30. Januar 2020
Einsteigen, abheben und einfach über den Stau hinwegschweben: Dieser Wunschtraum aus der Science-Fiction-Welt könnte in den kommenden Jahren Wirklichkeit werden. Weltweit arbeiten junge Start-ups, aber auch altgediente Luftfahrtriesen und Autobauer an Flugtaxis, die Passagiere über die Städte hinweg befördern oder sie zwischen ihnen transportieren sollen.
Videorekorder, CD-Spieler, die DVD oder der Commodore 64: Die Liste der elektronischen Innovationen, die auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas ihre Weltpremiere feierten, ist lang. Mittlerweile nutzen immer mehr Autobauer die weltweit wohl wichtigste Messe für Unterhaltungselektronik, um ihre Vision der Mobilität von morgen vorzustellen. Sie zeigen selbst fahrende Autos, Elektromobile oder gehen gleich ganz in die Luft: Der koreanische Autohersteller Hyundai und der Fahrdienstvermittler Uber präsentierten in diesem Jahr in Las Vegas das Modell eines fliegenden Taxis, mit dem sie künftig den urbanen Luftraum für Mobilitätsdienstleistungen erobern möchten. Es hört auf den Namen S-A1 und ist ein elektrisch betriebener Senkrechtstarter, kurz gesagt ein sogenanntes eVTOL (electric Vertical Take-Off and Landing). Ausgelegt auf eine Reisegeschwindigkeit von bis zu 290 Stundenkilometer, soll das Fluggerät für vier Passagiere mit einer Batterieladung bis zu 100 Kilometer zurücklegen können und in Stoßzeiten in fünf bis sieben Minuten wieder aufgeladen sein. Bereits 2023 will Uber die ersten kommerziellen Einsätze fliegen – und damit eine günstigere und leisere Alternative zu den Flügen per Hubschrauber bieten, mit denen das Unternehmen seit Oktober 2019 zahlungskräftige Kunden in New York während der Rushhour für rund 200 Dollar von Lower Manhattan zum JFK International Airport transportiert.
© Sarah AbboundHyundai und Uber haben sich für die Entwicklung eines Lufttaximodells zusammengetan.
Über 75 Flugtaxi-Projekte weltweit
Uber ist längst nicht die einzige Firma, die den Traum vom fliegenden Stadtverkehr in den kommenden Jahren verwirklichen will. 75 Flugtaxi-Projekte hat die Unternehmensberatung Roland Berger schon Ende 2018 in einer Studie gezählt.
Im Mai 2019 ließ zum Beispiel Airbus erstmals ein eigenes elektrisches Flugtaxi in die Luft gehen. Der CityAirbus konnte auf dem Betriebsgelände im bayrischen Donauwörth autonom starten und landen. Hoch hinaus kam er dabei allerdings nicht: Aus Sicherheitsgründen war der mit vier Doppelrotoren ausgestattete E-Helikopter mit Stahlseilen an den Kufen gefesselt und hob daher nur wenige Zentimeter ab. Anfang 2020 durfte der Demonstrator zum ersten Mal ohne Sicherungsleine fliegen – für fünf Minuten und zwei Meter über dem Boden. Am Flugplatz Manching bei Ingolstadt soll in diesem Jahr dann ein umfangreiches Testprogramm starten.
Ingolstadt ist eine der Modellregionen zur Erprobung von Drohnen und Flugtaxi-Konzepten im Rahmen der EU-Initiative Urban Air Mobility. Auch die deutsche Politik signalisiert Interesse an den Mobilitätsmöglichkeiten in der Luft. Bei der ersten Präsentation des CityAirbus machte sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer dafür stark, zügig die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz der neuen Luftfahrzeuge zu schaffen. „Die Gesetze dürfen nicht erst geschaffen werden, wenn die Ingenieure die Fluggeräte fertig entwickelt haben“, so der CSU-Politiker. Die Airbus-Ingenieure machen sich nun in Manching daran, einen Prototyp zu entwickeln, der dem geplanten Serienmodell schon in den meisten Punkten entsprechen soll. Letzeres soll in Zukunft vier Passagiere auf festen Routen in Großstädten mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometern bis zu 50 Kilometer weit transportieren – anfänglich mit einem Piloten hinter dem Steuer, später dann autonom.
