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Nachhaltigkeit

Kreislaufwirtschaft statt Wegwerfgesellschaft

Wie wir uns von der Wegwerfgesellschaft verabschieden können.

25. März 2021

Kaffeekapseln aus nachwachsenden Rohstoffen, Einweggeschirr aus Pflanzenabfällen, Elektroauto-Batterien mit Rohstoffen aus ausgemusterten Akkus – immer mehr Unternehmen wollen weg vom Müll. Auch politisch wird die sogenannte Kreislaufwirtschaft immer größer geschrieben. In Frankreich sollen Einwegprodukte aus Plastik künftig der Vergangenheit angehören, und die Reparatur soll einen zweiten Frühling feiern.

Seit dem Anbruch der industriellen Revolution läuft die Wirtschaft in erster Linie linear: Produkte, Verpackungen und Lebensmittel werden unter großem Energieaufwand hergestellt und landen nach einer oft nicht allzu langen Lebenszeit auf der Deponie. Das EU-Parlament will die Mechanismen der Wegwerfgesellschaft durch eine immer lückenlosere Kreislaufwirtschaft ersetzen. Bestehende Materialien und Produkte sollen so lange wie möglich genutzt, geteilt, repariert, wiederverwendet, aufbereitet und erst als letzte Maßnahme recycelt werden. 2018 hat die EU neue Ziele verabschiedet, um Wiederverwendung und Recycling zu fördern, Verpackungsabfälle zu verringern und die Mengen an Müll, die noch auf die Halde wandern dürfen, zu reduzieren.

Dabei haben es die Staaten Europas in ihren Anstrengungen unterschiedlich weit gebracht. Deutschland hat bereits 1994 die Kreislaufwirtschaft als Ziel gesetzlich festgeschrieben. Der Schwerpunkt lag vor allem auf Energieeffizienz und Recycling, wobei die BRD hier nach wie vor vorne mitsammelt. Besonders gut geht es mit dem Recycling von PET-Flaschen voran, angeschoben durch das 2006 eingeführte Einwegpfand. 93 Prozent aller Plastikflaschen wurden 2019 recycelt, wie eine Studie der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) ergab. Erfreulich im Sinne des Kreislaufprinzips: Fast 38 Prozent des recycelten Materials werden zu neuen Plastikflaschen – fünf Prozent mehr als noch 2017. Im Durchschnitt besteht der Studie zufolge jede PET-Flasche in Deutschland zu knapp 30 Prozent aus recyceltem Material. 2017 waren es noch 26 Prozent. Damit werden die EU-Richtlinien für das Jahr 2030 bereits heute erfüllt.

 

„Gesetz gegen Verschwendung“

Beim Recycling von Verpackungsmüll aus Kunststoff lag Deutschland 2018 über dem EU-Durchschnitt von 41,5 Prozent. Spitzenreiter Litauen kommt allerdings auf 69 Prozent, Schlusslicht Malta hingegen gerade einmal auf 19,2 Prozent. Auf dem vorletzten Platz landete Frankreich mit rund 27 Prozent. Die Grande Nation will nun in den kommenden Jahren die Recyclingquoten deutlich steigern. Und zugleich bei der Müllvermeidung neue Maßstäbe setzen.

Seit 2016 müssen französische Supermärkte unverkaufte Lebensmittel spenden. Das 2020 verabschiedete Gesetz gegen Verschwendung („loi anti-gaspillage“) soll nun das Abfallaufkommen im Land drastisch reduzieren und die Kreislaufwirtschaft voranbringen: Einweg-Plastikartikel werden sukzessive verboten, Abfallvermeidung und Wiederverwendung gefördert, und die Produktion von umweltfreundlichen Produkten wird durch ein Bonus-Malus-System angeschoben.

Einweggeschirr aus Plastik darf in Frankreich bereits seit 2020 nicht mehr verkauft werden, Wasserflaschen aus Plastik sind seitdem in Schulkantinen tabu. Zum Beginn dieses Jahres wurden auch Messer, Gabeln, Kaffeebecherdeckel und Konfetti aus Kunststoff aus Supermärkten und Cafés verbannt. Mit diesen Regelungen geht Frankreich teilweise über eine EU-Richtlinie hinaus, die Strohhalme, Wattestäbchen, Rührstäbchen, Teller und Besteck aus Plastik, aber auch Lebensmittelbehälter aus Styropor ab diesem Sommer verbietet. Die französische Regierung hat aber nicht nur den Plastikmüll im Blick: Kleidung und Hygieneartikel, die keine Käufer finden, dürfen ab 2022 nicht mehr vernichtet werden. Sie müssen gespendet oder recycelt werden. Ab 2023 werden Kassenzettel für kleine Summen abgeschafft, außer Kunden verlangen ausdrücklich nach einem Bon.

Auch sollen Verbraucher in Frankreich künftig besser über die Umweltfreundlichkeit bestimmter Produkte informiert werden. Seit Anfang 2021 müssen die Hersteller von Elektrogeräten ihre Waschmaschinen, Smartphones, Laptops oder Fernseher mit einem Reparatur-Index versehen. Käufer können so auf einen Blick erkennen, wie gut oder schlecht das jeweilige Gerät repariert werden kann. Damit will die Regierung verhindern, dass wie bisher 60 Prozent der Geräte mit einem Defekt auf dem Müll landen.

