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Architektur

Holz, Lehm und Stroh für gutes Klima

27. August 2020

Ein Dach über dem Kopf ist für uns Menschen bekannter­maßen alternativ­los. Doch der Bau und Betrieb von Gebäuden ist gegen­wärtig extrem umwelt­schädlich. Die „Architects for Future“ wollen das ändern. Der freie Zusammen­schluss von Architekten und Bau­ingenieuren engagiert sich für ein ökologisches Umdenken in der Baubranche. Mit dem Bau­ingenieur Tore Waldhausen haben wir darüber gesprochen, warum Sanierung besser ist als Neubau und wie Holz oder Lehm dem Klima in unseren Häusern und der ganzen Welt zugutekommen können.

 

#explore: Was macht das Bauen überhaupt so umwelt­schädlich, Herr Waldhausen?

Tore Waldhausen: Bauen ist mit einem riesigen Ressourcen­verbrauch verbunden. 50 Prozent der Energie welt­weit und 50 Prozent der abgebauten Ressourcen werden für den Bau und Betrieb von Gebäuden verwendet. Hinzu kommt die Flächen­versiegelung durch Gebäude, Straßen oder Park­plätze. Und während bei der Energie­einsparung im Betrieb bereits einiges passiert, ist der Öffentlichkeit oft nicht bewusst, wie viel Energie bereits für den Bau und die Herstellung der Materialien verbraucht wird.

 

Was sind die zentralen Ziele und Forderungen von „Architects for Future“?

Eine unserer Hauptforderungen besteht darin, Abriss kritisch zu hinter­fragen. Es wird sehr viel abgerissen, einfach weil es oft wirtschaftlicher ist. Ökologisch gesehen wäre es dagegen sinn­voller, die bestehende Substanz weiterhin zu nutzen, um nicht wieder neue Energie in neue Materialien zu stecken. Darüber hinaus plädieren wir für die Verwendung gesunder, klima­positiver Baustoffe. Ein ganz wichtiger Punkt: kreis­lauf­gerecht konstruieren. Wir sollten Materialien und Produkte so wählen und entwickeln, dass wir sie in geschlossenen Kreis­läufen weiterverwenden können, sie also gar nicht erst zu Abfall werden. Daran schließt der nächste Punkt an: Down­cycling vermeiden. Materialien werden zwar heute auf dem Bau oft wieder­verwertet, aber zumeist verschlechtert sich dabei ihre Qualität und Funktionalität. Man spricht dann offiziell von Recycling, obwohl diese Baustoffe sukzessive an Wert verlieren. Zudem wollen wir urbane Minen nutzen, also vorrangig die bestehende Substanz verwenden. Nicht zuletzt geht es uns auch darum, biodiversen Lebens­raum zu erhalten und zu schaffen – etwa mit Grün­dächern und Grün­fassaden in der Stadt. Grund­sätzlich möchten wir mit dem Bauen die offene Gesellschaft fördern. Wir verbringen 90 Prozent unseres Lebens in Innen­räumen. Architektur hat insofern einen großen Einfluss darauf, wie wir menschliches Miteinander gestalten.

 

Wie kann ein solches Kreis­lauf­system im Bauwesen beispiel­haft aussehen?

Wir orientieren uns stark am sogenannten Cradle-to-Cradle-Prinzip. Aufs Bauen über­tragen heißt das, dass wir in zwei verschiedenen Kreis­läufen denken: einem technischen und einem biologischen. Ein Beispiel für einen biologischen Kreis­lauf wäre etwa der Baustoff Holz. Konstruktiv richtig verbaut, hat Holz eine sehr lange Lebens­dauer. Muss es doch einmal rückgebaut werden, gibt es eine lange Kette weiterer Einsatz­möglichkeiten: Es kann als Stuhl, danach als Holz­faser­dämm­platte und anschließend als Brenn­stoff verwendet werden. Wurde es nicht chemisch behandelt, kann man es auch kompostieren. Dann wird es wieder zum Nährstoff für Wälder oder andere Boden­nutzungen. Analog müssen wir auch technische Materialien so konzipieren, dass sie als „Nährstoff“ in den Kreislauf zurück­gelangen. Wird etwa Stahl so verbaut, dass er von allen anderen Materialien trennbar ist, kann er anschließend entweder direkt wieder­verwendet oder ein­geschmolzen werden, um neuen Stahl zu produzieren. Voraus­setzung dafür ist natürlich, dass wir Methoden entwickeln, um Stahl ausschließlich mit regenerativer Energie her­zu­stellen oder auf­zu­bereiten.

 

Warum brauchen wir überhaupt Alternativen zu Zement und Beton?

Zement und Beton sind unheimlich praktikable Baustoffe mit vielen Anwendungs­bereichen. Das große Problem: Bei der Herstellung werden enorme Mengen CO2 frei­gesetzt. Die Zement­produktion ist für vier bis acht Prozent der welt­weiten CO2-Emissionen verantwortlich – mehr als der globale Flug­verkehr. Klima­freundliche Baustoffe bieten hier ein enormes Einsparungs­potenzial. In manchen Anwendungs­bereichen wie etwa im Tunnel­bau ist Beton aktuell noch nicht adäquat zu ersetzen. Hier müssen wir weiter an Alternativen forschen. Aber gerade im Wohnungs­bau, wo die statischen Anforderungen weniger hoch sind, gibt es mit Holz, Lehm und Stroh sehr gute Ersatz­stoffe, die bei der richtigen Anwendung zudem der Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner zugutekommen.