Airbus‘ amerikanischer Konkurrent Boeing hat bereits im Januar 2019 den Prototyp eines Lufttaxis mit acht Propellern und vier Tragflügeln testweise abheben lassen. Bei Manassas im US-Bundesstaat Virginia konnte ein kontrollierter Start mit Schwebeflug und Landung erfolgreich durchgeführt werden. Entwickelt wurde der neun Meter lange und 8,5 Meter breite Senkrechtstarter mit einer anvisierten Reichweite von 80 Kilometern von der Boeing-Tochter Aurora Flight Sciences. Nur ein Jahr habe man vom Konzept-Design bis zum fliegenden Prototyp benötigt, so Boeing. Bis zur Serienreife dürfte es deutlich länger dauern. Zunächst muss das Luftfahrzeug den Übergang vom Senkrechtstart in den Vorwärtsflug bewältigen. Dies gilt als die größte Herausforderung bei der Entwicklung eines senkrecht startenden und landenden Fluggeräts.
Elektroflieger aus München
Diese Hürde hat das deutsche Start-up Lilium bereits erfolgreich genommen. Nach dem Jungfernflug Mitte 2019 bewältigte der gleichnamige E-Jet der Tüftler aus München nicht nur komplexe Manöver bei einer Geschwindigkeit von über 100 Stundenkilometern, sondern auch den Übergang vom senkrechten in den horizontalen Flug.
Angetrieben wird das Fluggefährt von 36 Elektromotoren, und wie bei Boeing gibt es vier feste Tragflächen. Mit diesen sei der E-Jet deutlich effizienter als mit Rotoren angetriebene Fluggeräte und könne mit einer Reichweite von 300 Kilometern weitaus längere Strecken zurücklegen als die meisten Konkurrenten, gibt sich das Start-up überzeugt. Durch den Auftrieb der Tragflächenpaare benötige der Jet im Horizontalflug weniger als zehn Prozent seiner maximalen Leistung von 2.000 PS und ungefähr ebenso viel Energie wie ein Elektroauto über die gleiche Entfernung.
„Die Gesetze dürfen nicht erst geschaffen werden, wenn die Ingenieure die Fluggeräte fertig entwickelt haben.“
Bis 2025 will Lilium in verschiedenen Städten weltweit betriebsbereit sein und je fünf Passagiere an ihr Ziel fliegen. Das erste Produktionswerk in Weßling bei München wurde bereits fertiggestellt, eine zweite Fabrik am gleichen Standort ist geplant. Bis zum Betriebsstart will Lilium hier Hunderte Flugzeuge pro Jahr produzieren. Zunächst muss das Start-up allerdings die Technik seines Lufttaxis sukzessive verbessern. Medienberichten zufolge kämpft Lilium immer wieder mit Motorausfällen und anderen Störungen. Daher fliegt der Prototyp bisher ferngesteuert und unbemannt.
Bemannter Flug über Singapur
Konkurrent Volocopter ist da schon einige Schritte weiter: Seit 2011 arbeitet das Unternehmen aus Bruchsal bei Karlsruhe an seiner Flugdrohne für zwei Passagiere. 18 Rotoren und mehrfache Redundanz in allen flugkritischen Systemen sollen das Fluggerät so sicher wie möglich machen.
Nach Testflügen in Dubai, Finnland, Deutschland und den USA hat das badische Start-up im Oktober 2019 in Singapur den ersten bemannten Flug über einer Großstadt absolviert. Zwei Minuten und 30 Sekunden flog das mit 18 Rotoren ausgestattete Lufttaxi über den Hafenbezirk der Metropole. Einen Monat zuvor ging der unbemannte Volocopter erstmals auch über einer deutschen Großstadt in die Luft. Und zwar in Stuttgart, dem Stammsitz vom Daimler-Konzern, der seit 2017 an der Firma beteiligt ist. „Ich bin überzeugt, dass wir auf diese Weise das Stauproblem in den Städten auf spezifischen Strecken lösen können“, sagte Daimler-Chef Ola Källenius vor dem Testflug und beschrieb damit das Potenzial der Lufttaxis. Daran glaubt offenbar auch der chinesische Autobauer Geely, momentan der gewichtigste Investor von Volocopter und größter Aktionär von Daimler. Geely und Volocopter wollen zusammen ein Gemeinschaftsunternehmen gründen, um Luftmobilität in Metropolen auch „in den wichtigen chinesischen Markt zu bringen“.