 

Zurück zur Wiege: Cradle to Cradle

Die Kreislaufwirtschaft wird aber natürlich nicht nur von politischer Seite vorangetrieben. BMW beispielsweise hat unlängst angekündigt, seine Autoproduktion umweltfreundlich umzubauen. Recycling soll künftig bereits beim Design der Fahrzeuge mitgedacht werden. Um den Rohstoffverbrauch zu verringern, visiert der Autobauer einen Paradigmenwechsel an: Sekundärmaterialien wie recycelter Stahl, Kunststoff oder recyceltes Aluminium sollen bevorzugt verwendet werden, soweit es die Qualitätsanforderungen zulassen. Auf diese Weise wollen die Bayern das „grünste Elektroauto“ der Welt produzieren.

Aber auch diverse Umweltverbände und Initiativen werben für den umweltfreundlichen Zirkelschluss. Einer besonders konsequenten Umsetzung der Kreislaufwirtschaft hat sich dabei die Cradle-to-Cradle-Bewegung verschrieben. Ziel des Ende der 1990er-Jahre entwickelten Konzepts: Güter so zu produzieren, dass sie nach Gebrauch biologisch abgebaut und als „Nährstoffe“ wieder in den natürlichen Stoffkreislauf zurückgeführt oder ohne Qualitätsverluste zu neuen Produkten verarbeitet werden können. Ein kompostierbares T-Shirt von C&A, ein Filzstift von Stabilo und ein Badreiniger von Frosch wurden etwa bereits nach dem C2C-Standard zertifiziert.

Cradle-to-Cradle-Produkte müssen dabei nicht nur unschädlich für Mensch und Umwelt sein, sie sollten ihnen sogar zugutekommen. Beispielsweise durch üppig begrünte Gebäude, in deren Pflanzen sich Insekten tummeln können und die zugleich das Klima in der Stadt verbessern – so wie etwa im niederländischen Venlo. Das dortige Rathaus besteht komplett aus recycelbaren Materialien und filtert durch seine Grünfassade in einem Umkreis von 500 Metern Feinstaub aus der Luft. Im Inneren wird die Luft zusätzlich durch ein großes Gewächshaus gereinigt, was die Mitarbeiter gesünder macht – ihre Krankheitstage haben deutlich abgenommen.

 

Umweltfreundlich in Essen

25 Bauprojekte in den Niederlanden sind bislang von der Cradle-to-Cradle-Idee inspiriert. In Deutschland machte 2017 das Verwaltungsgebäude der RAG in Essen den Anfang. Auf dem begrünten Dach der ehemaligen Ruhrkohle AG können Mitarbeitende spazieren oder arbeiten und Insekten wie Fledermäuse ihre Kreise ziehen. Solaranlagen produzieren Strom und spenden Schatten. Im Inneren sorgt Erdwärme im Sommer wie im Winter für angenehme Temperaturen. Die Toiletten im Gebäude und die Pflanzen auf dem Dach werden so weit wie möglich mit Regenwasser versorgt.

Auch das neue Zentralgebäude von TÜV NORD im Technologiepark Essen orientiert sich am Cradle-to-Cradle-Prinzip. Auf dem Dach wachsen Pflanzen. Baumaterialien aus Stahl, Holz oder Aluminium wurden – so möglich – aus dem Vorgängerbau recycelt. Rund 80 Prozent des Betons und Mauerwerks aus dem Abriss wurden wieder verbaut, Recycling und Entsorgung aller verwendeten Materialien bereits bei der Planung berücksichtigt. Geheizt wird mit klimaschonender Fernwärme – gegenüber einer konventionellen Gasheizung spart das rund 36 Tonnen CO2 pro Jahr. 

Von außen sieht man den Gebäuden von RAG und TÜV NORD ihre umweltfreundliche Bauweise nicht an. Anders ist das bei „The Cradle“ in Düsseldorf, das das Konstruktionsprinzip bereits im Namen trägt. Die Fassade des besonderen Bürogebäudes wird überwiegend aus Holz bestehen, das anschließend auch in einem anderen Haus oder für Möbel Verwendung finden könnte. Im Inneren des für 2022 geplanten Gebäudes werden schadstofffreie und recycelbare Materialien eingesetzt, die den künftigen Nutzern eine gesunde und angenehme Arbeitsatmosphäre bieten sollen.

Bezahlbaren wie gesundheitsfreundlichen Wohnraum verspricht auch ein Bauprojekt namens „Moringa“ für die Hamburger HafenCity. Das erste Cradle-to-Cradle-Wohnhochhaus in Deutschland soll 190 Mietwohnungen beherbergen und zu mindestens 50 Prozent aus wiederverwertbaren Materialien bestehen: Pflanzen ranken sich an der Außenwand empor. Die Fassadenelemente bestehen aus Holz oder Keramik, die Wände aus Lehm. Das Dach ist eine Wiese mit Urban-Gardening-Flächen. Horizontal und vertikal soll so mehr Grünfläche entsteht, als am Erdboden überbaut wird. Läuft alles nach Plan, ist das grüne Quartier mit Elbblick 2024 bezugsfertig. Und könnte dann auch andere Projektentwickler zum Bauen in Kreisläufen inspirieren.