08. August 2019
Ein eigenes Auto ist bequem. Doch wenn man es überwiegend alleine nutzt, ist das weder gut für den Verkehr noch gut für die Umwelt. Mit Bus und Bahn, Carsharing und Mietfahrrädern gibt es bereits diverse Alternativen, aber meist findet man jede in einer anderen App und an unterschiedlichen Stellen. Multimodale Dienste wie Switchh in Hamburg oder Jelbi in Berlin wollen diese Angebote verknüpfen, um die Flexibilität des Individualverkehrs mit der Effizienz der öffentlichen Verkehrsmittel zu verbinden.
Einsteigen, losfahren, aussteigen, ankommen – nichts scheint so flexibel wie das eigene Auto, um komfortabel von A nach B zu kommen. Was man allerdings gerne vergisst: Ein Parkplatz vor der eigenen Haustür ist nicht immer leicht zu finden. Und hat man sich durch den zähen Stadtverkehr zum Zielort vorgearbeitet, muss man oft erst einmal länger um den Block kurven, bis man den Wagen abstellen kann. Wirklich ausgelastet sind unsere Fahrzeuge zudem eher selten: Untersuchungen haben ergeben, dass in einem privaten Pkw durchschnittlich gerade mal 1,5 Personen sitzen. Die meiste Zeit fährt das Auto also halb leer oder steht ungenutzt auf öffentlichen oder privaten Parkplätzen – und zwar im Schnitt 23 Stunden am Tag, wie eine Erhebung des Beratungsunternehmens Roland Berger ermittelt hat.
Alle Alternativen sind schon da
Alternativen zum eigenen Pkw gibt es zumindest in den Städten mittlerweile an jeder Ecke. Prinzipiell ist es für viele Stadtbewohner kein Problem, bereits heute multimodal unterwegs zu sein, also jeden Weg mit dem jeweils passenden Gefährt zu bewältigen: mit Bus und Bahn ins Büro, mit dem Carsharing-Auto zum Wochenendeinkauf oder am Sonntag raus ins Grüne, mit dem E-Roller flott durch die Stadt und mit dem Mietfahrrad die letzten Meter zum Ziel. Aber die per App buchbaren Autos, Fahrräder, Elektroroller und neuerdings auch E-Scooter findet man meistens an einer anderen Stelle und fast nie in derselben App. Wer das gesamte Angebot ausschöpfen will, muss ständig zwischen unterschiedlichen Anbietern und ihren Apps jonglieren – statt einfach das schnellste, bequemste oder passendste Fahrzeug für die jeweilige Strecke zu finden.
© Marc CarrenaParkplatz vor der Tür: Wer aus dem Carsharing-Auto in die Bahn umsteigen will oder von der Bahn ins Auto, muss nicht lange suchen.
Das Potenzial der geteilten Mobilität scheint jedenfalls groß: Je nach örtlichen Verhältnissen könnten Carsharing-Wagen zwischen drei und zehn private Fahrzeuge ersetzen, wie das Umweltbundesamt berechnet hat. Im dicht besiedelten Herz der Großstädte könne die Ersatzquote sogar deutlich über zehn Fahrzeugen liegen, so die Behörde. Das gilt allerdings nur für stationsbasierte Angebote, bei denen man die Autos auf einem Parkplatz abholt und anschließend dort wieder abstellt. Bei den beliebten und praktischen Free-Floating-Diensten, deren Mietwagen man an jeder Ecke finden und parken kann, sieht die Sache Studien zufolge etwas anders aus. Damit diese den Verkehr und die Umwelt tatsächlich entlasten, müssen sie laut Umweltbundesamt als „Mobilitätsbaustein sinnvoll mit dem ÖPNV und anderen Mobilitätsbausteinen wie beispielsweise Bikesharing“ verknüpft werden.
Switchh: Von der U-Bahn aufs Mietrad
Genau diese Vernetzung von Bahn, Bus und Sharing-Gefährten versucht die Hochbahn in Hamburg seit 2013 anzuschieben. Die Idee hinter ihrem Konzept Switchh: Damit Menschen bequem von der Bahn aufs Carsharing-Auto oder Leihfahrrad wechseln können, braucht es möglichst kurze Wege. 2013 wurde an der U-Bahn-Haltestelle Berliner Tor die erste Switchh-Station eröffnet, mit acht Parkplätzen für Carsharing-Fahrzeuge und einer StadtRAD-Sammelstelle in unmittelbarer Nähe. Mittlerweile gibt es über 60 Stationen überall in der Hansestadt, an denen man in die Mietwagen der Switchh-Partner car2go, DriveNow und Cambio einsteigen kann. Bis zu 100 Stationen sollen es schließlich werden.