Luftige Entlastung für globale Megacitys
Über den von Stau und Smog geplagten Megastädten im Reich der Mitte, aber auch in Indien oder Südamerika sollen die fliegenden Taxis zuerst und vor allem zum Einsatz kommen. Hier sieht Luftfahrtexperte Stefan Levedag ebenfalls den größten Bedarf. „In chinesischen Megacitys besteht momentan keine Möglichkeit, schnell von A nach B zu kommen. In Großstädten wie São Paulo gibt es neben dem Zeitproblem zudem ein erhebliches Kriminalitätsrisiko , dem zahlungskräftige Kunden natürlich gerne ausweichen würden“, so der Leiter des Instituts für Flugsystemtechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig.
Innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre will Volocopter marktreif sein. In zehn Jahren sollen bis zu 100.000 Passagiere pro Tag mit einer Reisegeschwindigkeit von 110 Stundenkilometern bis zu 35 Kilometer weit kreuz und quer durch die Riesenstädte fliegen. Zum Vergleich: Der öffentliche Nahverkehr in Berlin transportierte 2018 durchschnittlich rund drei Millionen Fahrgäste am Tag. Tatsächlich will Volocopter den Verkehr auf dem Erdboden nicht ersetzen, sondern vielmehr auf stark frequentierten Strecken entlasten – etwa als Zubringer zum Flughafen vor der Stadt.
© Fraport AGVom Flieger ins Flugtaxi – sieht so die Zukunft aus?
Staus am Himmel sind durch die Lufttaxis dem Hersteller zufolge nicht zu befürchten: In einer Simulation hat man über New York auf acht Routen alle zwölf Sekunden ein Flugtaxi mit 70 Stundenkilometern in Höhen zwischen 100 und 350 Metern fliegen lassen. Die Volocopter sollen dabei vom Boden aus kaum größer gewesen sein als hoch fliegende Vögel.
Ein- und aussteigen sollen die Fluggäste an sogenannten VoloPorts , die das Start-up auf Hausdächern, Bahnhöfen oder Parkplätzen errichten will. Hier sollen dann auch die Batterien der elektrischen Fluggeräte automatisch ausgetauscht und geladen werden. Schon zum Start will Volocopter einen Flug zum doppelten Taxipreis anbieten. „Wenn das System voll in Betrieb ist, wird ein Flug zum Treffen nicht viel teurer sein als eine Taxifahrt – sehr wohl aber schneller“, verspricht Alexander Zosel, Mitgründer von Volocopter.
Umweltunfreundlicher als ein Auto?
Ob die Flugtaxis tatsächlich die Umwelt entlasten, daran haben Experten erhebliche Zweifel. Erst bei Distanzen ab 100 Kilometern und drei Passagieren würden sie weniger Energie verbrauchen als ein Elektroauto oder ein Verbrenner, in dem durchschnittlich 1,5 Personen sitzen, wie eine Studie der Universität Michigan ergab. Auf Strecken unter 35 Kilometern würden sie sogar mehr Energie benötigen und damit mehr Treibhausgase produzieren als Autos mit Verbrennungsmotor. Und genau das sind die Distanzen, auf denen die Lufttaxis künftig in Städten überwiegend zum Einsatz kommen sollen.
„Senkrecht zu starten ist energetisch betrachtet die ungünstigste Art zu fliegen.“
Doch selbst wenn die Fluggeräte ausschließlich mit Grünstrom betrieben würden – die technischen Probleme seien noch längst nicht gelöst, sagt Stefan Levedag vom DLR. Gerade das, was die Flugtaxis für den Einsatz in der Großstadt prädestiniert, sei dabei die größte Hürde: die Kombination aus Senkrechtstart und elektrischem Antrieb. „Senkrecht zu starten ist energetisch betrachtet die ungünstigste Art zu fliegen“, sagt der Luftfahrtexperte. Senkrechtstarter benötigen beim Abheben deutlich mehr Schub, und jedes Kilo fällt schwerer ins Gewicht als beim Flugzeug, das vom Auftrieb seiner Tragflächen profitiert. Deshalb können schon konventionelle Hubschrauber nur sehr viel kürzere Distanzen fliegen und erheblich weniger Passagiere befördern als Tragflächenflugzeuge. Ein Problem, das sich durch den elektrischen Antrieb verschärft. Denn die Energiedichte heutiger Lithium-Ionen-Akkus ist 40-mal geringer als die von Kerosin; man kommt also mit demselben Gewicht wesentlich weniger weit.
Reicht die Reichweite?