 

Welche Vorteile bieten Holz, Lehm und Stroh für die Umwelt und für Haus­bewohner?

Holz ist ein natürlicher CO2-Speicher. Und jedes gespeicherte Kilo CO2 ist momentan Gold wert. Holz hat zudem ein gutes Wärme­dämm­verhalten und ist atmungs­aktiv. Es sorgt also für ein gutes Raumklima. Das gilt auch für Lehm, der temperatur- und feuchte­regulierende Eigenschaften mitbringt. Es ist einfach sehr angenehm, sich in einem aus Lehm gebauten oder mit Lehm verkleideten Innen­raum aufzuhalten. Lehm ist noch stärker als Holz ein regionales Produkt, hat also kurze Transport­wege. Stroh wiederum hat wunderbare Dämm­eigenschaften und ist ein natur­belassener Rohstoff. Es wird nur gepresst und kann von den Bauern der Region direkt an Baustellen geliefert werden. Die Stroh­wände lassen sich einfach mit Lehm verputzen. In der Kombination ergibt das ein wunderbares Raumklima.

 

Beim Stichwort Strohbau mag der Laie an das Märchen von den drei kleinen Schweinchen denken, in dem der böse Wolf ein Strohhaus in kürzester Zeit dem Erdboden gleichmacht. Wie steht es denn um die Stabilität und Feuer­festigkeit eines solchen Gebäudes?

Bereits der Lehmputz sorgt für eine grundlegende Brand­sicherheit und auch dafür, dass Ungeziefer nicht das Stroh zerfrisst. Ein Strohhaus in der Stadt zu bauen ist momentan noch etwas schwieriger. Nach den Brand­schutz­bestimmungen muss ein Gebäude sechzig bis neunzig Minuten brennen können, ohne dass es zusammen­fällt. Das mit Stroh zu gewähr­leisten ist heraus­fordernd, aber möglich. Statisch muss ein Strohhaus natürlich denselben Ansprüchen genügen wie jedes andere Haus auch. In Deutschland werden diese Häuser zumeist mit einer Holz­ständer­konstruktion gebaut, das Stroh wird nur als Wärme­dämmung eingepresst. Auch eine last­tragende Verwendung von Stroh, etwa bei einem Zwei­familien­haus, wäre technisch kein Problem, ist aber hier­zulande noch nicht erlaubt. Hier gibt es aktuell Bewegung, das Baurecht entsprechend anzupassen.

 

Sind solche Materialien denn überhaupt für alle Gebäude­typen und Regionen geeignet?

Ja, auf jeden Fall. Teilweise ist ihr Einsatz sogar bau­physikalisch sinn­voller. Die Gebäude­struktur ist flexibler als bei Stahl oder Beton und daher beispiels­weise den Anforderungen in einer Erdbeben­region besser gewachsen. Auch Brücken für den Schwer­last­verkehr werden mittler­weile aus Holz gebaut, zum Beispiel in den Niederlanden. In Norwegen steht ein Holz­hoch­haus mit einer Höhe von 85 Metern, in Japan ist ein Holz­hoch­haus von 350 Metern geplant. Solche Projekte erregen Aufmerksamkeit und können dafür sorgen, dass das Material Holz tatsächlich in der Breite angewendet wird. Das ist grundsätzlich eine gute Sache. Um den wachsenden Bedarf in den Städten zu decken, müssen wir aber nicht zwangs­läufig neue Hoch­häuser bauen. Je nach Gebäude­struktur können Wohnhäuser um ein bis zwei weitere Stock­werke erhöht werden – in Wien ist das häufig zu sehen. So wird neuer Wohn­raum geschaffen, ohne weitere Fläche zu versiegeln. Derlei Konzepte können wir auch mit solchen alternativen Baustoffen umsetzen und sollten wir auch hier­zu­lande viel konsequenter verfolgen.

 

Investoren ist umwelt­freundliches Bauen oft schlicht zu teuer. Wie lässt sich das ändern?

Investoren und Bauherren denken hier oft zu kurzfristig. Denn ökologisches Bauen ist immer auch qualitatives Bauen. Es mag zunächst etwas höhere Investitionen erfordern, dafür ist es lang­lebiger und wert­stabiler. Ein solches Gebäude kann man in 50 Jahren an die nächste Generation weitergeben oder ohne Wert­verlust weiter­verkaufen. Denn die Bau­materialien kursieren ja in geschlossenen Kreis­läufen und fallen über ihre Lebens­dauer daher auch nicht im Preis. Ökologisch zu bauen kann sich also heute schon lohnen. Für die Umwelt, für die Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch für die Investorinnen und Investoren.

 

Welche politischen Weichen müssen gestellt werden, um nach­haltiges Bauen zu fördern?

Die wichtigste Maßnahme wäre, den CO2-Ausstoß höher zu bepreisen, der bei der Herstellung der Materialien und im Bauprozess anfällt. Dann wird Sanierung wirtschaftlicher als Abriss und Neubau. Zugleich würde das auch die Nachfrage und Verfügbarkeit nach­wachsender Baustoffe fördern. Um Sanierungen darüber hinaus attraktiver zu machen, wären Genehmigungs­prozesse wie für den Gebäude­bau auch für den Gebäude­abriss denkbar. Darin könnten verpflichtende Rückbaupläne verankert werden. Das Ziel muss sein, Herstellerinnen und Hersteller mehr in die Verantwortung der Entsorgung mit­ein­zu­beziehen.

 

Welche Rolle spielt nachhaltiges Bauen im Studium und in der Ausbildung?

Leider noch viel zu wenig! Die Deutsche Gesellschaft für Nach­haltiges Bauen hat in den letzten Jahren einiges bewegt und diverse Module und Seminare für die Architekten­aus­bildung geschaffen. Aber das Angebot an den Universitäten wie in der Handwerker­aus­bildung ist immer noch sehr begrenzt. Viele Studierende wenden sich daher an unsere Regional­gruppen, um mehr über kreis­lauf­gerechtes Bauen mit Lehm oder Stroh zu erfahren. Aktuell gibt es erste Entwicklungen, klima­freundliches Bauen stärker in der Uni zu verankern. Aber hier ist immer noch viel Luft nach oben. Wir als „Architects for Future“ versuchen daher, unserer­seits darauf hinzuwirken, dass dieser Bedarf der Studierenden auch tatsächlich gedeckt wird.

 

Auf welche Weise wollen Sie mit „Architects for Future“ Nachhaltigkeit im Bauwesen voran­bringen?

Der Begriff der Nachhaltigkeit greift aus meiner Sicht etwas zu kurz, denn er suggeriert, dass es nur darum geht, unseren negativen ökologischen Fußabdruck etwas kleiner zu machen. Stattdessen könnten unsere Gebäude auch einen positiven Fuß­abdruck hinter­lassen und Mensch und Umwelt zugutekommen. Wir als „Architects for Future“ wollen durch Öffentlichkeits- und Bildungs­arbeit über die Möglichkeiten einer solchen klima­freundlichen Bauweise aufklären. Zugleich engagieren wir uns auch direkt politisch, indem wir unsere Expertise beispiels­weise in städtische Bauprojekte einbringen.

 

„Mit seiner Grün­fassade reinigt das Gebäude der Stadtverwaltung im niederländischen Venlo nachweislich die Luft in einem Umkreis von 500 Metern.“

Tore Waldhausen, Sprecher „Architects for Future“

Welche Projekte haben eine solche klima­freundliche Bauweise bereits vorbildlich umgesetzt?

Jeder Mensch, der versucht, anders und besser zu bauen, leistet einen wichtigen Beitrag! An konkreten Bauprojekten hat aus meiner Sicht besonders das Gebäude der Stadtverwaltung im niederländischen Venlo Maßstäbe gesetzt. Mit seiner Grün­fassade reinigt es nachweislich die Luft in einem Umkreis von 500 Metern. Und es hat einen positiven Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten. Diese haben weniger Krankheits­tage als andere Personen in vergleichbaren Jobs. Zudem wurden viele Cradle-to-Cradle-zertifizierte Materialien in diesem Gebäude verbaut. Ganz wichtig: Die Initiatorinnen und Initiatoren haben sehr viel Wert darauf gelegt, von Anfang an alle am Bau Beteiligten zusammen­zu­bringen, um gemeinsam ein Gebäude zu schaffen, das einen positiven Mehrwert für die Region hat. In konventionellen Projekten wird viel zu oft gegeneinander gearbeitet. Das Rathaus in Venlo ist insofern ein tolles Beispiel dafür, dass man anders und besser bauen kann, wenn alle an einem Strang ziehen.

 

Wie sieht für Sie das ideale nach­haltige Gebäude der Zukunft aus?

Häuser wie Bäume, Städte wie Wälder – so würde ich meine Vision umschreiben: Wie wäre es, wenn unsere Häuser CO2 speichern wie Bäume? Wenn sie die Luft­qualität verbessern und ausschließlich mit erneuerbaren Energien betrieben werden? Wenn unsere Gebäude lokale Ressourcen nutzen und diese in geschlossenen Kreis­läufen zirkulieren und viele verschiedene Menschen und Lebewesen beherbergen? Diese Prinzipien können und sollten wir mehr und mehr in konkreten Bauten Wirklichkeit werden lassen.

ZUR PERSON

Tore Waldhausen ist Bauingenieur und Sprecher von „Architects for Future“ in Leipzig. Er beschäftigt sich schwer­punkt­mäßig mit ökologischen Bauweisen und Gebäude­sanierungen. Aktuell ist Waldhausen an einem Bauprojekt in der Nähe von Bamberg beteiligt, in dem ein klima­freundliches und kreis­lauf­gerechtes Wohngebiet für rund 100 Menschen entstehen soll.