© Marc CarrenaRauf aufs Rad: Vor U-Bahn-Stationen stehen Mietfahrräder für die letzte Meile nach Hause oder ins Büro.
Seit Ende 2017 geht die Hochbahn auch direkt in die Viertel, um dicht vor den Haustüren der Nutzer dezentrale Switchh-Punkte zu installieren. Eine naheliegende Idee: Wer den nächsten Carsharing-Parkplatz in fußläufiger Nähe weiß und morgens sein Mietfahrzeug dort finden oder abends parken kann, lässt das eigene Auto eher stehen. Oder schafft es gleich vollständig ab. Die Switchh-Stationen mit ihren türkisgrünen Parkplätzen sollen die Alternativen zum eigenen Auto nicht nur komfortabler und unkomplizierter, sondern auch sichtbarer machen. Auf diese Weise sollen möglichst viele Menschen jeden Alters auf die neuen Mobilitätsmöglichkeiten aufmerksam gemacht werden, wie Hochbahn-Sprecherin Constanze Dinse erklärt.
© Marc CarrenaSchön grün: Die farbigen Parkplätze der Switchh-Stationen sollen auch die Sichtbarkeit der alternativen Mobilitätsmöglichkeiten erhöhen.
Auf dem Weg zur App für alles
Nutzen lassen sich die Angebote ganz normal über die Apps der Anbieter und zusätzlich über das Switchh-Abo der Hochbahn. Für rund neun Euro im Monat gibt es dabei je 20 Freiminuten bei car2go und DriveNow in Hamburg. Gelegenheits-Sharer wie Geschäftsreisende oder Touristen lassen sich damit zwar nicht abholen, doch für ortsansässige Vielfahrer ist das durchaus sinnvoll. Sie können sich auf einer Echtzeitkarte in der App des Hamburger Verkehrsverbunds HVV anzeigen lassen, wo das nächste Auto oder Fahrrad der Switchh-Partner steht. Einen Routenplaner für den Weg mit den Sharing-Gefährten zum eigenen Ziel enthält die App allerdings noch nicht. Und zum Reservieren und Buchen wird man auf die App des jeweiligen Anbieters weitergeleitet, die man also ebenfalls auf dem Smartphone installiert haben muss.
© Marc CarrenaDas Ziel: alle Sharing-Angebote in einer App.
Um die Verkehrsangebote künftig digital optimal zu verknüpfen, will die Hochbahn bis Ende des Jahres mit einer eigenen App an den Start gehen. Über die sollen sich dann die unterschiedlichen mobilen Angebote finden, reservieren, buchen und bezahlen lassen. Welche Anbieter zum Start dabei sein werden, lässt das Verkehrsunternehmen bislang noch offen. Man sei im Gespräch mit den bisherigen Partnern, aber auch anderen Mobilitätsanbietern in der Hansestadt – darunter der Ridesharing-Dienst Moia, der seit Mitte April in Hamburg unterwegs ist.
Vorbild Vilnius
In der litauischen Hauptstadt Vilnius kann man bereits seit September 2017 mit einer App für alles durch die Straßen fahren. Busse, Mietfahrräder, Carsharing-Autos oder Uber-Fahrzeuge können über die Trafi-App gesucht und gebucht werden. Neben den aktuellen Positionen der Verkehrsmittel fließen diverse Echtzeitdaten in Trafi ein: Angaben zu Staus, Baustellen und zum Wetter. Bei winterlichen Minusgraden versucht die App zum Beispiel Fußwege zu minimieren. Auch persönliche Vorlieben der Nutzer werden berücksichtigt – ob man beispielsweise möglichst günstig, mit wenigen Umstiegen oder mit viel Bewegung ans Ziel kommen will. Die anonymisierten Bewegungsdaten, die dabei entstehen, nutzt die Stadtverwaltung, um die Verkehrsplanung zu verbessern. Inzwischen gibt es die Trafi-App auch anderswo, etwa in Estland, Lettland, Taiwan oder Spanien. Und auch in Berlin.