Flugdistanzen von 300 Kilometern, über die Lilium seine Passagiere transportieren will, werden deshalb von diversen Experten als unrealistisch infrage gestellt. Selbst die bescheiden wirkenden Reichweiten von 35 Kilometern, mit denen Volocopter plant, ließen sich Levedag zufolge bloß unter allerbesten Bedingungen umsetzen. „Bei Gegenwind sinkt die Reichweite drastisch“, meint der Experte. Zudem können die Fluggeräte ihre Akkukapazitäten nicht voll ausschöpfen. Aus Sicherheitsgründen müssen sie Energiereserven einplanen, um im Notfall auf einen alternativen Landeplatz ausweichen zu können. Deshalb zeigt sich das Beratungsunternehmen Roland Berger überzeugt, dass Fortschritte in der Akkutechnologie und bei autonomen Systemen den Lufttaxis in den kommenden fünf bis zehn Jahren den entscheidenden Schub versetzen werden.
Tatsächlich ließe sich im autonomen Betrieb das Gewicht des Piloten einsparen, das aktuell auf die Reichweite drückt. Die Kosten würden sich dadurch allerdings kaum reduzieren, so Levedag. Schließlich müssen die Systeme dieselben Flugaufgaben bewältigen wie ein menschlicher Pilot und dabei schnell auf die Anweisungen des Flugsicherungssystems reagieren, um Gefahren durch Wetter und andere Fluggefährte zu vermeiden. Das sei in der Luft zwar grundsätzlich leichter umzusetzen als im Straßenverkehr, aber finanziell wie technologisch eine große Herausforderung. „Und regulatorisch sind wir davon noch weit entfernt“, sagt Levedag.
Eine Frage der Zulassung
Auch bemannte Lufttaxis müssen noch diverse rechtliche Hürden bis zur Starterlaubnis nehmen. Regulatorische Fragen um die Fliegerei über Städten müssen geklärt werden: Havarien hätten hier schließlich besonders fatale Folgen. Außerdem dürfte zusätzlicher Lärm den Stadtbewohnern kaum gefallen. Zwar dröhnen die eVTOLs durch ihren E-Antrieb und die kleineren Rotoren nicht so ohrenbetäubend wie klassische Helikopter, aber geräuschlos fliegen sie eben auch nicht. Der Luftfahrtzulieferer FACC hält die Lärmbelastung nicht für ein großes Problem. Die Lufttaxis, die man mit dem chinesischen Unternehmen Ehang entwickele, würden sich akustisch zwischen einem Auto und einem Lkw bewegen – und der Lärmpegel der Flugdrohnen würde künftig noch weiter sinken.
Als ersten „Baustein für einen sicheren Betrieb von VTOL-Luftfahrzeugen“ hat die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA im Juli 2019 Regularien zur Entwicklung und zum Bau der neuen Fluggeräte erlassen. Volocopter habe sein neues Modell VoloCity laut eigenen Angaben nach den Richtlinien der EASA entwickelt und warte nun auf die Zertifizierung. Europäische Vorschriften, die den kommerziellen Einsatz der Fluggeräte erlauben, wird es nach Einschätzungen von Airbus frühestens in fünf Jahren geben. Parallel dazu müssen Verkehrsleitsysteme aufgebaut werden, um den sicheren Drohnenverkehr zu gewährleisten. Uber arbeitet dazu mit der NASA zusammen, die entsprechende Systeme entwickelt.
© Nikolay Kazakov for Volocopter / SkyportsAn sogenannten VoloPorts will das Start-up Volocopter den Ein- und Ausstieg organisieren.
Ob die Flugtaxis den Verkehr der Städte dann tatsächlich entlasten, ist für Stefan Levedag nicht zuletzt eine Preisfrage. Und der wird sich nach Einschätzung des Luftfahrtexperten zumindest am Anfang eher in den Dimensionen eines Hubschrauberflugs als in denen einer Taxifahrt bewegen. Schon deshalb sei es unwahrscheinlich, dass sich die Flugtaxis in Europa durchsetzen können. „Unsere Städte sind schlicht zu klein, um über den Luftverkehr einen nennenswerten Zeitvorteil zu erzielen.“ Und auch in Singapur, Hongkong oder São Paulo dürften laut Levedag in erster Linie zahlungskräftige Kunden von den neuen hochfliegenden Mobilitätsmöglichkeiten profitieren. Der Traum vom Flug über den Stau – er könnte nur für wenige Wirklichkeit werden.
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ZUR PERSON
© DLR
Stefan Levedag ist Leiter des Instituts für Flugsystemtechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig.