12. Dezember 2019
Für den Urlaub nach Neuseeland, übers Wochenende nach Lissabon: Vom exklusiven Vehikel für Besserverdiener sind Flugreisen durch den Aufstieg der Billigflieger längst zum Massentransportmittel geworden. Und mit den Passagierzahlen wachsen auch die Klimafolgen. Batterien, Wasserstoff und alternative Kraftstoffe sollen die Flieger sauberer machen.
Die Luftfahrt wächst und wächst: Seit 2009 sind die weltweiten Passagierzahlen von rund 2,5 auf 3,3 Milliarden gestiegen, jährlich nimmt der Flugverkehr um fast fünf Prozent zu – mit weitreichenden Folgen für die Umwelt. Derzeit produziert der Flugverkehr 2,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Das klingt zunächst nach wenig. Aber da die Abgase in großer Höhe ausgestoßen werden, wo sich ihre umweltschädigende Wirkung ungebremst entfaltet, kalkulieren Klimaforscher eher mit 5 bis 7,5 Prozent. Dass der Flugverkehr sauberer werden muss, ist mittlerweile auch in der Branche angekommen, die sich neben schärferen Grenzwerten mit Flugschamdebatten konfrontiert sieht. Bis 2050 will die europäische Luftfahrt ihre Emissionen um 50 Prozent des Wertes von 2005 senken. Damit dieses Ziel erreicht wird, genügt eine Maßnahme alleine nicht, darüber sind sich die Experten einig.
Für kurze Strecken mit wenigen Passagieren können Elektroflugzeuge eine Alternative sein. Für lange Distanzen oder Warentransporte sind ihre Batterien allerdings zu groß und zu schwer: Mehr als 50 Tonnen Batterien wären nötig, um etwa ein heutiges Passagierflugzeug wie den Airbus A320 mit seinen rund 200 Sitzplätzen zu elektrifizieren, kalkuliert das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt – und selbst das würde laut den Experten des DLR nur für 20 Minuten Flugzeit reichen. Kleinere E-Flugzeuge für den regionalen Einsatz und für bis zu zehn Passagiere werden dagegen weltweit entwickelt. 200 Projekte von Flugzeugbauern, Airlines und Start-ups hat die Unternehmensberatung Roland Berger aktuell gezählt.
Forschen an der nächsten Akkugeneration
Mittelfristig sollen die nächsten Akkugenerationen elektrisches Fliegen in größerem Maße möglich machen, stellt Jens Friedrichs in Aussicht. Er ist Leiter des Instituts für Flugantriebe und Strömungsmaschinen und Sprecher des Exzellenzclusters für nachhaltige und energieeffiziente Luftfahrt an der TU Braunschweig. Batterien, etwa auf Basis von Lithium und Schwefel, könnten umweltfreundlicher und ohne Entflammbarkeitsrisiko produziert werden und dabei dreimal so viel Energie liefern wie heutige Lithium-Ionen-Akkus. Zumindest in der Theorie: Bis sie dieses Potenzial serienmäßig in der Praxis entfalten können, müssen noch diverse technische Probleme gelöst werden. So sind beispielsweise heutige Prototypen der Lithium-Schwefel-Akkus bislang deutlich weniger langlebig als moderne Batterien. „Konservativ kalkuliert können wir um 2035 bis 2040 mit der nächsten Batteriegeneration rechnen“, so Friedrichs. Mit diesen Akkus ließen sich dann maximal 60 Fluggäste über eine Distanz von bis zu 600 Kilometer elektrisch transportieren. Dazu genüge es allerdings nicht, neue Motoren und Batterien in alte Flugzeugmodelle einzubauen. „Wie bei aktuellen E-Autos müssen wir die Flugzeuge für den jeweiligen Antriebsstrang designen, um eine größtmögliche Effizienz und Reichweite zu erreichen“, betont der Ingenieur. Das erklärte Ziel: durch leichtere Materialien und verbesserte Aerodynamik den Energiebedarf dieser und anderer Flugzeuge mittelfristig um 40 bis 50 Prozent zu senken.
„Wir sollten den Luftverkehr auf der Kurzstrecke möglichst stark reduzieren. Weil wir ihn aber nicht vollständig auf die Schiene verlagern können, brauchen wir hier auch Lösungen wie elektrische Flugzeuge.“
Der Vorteil der elektrischen Flieger: Betankt mit Strom aus Wind-, Sonnen- oder Wasserkraft, pusten sie im Betrieb keinerlei Emissionen in die Atmosphäre. Anders als die klassischen Flugzeuge verursachen sie also auch keine indirekten Klimaschäden durch Stickoxide, Ozon, Ruß, Kondensstreifen und Wolkenbildung in 10.000 Metern Höhe. Ein deutlicher Fortschritt zu gegenwärtigen Systemen: „Mit heutigen Flugzeugen Distanzen bis 700 Kilometern zu fliegen ist ökologisch keine gute Idee“, erklärt Friedrichs. Denn gerade bei Start und Steigflug sind die Flieger besonders energiehungrig und setzen überdurchschnittlich viele Emissionen frei. „Wir sollten den Luftverkehr auf der Kurzstrecke möglichst stark reduzieren. Weil wir ihn aber nicht vollständig auf die Schiene verlagern können, brauchen wir hier auch Lösungen wie elektrische Flugzeuge.“
Mit Wasserstoff in die Luft
Auf kurzen und mittleren Distanzen könnten zukünftig auch Brennstoffzellenflugzeuge starten. Wasserstoff wird dabei in der Brennstoffzelle in elektrische Energie umgewandelt, mit der wiederum E-Motoren angetrieben werden. Da Wasserstoff deutlich mehr Energie pro Kilogramm speichert als aktuelle Akkus, erlaubt er größere Reichweiten. Und wird er mit regenerativem Strom erzeugt, kommt aus den Flugzeugdüsen nur Wasserdampf. Wenn es nach den Forschern des DLR in Stuttgart geht, könnten Wasserstoffflugzeuge in gut 15 Jahren bis zu 80 Passagiere bei einer Geschwindigkeit zwischen 550 bis 600 Stundenkilometern und auf Distanzen von bis zu 2.000 Kilometern im Linienverkehr transportieren. Das kalifornische Unternehmen ZeroAvia will bereits ab 2022 Flugzeuge für maximal 20 Passagiere und Strecken bis zu 800 Kilometern mit einem Brennstoffzellenantrieb ausstatten. Eine der technischen Herausforderungen besteht darin, dass Brennstoffzellen in großer Höhe mit dünner Luft und wenig Sauerstoff ebenso zuverlässig arbeiten müssen wie auf dem Boden und in allen anderen Höhenlagen – Probleme, mit denen sich Autokonstrukteure auf dem Erdboden nicht herumschlagen müssen. Für Jens Friedrichs wäre der Wasserstoffantrieb selbst für Langstreckenflüge wie etwa von München nach Hongkong die präferierte Form. „Dazu benötigen wir allerdings andere Flugzeuge“, meint der Luftverkehrsexperte. Denn in einem Kilogramm flüssigem Wasserstoff steckt zwar fast dreimal so viel Energie wie in einem Kilo Kerosin. Er braucht dafür jedoch deutlich mehr Platz, sprich erheblich größere Tanks. Und die könnten nicht mehr wie bislang in den Tragflächen der Flieger untergebracht werden.
Innovative Flugzeugkonzepte für mehr Effizienz
Sogenannte Blended-Wing-Body-Flugzeuge würden für Friedrichs hier eine vielversprechende Lösung darstellen. Anders als bei der heutigen Rohr-mit-Flügel-Bauweise geht der flunderartig abgeflachte Rumpf fließend in die Tragflächen über und trägt seinerseits zum Auftrieb bei. „Solche Flugzeugkonstruktionen sind sehr aerodynamisch und bieten viel Volumen, um Passagiere, Fracht und eben Wasserstoff zu transportieren“, erklärt der Ingenieur. Boeing und NASA haben ein solches Flugzeug bereits zwischen 2012 und 2013 getestet. Die Unternehmen konnten anhand der Tests nachweisen, dass es sich ebenso steuern lässt wie ein konventioneller Flieger und dabei leiser und mit weniger Sprit unterwegs ist.
Die TU Delft entwickelt derzeit mit Unterstützung der niederländischen Fluglinie KLM einen kleineren Prototyp einer Blended-Wing-Body-Maschine. Das Modell Flying-V soll in voller Größe mit über 300 Sitzplätzen so viele Passagiere transportieren wie die europäische Langstreckenmaschine A350 und dabei rund 20 Prozent weniger Kerosin verbrauchen. Doch Entwicklungen in der Luftfahrt sind kostspielig und extrem langwierig. Bis solche Flugzeuge designt, zugelassen und gebaut sind und auch mit Wasserstoff von den Flughäfen starten, werden noch Jahrzehnte ins Land gehen.
© Henri Werij/FlyingVDer Prototyp Flying-V von der TU Delft und KLM
Neues Kerosin in alten Flugzeugen?
Kurzfristiger sollen alternative Kraftstoffe auf den Langstrecken helfen: Biokerosin, das etwa aus Rapsöl, Algen oder Abfällen gewonnen wird, oder synthetischer Treibstoff, der mit regenerativem Strom und CO2 erzeugt wird. Die Treibstoffalternative gilt unter den Fluggesellschaften als die attraktivste Variante. Schließlich lässt sie sich als sogenannte Drop-in-Lösung einfach anstelle oder gemischt mit konventionellem Kerosin nutzen. Flugzeuge und Tankinfrastruktur ließen sich also weiterhin betreiben. Biokerosin können Passagiere als Beimischung bei Fluglinien wie SAS, KLM oder Lufthansa bereits gezielt ordern – gegen einen Aufpreis aufs Ticket. Geliefert wird es am Flughafen Oslo von der finnischen Firma Neste. Der weltgrößte Hersteller von Biokerosin produziert aktuell 100.000 Tonnen pro Jahr. Anders als bei Biokraftstoffen der ersten Generation werden dem Unternehmen zufolge dafür kein oder kaum Raps, Mais, Palmöl oder andere Nahrungspflanzen verwendet. Das Biokerosin wird vielmehr zu 80 Prozent aus Abfällen und Reststoffen gewonnen, so Neste. Im Flugbetrieb könne es die CO2-Emissionen gegenüber herkömmlichem Kerosin um bis zu 80 Prozent reduzieren.
Momentan ist es allerdings noch rund dreimal so teuer. Größere Produktionsanlagen sollen den Preis bis auf die doppelte Höhe von klassischem Kerosin reduzieren. Neste plant in Singapur eine Raffinerie mit einer Kapazität von einer Million Tonnen pro Jahr. Doch selbst das ist bloß ein Tropfen im Fass der fast 300 Tonnen Kerosin, die jährlich weltweit verflogen werden. Zwar lassen sich die Produktionskapazitäten relativ schnell, aber nur eingeschränkt steigern. Denn die Menge an Ölresten und Pflanzenabfällen ist begrenzt, und aus Stroh und Holz lässt sich Biokerosin noch nicht wirtschaftlich produzieren. Der Hoffnungsträger Alge wiederum braucht kein Ackerland, jedoch sind große Flächen für die Kultivierung und weitere Forschung nötig, um sein Potenzial für die Treibstoffgewinnung zu heben. Für den Flugverkehrsexperten Jens Friedrichs spielt der Biosprit daher vor allem als kurzfristig verfügbarer Brückenkraftstoff eine wichtige Rolle: „Als Beimischung zwischen zehn bis 20 Prozent zu konventionellem Kerosin bietet er die schnelle Möglichkeit, die CO2-Emissionen von bestehenden Flugzeugen zumindest anteilig zu reduzieren, bis neue Flugzeuge designt, zugelassen und produziert sind.“
Ökostrom + Wasser + CO2 = Synfuels
Der zweite Hoffnungsträger für eine umweltfreundlichere Tankfüllung steckt noch etwas tiefer in den Kinderschuhen, wird allerdings mittlerweile gemeinhin als der langfristig vielversprechendere Kandidat gehandelt: synthetische Kerosine, die auf unterschiedlichen Wegen produziert werden können. Beim Power-to-Liquid-Verfahren – kurz PtL – wird mithilfe von erneuerbarem Strom durch Elektrolyse aus Wasser Wasserstoff gewonnen. Danach wird durch Zugabe von CO2 aus der Luft synthetisches Öl hergestellt, das wiederum zu künstlichem Kerosin weiterverarbeitet werden kann. Wenn eine Flugzeugturbine diesen Kraftstoff verbrennt, wird das vorher gebundene CO2 wieder freigesetzt – und weil dieses eben aus der Luft und nicht wie im Erdöl aus dem Boden stammt, wird die Atmosphäre nicht mit zusätzlichem Kohlendioxid belastet. Deshalb gilt das künstliche Kerosin als CO2-neutral. Bislang werden die sogenannten Synfuels allerdings nur in Pilotanlagen in kleinem Maßstab produziert, etwa von der Firma Sunfire in Dresden, die seit gut zehn Jahren das Verfahren weiterentwickelt. Das Co-Elektrolyse-Modul der Sachsen soll zukünftig im Projekt von Nordic Blue Crude zum Einsatz kommen. Das Cleantech-Unternehmen plant im norwegischen Industriepark Herøya die erste Großanlage. Ab Ende 2021 sollen hier in einem ersten Schritt zehn Millionen Liter – das sind 8.000 Tonnen – synthetisches Erdöl produziert werden. Mit der Erfahrung der ersten Ausbaustufe im Rücken will Nordic Blue Crude die Produktionskapazitäten verzehnfachen. Langfristig sind zehn identische Anlagen in Skandinavien anvisiert.
© sunfire GmbH, Dresden / renedeutscher.de / CC BY-ND 2.0*Eine Power-to-Liquid-Anlage
Preislich fällt der synthetische Kraftstoff noch einmal teurer aus als das Kerosin aus Biomasse. Unter zwei Euro pro Liter veranschlagt Nordic Blue Crude für den künstlichen Erdölersatz. Rohöl wird dagegen heute für rund 36 Cent den Liter gehandelt.