Mit Jelbi durch Berlin
Für die Berliner BVG haben die Experten von Trafi die Jelbi-App entwickelt, die im Juni in die Testphase ging. Will man zum Beispiel von Kreuzberg zum Alexanderplatz, zeigt die App, wie lange man mit welchem Verkehrsmittel für den Weg benötigt und was das jeweils kostet. Gebucht und bezahlt werden alle Angebote mit einem Klick über die App. Dafür muss man sich vorab nur ein einziges Mal registrieren und seinen Führerschein prüfen lassen – statt wie bislang bei jedem einzelnen Anbieter ein Konto einzurichten. Für BVG-Chefin Sigrid Nikutta bedeutet die App als digitale Variante des Einheitsfahrscheins, mit dem die Verkehrsbetriebe 1929 die öffentlichen Verkehrsmittel der Hauptstadt in einem Ticket zusammenführten, eine echte „Zeitenwende“. „Mit Jelbi sind wir ein zentraler Teil der Mobilitätswende, indem wir unseren herausragenden Nahverkehr mit Bussen und Bahnen um ein weiteres Element ergänzen“, so die BVG-Chefin zur Eröffnung der zweiten Jelbi-Station in Prenzlauer Berg.
© JelbiAlles in einer App: In der Jelbi-App kann man Preis und Fahrzeit der Verkehrsmittel vergleichen und sie mit einem Klick buchen.
Denn auch die BVG setzt wie die Hochbahn in Hamburg neben der digitalen Vernetzung auf die analoge Verknüpfung der Transportmittel. Im April wurde der erste „Mobilitäts-Hub“ in Kreuzberg eröffnet, an dem man aus der Bahn auf Sharing-Autos, Mieträder oder Elektroroller umsteigen kann. Zum Start der App folgte die nächste Station in Prenzlauer Berg, weitere Mobilitäts-Hubs sind in Charlottenburg und in Friedrichshain geplant.
25 Mobilitätsanbieter wollen dabei sein
Damit das multimodale Angebot erfolgreich sein kann und die App tatsächlich „eine für alle“ wird, wie der Slogan von Jelbi verspricht, müssen möglichst viele Anbieter mitmachen. Zum Start der Testphase können Nutzer neben Bus und Bahn nur auf die Carsharing-Autos von Miles, die Leihräder von Nextbike und die Elektroroller von Emmy zugreifen. Noch im Sommer wird der Ridesharing-Dienst BerlKönig folgen, den die BVG gemeinsam mit ViaVan betreibt. Im Anschluss sollen auch Taxi Berlin und die E-Scooter von Tier in die Jelbi-App integriert werden.
© JelbiAnaloge Ergänzung: Auch Berlin setzt neben der digitalen Vernetzung auf konkrete Mobilitätsstationen, um den Umstieg zu erleichtern.
Carsharing-Marktführer ShareNow, das neue Gemeinschaftsunternehmen aus Daimlers car2go und DriveNow von BMW, ist mit seinen 2.500 Fahrzeugen nicht dabei. Gespräche über eine mögliche Kooperation wurden nach Medienberichten vertagt. Doch das Wachstum und die Attraktivität des Angebots sieht die BVG dadurch nicht gefährdet. Insgesamt 25 Mobilitätspartner hätten bereits Interesse angemeldet, in die App integriert zu werden. So warten etwa noch die Räder von Donkey Republic, Jump, Lime und Mobike sowie die Carsharing-Fahrzeuge von Cambio, Greenwheels, Flinkster, Mobileeee, Stadtmobil und Ubeeqo darauf, in die App aufgenommen zu werden. CleverShuttle, der andere Ridesharing-Dienst in Berlin, will künftig ebenfalls dabei sein.
Lernen für die Verkehrsinfrastruktur von morgen
Wie in Vilnius will auch die BVG die anonymisierten Bewegungsdaten nutzen, um besser zu verstehen, wie sich die Berliner mit welchen Mitteln bewegen. Die Software der App analysiert, welche Strecken besonders häufig befahren werden und wie oft Reisende tatsächlich von Bus oder S-Bahn auf ein Leihfahrrad oder einen E-Scooter umsteigen. Das könne den Stadt- und Verkehrsplanern wichtige Hinweise für den Bau und die Planung der Infrastruktur in der Stadt liefern, so die BVG.
Bevor es aber an den Umbau der Verkehrsinfrastruktur geht, soll zunächst die App um weitere Funktionen ergänzt werden. Wie heute schon in Vilnius soll es bald auch in Berlin möglich sein, verschiedene Verkehrsmittel auf einer Strecke intramodal zu kombinieren, also den E-Scooter für den Weg zur U-Bahn und das Leihfahrrad für die Strecke von der Haltestelle zum Ziel mit einem Klick zu buchen. So werden die alten und die neuen Verkehrsmöglichkeiten auf allen Ebenen miteinander vernetzt.