Solaranlagen, der zurzeit ins Stocken gekommen ist. Zum anderen produzieren Windräder und Solarpanels – im Unterschied zu konventionellen Kraftwerken – ihre Energie nicht immer dort und vor allem dann, wo und wenn man sie gerade benötigt.
Damit auch nachts und bei Windflaute das Licht niemals ausgeht, muss der Ökostrom gespeichert werden. Tatsächlich gibt es bereits eine ganze Reihe von Technologien, um den Strom aufzunehmen – direkt sowie in Akkus. Oder indirekt, in Stoffen, die zu einem späteren Zeitpunkt eine Stromproduktion antreiben, zum Beispiel Wasser in Pumpspeichern, komprimierte Luft in unterirdischen Salzstöcken oder Wasserstoffgas in Drucktanks.
All diese Technologien haben Vor- und Nachteile und können jeweils eine andere Rolle bei der Stromversorgung ausfüllen. Welche Technologie für welchen Zweck am besten geeignet ist, entscheidet sich dabei an der Gretchenfrage: Wie lange soll wie viel Energie gespeichert werden?
Batteriesysteme: blitzschneller Strom (fast) ohne Verluste
Batterien beispielsweise haben von allen Speichermethoden den größten Wirkungsgrad. Sie können den Strom besonders effizient aufnehmen und wieder abgeben. Weil Batteriesysteme ihren Strom auch sehr schnell wieder ins Netz einspeisen können, werden sie heute bereits dafür eingesetzt, sogenannte Regelleistungen zu erbringen: Sinkt die Frequenz im Wechselstromnetz unter ein bestimmtes Niveau, müssen innerhalb von Sekunden neue Stromquellen aktiviert werden, um so das Netz zu stabilisieren.
Den weltweit größten Batteriespeicher hat Tesla im Süden Australiens gebaut. Der Mega-Akku mit einer Gesamtleistung von 100 Megawatt (MW) und einer Kapazität von 129 Megawattstunden (MWh) ist an einen Windpark angeschlossen und soll 30.000 Haushalte bis zu eine Stunde lang mit Strom versorgen können. Der aktuell größte Batteriespeicher Europas ging 2018 in Schleswig-Holstein ans Netz. In Jardelund, dicht an der dänischen Grenze, hat der niederländische Energieversorger Eneco gemeinsam mit dem japanischen Konzern Mitsubishi einen Speicher mit einer Leistung von 46 MW und einer Kapazität von mehr als 50 MWh installiert. Etwa 10.000 Lithium-Ionen-Batterien sind in dem Speicher verbaut – genug, um etwa 5.300 Haushalte für 24 Stunden mit Strom zu versorgen.
Der weltweit größte Batteriespeicher Süden Australiens gebaut soll 30.000 Haushalte bis zu eine Stunde lang mit Strom versorgen können.
Der Großakku wird zunächst dafür eingesetzt, Regelenergie zur Verfügung zu stellen. In einem nächsten Schritt wollen ihn die Betreiber an die Windparks der Region anschließen. Weht der Wind mal wieder stark und sind die Netze voll, müssten die Rotoren nicht abgeschaltet werden. Der Strom könnte stattdessen in der Batterie zwischengespeichert werden und ginge nicht verloren.
Weil Batterien Energie schnell aufnehmen und innerhalb von Sekunden wieder abgeben können, sind sie vor allem als kurzfristige Zwischenspeicher sinnvoll und rentabel. Doch um große Strommengen länger als einen Tag speichern, sind die Kosten von Akkus heute noch deutlich zu hoch.
Pumpspeicherkraftwerke: vom Strom zur Wasserkraft und zurück
Hier kommen Pumpspeicherkraftwerke ins Spiel – bereits seit 100 Jahren das bewährte Mittel der Wahl: Hier wird mit dem billigen Strom etwa aus nachfrageschwachen Nachtstunden Wasser bergauf in ein großes Becken gepumpt. Klettert der Strombedarf wieder nach oben, öffnet das Kraftwerk seine Schleusen. Das Wasser rauscht bergab und erzeugt über Turbinen und Generatoren elektrischen Strom, der zurück in die Netze gespeist wird. Dabei geht naturgemäß Energie verloren, aber mit einem Wirkungsgrad von 75 bis 80 Prozent sind die Pumpspeicherkraftwerke immer noch sehr effizient.
In Deutschland sind 31 Pumpspeicherkraftwerke mit einer Netto-Gesamtleistung von über 6.500 MW in Betrieb. Das größte im Thüringer Schiefergebirge bringt es allein auf eine Leistung von 1.060 MW und eine Kapazität von 8.480 MWh – also fast 66 Mal so viel wie Teslas Mega-Akku in Australien. Und wo heutigen Akkus nach 15 bis 20 Jahren die Kraft ausgeht, sind die ältesten Pumpspeicher bereits seit 100 Jahren im Betrieb.