Quotenlösung für alternativen Kraftstoff?
Um den Markt für synthetisches Kerosin in Deutschland anzuschieben, fordert der Branchenverband Aireg, in dem abgesehen von Synfuels-Produzenten wie Sunfire auch Mineralölkonzerne wie BP, der Flugzeugbauer Airbus und diverse Forschungseinrichtungen vertreten sind, neben einer staatlich finanzierten Pilotanlage und Subventionen eine Quote für nachhaltigen Treibstoff. Ab 2021 sollen Airlines in Deutschland verpflichtend zwei Prozent Bio- oder synthetisches Kerosin beimischen, ab 2030 dann 20 Prozent. In Norwegen ist eine solche Quote bereits gesetzlich konkretisiert: Ab Januar 2020 muss dort jeder Passagierjet alternatives Kerosin tanken – wenn zunächst auch nur in einer Beimischung von einem halben Prozent. In zehn Jahren soll der Anteil dann bei 30 Prozent liegen. Das Nachbarland Schweden verfolgt ähnliche Pläne.
Mit einer größeren Nachfrage und der wachsenden Produktion dürften die Preise für synthetisches Kerosin sinken. Bleibt der enorme Stromhunger des E-Treibstoffs. Würde man alle Flugzeuge, die hierzulande abheben, mit Synfuels betanken, müsste man den gesamten Strom aus Wind, Sonne und Wasser in Deutschland dafür einsetzen, rechnet Jakob Graichen vom Öko-Institut e.V. im Deutschlandfunk vor. Auch für Jens Friedrichs von der TU Braunschweig sind die Synfuels sinnvoll, aber grundsätzlich der teuerste Kraftstoff in Sachen Kosten- und Energiebedarf. „Die Kilowattstunde Strom fließt über die Speicherung in der Batterie quasi direkt in den Antrieb. Um flüssigen Wasserstoff zu erzeugen, benötigt man mehr als die zweifache Energie und noch einmal die doppelte Menge, um daraus synthetisches Kerosin herzustellen“, erläutert der Luftfahrtexperte. Und auch die CO2-Neutralität des Verfahrens liege bloß auf dem Papier bei 100 Prozent. „Wird das Kohlendioxid aus künstlichem Kerosin in 12.000 Meter Höhe freigesetzt, hat es dort eine andere Klimawirkung als hier am Boden, wo ich es vorher eingesammelt habe“, gibt Friedrichs zu bedenken. „Deshalb sollten wir synthetische Kraftstoffe tatsächlich nur dort verwenden, wo es nicht anders geht, und ansonsten auf Batterie und Wasserstoff setzen.“
„Wird das Kohlendioxid aus künstlichem Kerosin in 12.000 Meter Höhe freigesetzt, hat es dort eine andere Klimawirkung als hier am Boden.“
Weil die optimale Lösung, die allen Faktoren gerecht wird, nicht in Sicht ist, liegt die Marschroute für Friedrichs auf der Hand: „Wir müssen alle Ansätze und Energierouten mit gleicher Intensität weiterverfolgen. Wir brauchen den politischen Support, um eine Wasserstoffinfrastruktur auf dem Boden aufzubauen. Die benötigen wir neben der Brennstoffzelle schließlich auch als Vorstufe für den synthetischen Kraftstoff“, fordert der Experte. Von der lieb gewonnenen Standardisierung der letzten Dekaden müsse sich die Luftfahrt künftig verabschieden und sich auf optimale Flugzeuge mit verschiedenen Antriebsarten für unterschiedliche Distanzen und Einsatzzwecke einstellen. Dabei könnten zwar einzelne Länder mit technologischen und politischen Weichenstellungen auf nationaler Ebene vorpreschen. An internationalen Vereinbarungen führe jedoch kein Weg vorbei, damit heimische Fluggesellschaften durch stärkere Umweltauflagen gegenüber der Konkurrenz nicht ins Hintertreffen geraten und Flugzeuge überall bei der Landung die nötige Tank- und Ladeinfrastruktur vorfinden, sagt Jens Friedrichs. „Globaler Luftverkehr braucht weltweite Lösungen – und für die forschen wir aktuell.“
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ZUR PERSON
© Kristina Rottig/TU Braunschweig
Jens Friedrichs ist Leiter des Instituts für Flugantriebe und Strömungsmaschinen (IFAS) an der Technischen Universität Braunschweig. Im Exzellenzcluster „Sustainable and Energy Efficient Aviation“ erforscht der Ingenieur mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen und Hochschulen, wie ein nachhaltiger und umweltfreundlicher Luftverkehr gestaltet werden könnte.