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Klimawandel

Methan: Der extreme Zwilling von CO2

Wie Methan entsteht und warum wir es in den Griff bekommen müssen.

20. Mai 2021

Es entweicht aus Reisfeldern, Rindermägen und beim Abbau von Kohle: Methan. Das hoch entzündliche Gas steht in der Debatte um die Klimaerwärmung nicht an erster Stelle. Dabei ist es erheblich klimaschädlicher als CO2 – und hat in den vergangenen Jahren einen neuen Höchststand in der Atmosphäre erreicht.

Unter den Klimagasen ist Methan der übergewichtige Schwergewichtsboxer: hält nicht lange durch, langt aber verdammt hart zu. Der Anteil von Methan, chemisch ausgedrückt CH4, an der Erderwärmung liegt deutlich unter dem von Kohlendioxid. Und anders als CO2 wird es in neun bis 15 Jahren abgebaut – richtet aber 28-mal so viel Schaden an. Umso beunruhigender, dass die Methan-Menge in der Atmosphäre im vergangenen Jahrzehnt deutlich gestiegen ist.

Methan entsteht immer dann, wenn biologisches Material unter Luftabschluss zersetzt wird: etwa in Feuchtgebieten wie Sümpfen oder Reisfeldern, im Magen von Kühen, Schafen und Ziegen, in Mülldeponien und bei der Förderung von Kohle und Erdgas. Die fossilen Brennstoffe wurden schließlich vor Millionen von Jahren in Sümpfen und Meeren auf diese Weise aus Pflanzen oder Kleinlebewesen gebildet. Erdgas besteht fast vollständig aus dem farb- und geruchlosen Methan.

 

Bedrohlicher Bestwert

Wie CO2 ist Methan ein natürlicher Bestandteil der Atmosphäre – wenn auch in deutlich geringerer Dosis. Und wie beim Kohlendioxid begann seine klimaschädliche Karriere mit der Industrialisierung. Die Nutzung fossiler Brennstoffe und die Intensivierung der Landwirtschaft trieben die Methan-Emissionen kontinuierlich in die Höhe. Über die Hälfte des Methans in der Atmosphäre ist mittlerweile menschengemacht. Anfang der 2000er-Jahre stabilisierten sich die CH4-Werte allmählich. Doch seit 2007 verzeichnen Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wieder einen deutlichen Anstieg.

Hochrechnungen zufolge gingen 2017 knapp 600 Millionen Tonnen Methan in die Luft, mehr als die Hälfte davon durch Aktivitäten des Menschen. Ein Trend, der sich auch 2018 und 2019 fortsetzte, wie eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern um Rob Jackson von der kalifornischen Stanford University in zwei Studien ermittelt hat. Gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2006 habe sich der jährliche Ausstoß um rund 50 Millionen Tonnen erhöht. Das entspricht einem Zuwachs von neun Prozent. Die Konzentration von Methan in der Luft sei heute rund 2,5-mal  so hoch wie vor der Industrialisierung. Das heißt: höher als je zuvor in den letzten 650.000 Jahren.

 

Klimaziele in Gefahr

Wenn der Methan-Ausstoß nicht deutlich reduziert wird, sei das Ziel der Pariser Klimakonferenz von einem geringeren Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur um nur 1,5 bis zwei Grad kaum zu erreichen, warnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Stattdessen könnte die pessimistische Prognose des Weltklimarats zum Klimawandel Wirklichkeit werden, die von einer Erhöhung der Temperatur um drei bis vier Grad bis zum Ende des Jahrhunderts ausgeht. Während sich die Methan-Emissionen aus Feuchtgebieten, Vulkanen und anderen natürlichen Quellen seit 2007 wenig verändert hätten, habe sich der menschengemachte Ausstoß deutlich erhöht. Verantwortlich dafür seien laut den Autorinnen und Autoren in erster Linie die Nutzung fossiler Brennstoffe, Viehzucht, Reisanbau, Mülldeponien, Industrie und Verkehr. Drei Weltregionen verzeichneten dabei einen besonders starken Anstieg: Afrika und der Nahe Osten, China und Südasien sowie Ozeanien. Hauptfaktoren sind hier vor allem die Landwirtschaft und die Verwendung fossiler Energieträger. Diese haben auch in den USA die Emissionen signifikant wachsen lassen. Vor allem die Förderung und der Transport von Erdgas sorgen in den Vereinigten Staaten für einen jährlichen Zuwachs von 4,5 Millionen Tonnen Methan. Europa ist die einzige Weltregion, deren Methan-Ausstoß im Untersuchungszeitraum leicht gesunken ist. „Richtlinien und ein besseres Management haben die Emissionen aus Deponien, Gülle und anderen Quellen hier in Europa reduziert“, erklärte Co-Autorin Marielle Saunois von der französischen Université de Versailles Saint-Quentin-en-Yvelines gegenüber der dpa. Außerdem äßen die Europäerinnen und Europäer mittlerweile weniger Rindfleisch und mehr Geflügel und Fisch. Immerhin: Einen Anstieg von Methan-Emissionen durch das Auftauen von Permafrostböden konnten die Forscherinnen und Forscher noch nicht feststellen. Doch das dürfte sich bei wachsender Erderwärmung ändern: Die Böden in Sibirien und Nordamerika speichern gewaltige Mengen Kohlenstoff, der beim Auftauen als Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre entweichen würde. Ihr Auftauen gilt als sogenannter Kipppunkt, als ein Ereignis, das eine Klimakettenreaktion auslöst, die vom Menschen nicht mehr gestoppt werden kann.