Dafür lassen sich die Batteriespeicher überall dort aufstellen, wo sie benötigt werden, – und das innerhalb kurzer Zeit. Nach gerade mal acht Monaten war etwa der Bau der Großbatterie in Jardelund abgeschlossen. Planung und Bau von Pumpspeichern erfordern dagegen Jahre – und die passende Geografie. Es braucht einen Fluss, hohe Hänge und viel Platz für zwei große Wasserbecken. Weil sie mit massiven Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind, sind sie bei der Bevölkerung nicht immer gern gesehen.
Druckluftspeicher: Pressluft im Untergrund
Druckluftspeicher sind platzsparender und gelten technisch als nicht sonderlich anspruchsvoll. Mit überschüssigem Strom wird hier Luft in unterirdische Salzstöcke oder ehemalige Gaskavernen gepresst. Wenn der Bedarf an elektrischer Energie wieder wächst, wird die Druckluft über eine Turbine abgeleitet und dadurch Strom erzeugt. Wie die Pumpspeicherkraftwerke sind auch die Druckluftspeicher „schwarzstartfähig“. Das heißt: Sie benötigen, anders als etwa Kohlekraftwerke, keinen Strom aus dem Netz, um hochzufahren. Bei einem flächendeckenden Stromausfall können sie deshalb dabei helfen, die Energienetze wieder aufzubauen. Allerdings ist ihr Wirkungsgrad vergleichsweise gering, und sie können bislang nur in Salzstöcken installiert werden.
Weltweit sind heute nur zwei Druckluftspeicherkraftwerke am Netz. Das eine steht seit 1978 beim niedersächsischen Städtchen Elsfleth und hat eine Speicherkapazität von 1.200 MW. Das andere ging 1991 im US-Bundesstaat Alabama in Betrieb und kann 2.860 Megawattstunden Strom speichern. Der Wirkungsgrad der Gesamtanlage liegt bei 54 Prozent. Ein deutlicher Fortschritt zu den 40 Prozent des Vorgängers in Niedersachsen – gegenüber den bis zu 80 Prozent eines Pumpspeicherkraftwerks aber immer noch relativ übersichtlich.
Power to Gas: vom Windstrom zu Wasserstoff
Als vielversprechender Anwärter, regenerative Energie künftig langfristig zu speichern, gilt gegenwärtig „Power to Gas“. Die Elektrizität aus Wind, Wasser oder Sonne wird dabei in Wasserstoff umgewandelt. Dieser kann zu Teilen ins bestehende Erdgasnetz eingespeist werden oder Brennstoffzellen in Wasserstofffahrzeugen antreiben. Weiter umgewandelt in Methan oder synthetische Treibstoffe, sollen so die Turbinen von Gaskraftwerken oder die Motoren von Flugzeugen nachhaltig betrieben werden. Doch der Wirkungsgrad von Methan liegt bei gerade mal 30 Prozent. Und auch bei der Umwandlung von Strom in Wasserstoff und Wasserstoff in Strom für das Brennstoffzellenfahrzeug geht eine Menge Energie verloren. Einige Experten sprechen daher davon, dass Power to Gas vor allem dann als saisonaler Langzeitspeicher relevant wird, wenn der Anteil der Erneuerbaren auf zumindest 60 Prozent geklettert ist.
© dpaSind Power-to-Gas-Anlagen die Lösung, um Energie zu speichern?
In Deutschland gibt es heute rund ein Dutzend Anlagen, die Überschussstrom in Gas umwandeln. Die aktuell größte betreibt Autobauer Audi im Emsland. Weht der Wind um den kleinen Ort Werlte bei Cloppenburg, wandelt die Sechs-Megawatt-Anlage Strom in Wasserstoff und anschließend in Methan um. Ein Konsortium aus den Netzbetreibern Gasunie, TenneT und Thyssengas will nun in neue Dimensionen vorstoßen und im Norden Niedersachsens eine Power-to-Gas-Anlage mit einer Leistung von 100 Megawatt installieren. Mit der 17-fachen Leistung der Audi-Anlage könnte „Element Eins“ immerhin eine Kleinstadt mit Strom versorgen. Energiewende im großen Industriemaßstab ist das immer noch nicht. Und auch wirtschaftlich kann das Windgas noch nicht mit dem herkömmlichen „schmutzigen“ Wasserstoff aus der Erdgas-Reformierung mithalten. Die Unternehmen halten das Projekt dennoch für enorm wichtig, um mit dieser Technologie Erfahrungen zu sammeln.
In diesem Sinne will auch Hamburg in die Zukunft investieren. Im Hafen der Hansestadt soll eine Power-to-Gas-Anlage mit ebenfalls 100 Megawatt entstehen, wie Wirtschaftssenator Michael Westhagemann Anfang September ankündigte. Möglich werden soll der Bau durch Fördermittel vom Bund und der EU, Hamburg will die notwendige Fläche bereitstellen. Noch in diesem Jahr soll die finale Entscheidung über das Vorhaben fallen.
Kein Energiespeicher für alle Zwecke
Klar ist schon heute: Der optimale Energiespeicher für alle Zwecke ist gegenwärtig nicht in Sicht. Um den erforderlichen Speicherbedarf zu decken, müssen die einzelnen Technologien weiterentwickelt und intelligent miteinander vernetzt werden, argumentieren Experten wie Silvio Konrad von TÜV NORD. „Um eine flächendeckende Versorgung mit sauberem Strom zu realisieren, muss das Konzept der Energiespeicherung optimiert und ganzheitlich gestaltet werden“, sagt Konrad, der im Industrie Service von TÜV NORD für den Energiesektor zuständig ist.
„Um eine flächendeckende Versorgung mit sauberem Strom zu realisieren, muss das Konzept der Energiespeicherung optimiert und ganzheitlich gestaltet werden.“
Diese ganzheitliche Gestaltung steht und fällt für den Experten mit einem konsequenten Aufbau des Smart Grid, des intelligenten Stromnetzes, das Erzeugung, Speicherung und Verbrauch bestmöglich aufeinander abstimmen soll. Kommunikatives Kernstück dieser klugen Netze sind die sogenannten Smart Meter – intelligente Stromzähler, die den Versorgern in Echtzeit melden können, wie viel Strom welcher Verbraucher gerade benötigt. „Hier müssen wir Konzepte entwickeln, um durch gezielte Digitalisierung, den Einsatz von Sensorik und auch von künstlicher Intelligenz Steuerungs- und Regelmechanismen aufzusetzen, die eine Optimierung des Gesamtsystems ermöglichen“, so Konrad. Der dazu erforderliche flächendeckende Rollout der Smart Meter Gateways lässt noch auf sich warten. Und die Investition in Stromspeicher wird aus Konrads Sicht wirtschaftlich noch immer ausgebremst.
Denn die Betreiber von Stromspeichern müssen aktuell doppelt zahlen. Einmal, wenn sie den Strom aus dem Netz einspeichern, und erneut, wenn sie ihn wieder ins Netz zurückleiten. „Speichertechnologien werden dadurch übermäßig belastet und unwirtschaftlich gemacht. Hier muss die Politik eindeutigere Handlungs- und Rahmenbedingungen schaffen, um Speichertechnologien als zentralen Teil der Energiewende tatsächlich zu fördern“, mahnt Konrad. Eine Forderung, die von zahlreichen Experten und auch den Energieverbänden geteilt wird und auf die die Bundesregierung nun in einem ersten Schritt reagiert hat: Energiespeicher sollen künftig von Abgaben und Umlagen befreit werden, das sieht das Ende September vorgestellte Klimapaket vor.
Flaute in der Windbranche
Momentan steht allerdings zu befürchten, dass es für heutige und künftige Stromspeicher gar nicht genug Ökostrom zu speichern geben wird. Denn der Ausbau der Windkraftanlagen ist aktuell nahezu eingebrochen. Im ersten Halbjahr 2019 wurden gerade mal 86 Anlagen mit einer Bruttoleistung von 287 Megawatt errichtet – rund 80 Prozent weniger als im Vorjahr und so wenig wie noch nie seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000. Bestenfalls werden für das Gesamtjahr insgesamt maximal 1.500 Megawatt erwartet. Um bis 2030 die von der Bundesregierung anvisierten 65 Prozent Ökostrom zu erreichen, müssten aber an Land jährlich 4.700 Megawatt ausgebaut werden, wie der Bundesverband Windenergie (BWE) berechnet hat.
Hauptgründe für den Einbruch sind aus Sicht von Verbänden und Experten fehlende Flächen, langwierige Genehmigungsverfahren und Klagen gegen weitere Windräder. Nach Angaben des BWE stecken rund 11.000 Megawatt in Genehmigungsverfahren fest – das ist fast doppelt so viel, wie das größte Kohlekraftwerk der Welt produzieren kann. Weitere 4.000 Megawatt stehen auf der Kippe, weil die Anlagen nach Auffassung der Flugsicherung Bodennavigationsanlagen im Flugverkehr beeinträchtigen könnten. Gegen 800 Megawatt bereits erteilter Genehmigungen laufen Klagen von Anwohnern oder Umweltschützern. Silvio Konrad sieht hier dringenden Handlungsbedarf: Wie bereits beim Ausbau des Verkehrswegenetzes müsse die Politik die Genehmigungsverfahren vereinfachen, verkürzen und die Einspruchsmöglichkeit vor Ort reduzieren: „Wir können den erneuerbaren Energien nicht einerseits die Vorfahrt vor konventionellen Stromerzeugern erteilen und andererseits zulassen, dass sie in der Planung und Genehmigung ausgebremst werden.“
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ZUR PERSON
© TÜV NORD
Silvio Konrad ist Geschäftsführer von TÜV NORD Systems und verantwortet Marketing und strategischen Vertrieb. Im Industrie Service von TÜV NORD ist er zuständig für den Energiesektor.