Kurzlebigkeit als Chance

Der Mischung aus massiver Klimawirkung und relativer Kurzlebigkeit des Methans hat aus Sicht der Forscherinnen und Forscher aber auch einen großen Vorteil. Da es innerhalb einer Dekade in der Atmosphäre abgebaut wird, könnte eine Verringerung der menschengemachten Emissionen schnell Wirkung zeigen. Durch einen strategischen Einsatz heutiger Technologien könnte der Methan-Ausstoß bis 2030 um die Hälfte reduziert werden, haben US-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler um die Klimaforscherin Ilissa Ocko errechnet. Eine unmittelbare Umsetzung geeigneter Maßnahmen würde die Erwärmung der Erde um 30 Prozent verlangsamen. Dazu zählt die Gruppe beispielsweise die Eindämmung von Gas- und Öllecks, das Fluten stillgelegter Kohleminen, temporäre statt dauerhafte Bewässerung von Reisfeldern, die Vergärung von Gülle in Biogasanlagen, methanmindernde Futterzusätze für Rinder und konsequente Mülltrennung, bei der möglichst keine organischen Abfälle mehr auf der Halde landen. Der schnelle Einsatz solcher Methoden könnte den Forscherinnen und Forschern zufolge bis Mitte des Jahrhunderts eine Erwärmung von fast einem Viertel Grad verhindern. Bis Ende des Jahrhunderts könnte es mehr als ein halbes Grad sein. Langsame Maßnahmen dürften im Gegenzug bis 2050 einen zusätzlichen Temperaturanstieg um 0,1 Grad verursachen. Warten wir bis zur Jahrhundertmitte, könnte sich das Klima bis dahin zusätzlich um ein Fünftel Grad erwärmen. Das klingt wenig, wäre angesichts des 1,5-Grad-Ziels aber deutlich mehr als der berüchtigte Tropfen im ohnehin schon vollen Fass.

 

Was passiert politisch?

US-Präsident Joe Biden hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, den Fokus auf die Methan-Reduktion zu legen. Die Corona-Pandemie hat eine Pleitewelle in der US-Öl- und Gasindustrie ausgelöst – zurück blieben verwaiste und teils schlecht gesicherte Förderstellen. Doch schon vor der Krise, so schätzte die damalige Regierung in Washington, wurde an mehr als drei Millionen Quellen kein Öl oder Gas mehr gefördert. Fast zwei Millionen davon seien nicht sicher verschlossen. Dadurch würde eine Methan-Menge austreten, die den Abgasen von 1,5 Millionen Autos entspricht. Die Trump-Administration hatte noch im letzten Jahr Auflagen gekippt, die Unternehmen zur Abdichtung ihrer Lecks verpflichten. Die Demokraten haben diese Änderungen nun rückgängig gemacht. Biden will in einem nächsten Schritt Geld in die Infrastruktur der Erdgasförderung stecken, um Leckagen zu vermeiden und verlassene Öl- und Gasquellen abzudichten. Das ursprünglich angedachte landesweite Fracking-Verbot ist mittlerweile aber vom Tisch. Stattdessen will Biden nur keine neuen Genehmigungen für Förderstellen auf Staatsgelände zulassen.

 

Europäische Methan-Strategie

Auch die EU hat im Rahmen ihres Green Deal eine Strategie vorgelegt, um die Methan-Emissionen zu drosseln. Methan mache in Europa zehn Prozent aller Treibhausgasemissionen aus, über die Hälfte davon entfalle auf die Landwirtschaft. Zwar entstehen nur fünf Prozent der globalen Emissionen in der EU – zugleich ist sie der weltgrößte Importeur von Erdgas. Und der größte Teil des bei Förderung und Transport entweichenden Methans geht in die Atmosphäre, bevor das Erdgas Europa erreicht. Die Methan-Strategie soll daher einerseits die Emissionen in der EU bis 2030 um 35 bis 37 Prozent gegenüber 2005 senken und zugleich den Ausstoß in den Lieferländern mindern. Im Energiesektor soll es dazu eine „Verpflichtung zur besseren Erkennung und Reparatur von Leckagen in der Gasinfrastruktur“ geben. Auch Vorschriften, die das routinemäßige Abfackeln und Ablassen von Erdgas beschränken, werde man in Erwägung ziehen. Frühestens 2021 will die EU-Kommission hierzu erste Gesetzesinitiativen vorlegen. Darauf aufbauend will die EU mögliche Zielvorgaben zur Reduzierung von Methan-Emissionen aus Erdgas, Kohle und Erdöl prüfen, die in Europa verbraucht oder importiert werden. In der Müllwirtschaft soll die Entsorgung biologischer Abfälle auf ein Minimum reduziert und das methanhaltige Deponiegas verstärkt für die Energiegewinnung genutzt werden. Und um die Emissionen der Landwirtschaft zu reduzieren, soll etwa Gülle verstärkt in Biogas umgewandelt werden, außerdem sollen andere Futtermittel zum Einsatz kommen. An methanmindernden Nahrungsergänzungsmitteln für Rinder und andere Wiederkäuer wird weltweit geforscht. Als vielversprechend gelten zum Beispiel Zusätze aus Rotalgen, Knoblauch und Bitterorangen. Für Umweltverbände wie das Europäische Umweltbüro greifen die Ansätze der EU für die Landwirtschaft zu kurz. Sie fordern stattdessen konkrete Maßgaben auf Bauernhofebene: Einerseits gelte es, die Minderungspotenziale bestehender Technologien und Methoden voll auszuschöpfen. Andererseits müssten wir parallel auch die Produktion und den Konsum von Fleisch- und Milchprodukten reduzieren, um unsere Methan-Emissionen nachhaltig zu senken.