10. September 2020
Nachhaltigkeit ist unter jungen wie älteren Gründerinnen und Gründern nicht erst seit „Fridays for Future“ Trend und Thema. Wir stellen fünf Start-ups vor, die mit ihren Innovationen unseren Alltag umweltfreundlicher machen wollen.
Haferdrinks von nebenan: Kornwerk und Havelmi***
Während der Milchkonsum seit Jahren sinkt, erfreuen sich Alternativen aus Soja, Reis, Mandeln und Hafer wachsender Beliebtheit – nicht nur bei Veganern oder Menschen mit Laktoseintoleranz. Und der Trend zum Pflanzendrink kommt dabei auch der Umwelt zugute: Bei der Produktion eines Haferdrinks werden laut Stiftung Warentest 70 Prozent weniger CO2 freigesetzt als bei der echten Milch aus dem Euter. Erfordert ein Liter Kuhmilch 250 Liter Wasser, sind es beim Haferdrink gerade einmal 3,4 Liter. Bislang wird allerdings auch die Hafermilch aus Ökoanbau im Tetrapak aus der Ferne in die Supermärkte kutschiert. Zwei Start-ups aus dem Berliner Umland wollen das ändern. Kornwerk nutzt für seine Biohaferdrinks alte Getreidesorten aus regionalem Anbau, um die Biodiversität zu fördern. Geliefert wird die pflanzliche Milchalternative in Pfandflaschen aus Glas und in einem Radius von 350 Kilometern.
© HavelmiHavelmi*** füllt Milch in Pfandflaschen aus Glas ab.
Die kurzen Wege sollen den CO2-Fußabdruck möglichst klein halten. Havelmi*** aus dem brandenburgischen Beetzseeheide füllt seinen Biohaferdrink ebenfalls in Pfandflaschen und liefert in einem Umkreis von maximal 300 Kilometern. Die junge Firma ist genossenschaftlich organisiert. Künftig wollen die Gründer auch nach Gemeinwohl-Richtlinien bilanzieren, bei denen ein Unternehmen nicht anhand von ökonomischen, sondern unter ökologischen, sozialen und ethischen Aspekten bewertet wird. Die Gründerinnen von Kornwerk setzen ihrerseits auf ein solidarisches Modell. Um das Risiko der Ernte nicht alleine den Landwirten zu überlassen, vereinbaren sie mit diesen einen festen Preis für den Hafer, der ertragsunabhängig über die Anbauperiode ausgezahlt wird.
Akku aus dem Automaten: Greenpack
„Wäre es nicht viel besser und bequemer, leere Akkus einfach auszutauschen, statt an der Ladesäule zu warten?“ Dieser fromme Wunsch gehört in den Diskussionen um die Elektromobilität seit Jahren zum Dauerbrenner. Das israelische Start-up Better Place ist 2013 mit dieser Idee gescheitert. Unter den E-Autoherstellern setzt heute einzig das chinesische Start-up Nio auf Wechselakkus, alle anderen betrachten ein solches System als zu teuer, kompliziert und ineffizient. Schließlich laden E-Autos immer schneller. Und bislang baut jeder Hersteller seine eigenen Batterien. Was bei Elektroautos zu aufwendig ist, kann bei kleineren Stromfahrzeugen viel Sinn machen – so die Überzeugung des Berliner Start-ups Greenpack. Das Unternehmen hat einen standardisierten Wechselakku entwickelt, der an den eigenen Swobbee-Automaten einfach gegen einen vollen getauscht werden kann. Das soll beispielsweise die elektrischen Roller von Sharing-Anbietern oder die Lastenräder von Lieferdiensten und privaten E-Mobilisten schnell zurück auf die Straße bringen. Neben 16 Akkuautomaten in Berlin hat das Start-up 2020 auch in Freiburg und Frankfurt am Main erste Wechselstationen installiert. Dank der Tauschakkus können etwa die Velotaxifahrer der Mainmetropole zu den einträglichen Stoßzeiten länger unterwegs sein. Weitere Wechselautomaten sind für dieses Jahr in Bochum und Stuttgart geplant. Künftig will Greenpack auch zunehmend Akkus anderer Hersteller in das Tauschsystem integrieren.
Energieautarkes Wohnei: Ecocapsule
Weiß, eiförmig, irgendwie edel: Das futuristische Gebilde sieht aus, als hätten Apple-Designer ein Weltraumhabitat für ein bis zwei Astronauten entworfen. Tatsächlich kommt die sogenannte Ecocapsule aus der slowakischen Hauptstadt Bratislava und ist ausschließlich für den Einsatz auf der Erde ausgelegt. Das spacige Tiny-House hat alles im Bauch, was man für ein autarkes und ressourcenschonendes Leben fernab bewohnter Gebiete benötigt: Solarzellen und eine Windturbine auf dem Dach erzeugen Strom, der in einer Batterie für mehrere Tage gespeichert werden kann. Regenwasser wird auf der Oberfläche der Kapsel gesammelt und anschließend im Wassertank gefiltert. In niederschlagsarmen Regionen hilft alternativ ein Stellplatz an einem Gewässer, denn der Filter klärt auch das Wasser aus Flüssen oder Seen. Temperaturen von minus 15 Grad bis plus 40 Grad und Windstärken bis zu 150 Stundenkilometern soll die Ecocapsule standhalten. Räder hat sie allerdings keine. Das zwei Tonnen schwere Mikrohaus muss also per Trailer oder Container transportiert werden. Und wer mit der Ecocapsule seinen ökologischen Fußabdruck verkleinern will, braucht einen großen Geldbeutel: 79.000 Euro kostet das Tiny-House aktuell. Mit steigender Produktion soll der Preis aber künftig sinken, stellen die Macher in Aussicht. Sie planen außerdem, ihre futuristischen Mini-Homes als Mikromotel an sehenswerten Orten in der Stadt und der Natur aufzubauen. Wer jetzt schon einmal Probe wohnen will, kann sich seit August im Schweizer Bergdorf Guttannen einmieten. 180 Franken kostet eine Übernachtung für zwei Personen, inklusive Gutschein für den Dorfladen, Spende an den WWF und Gratis-Ausblick auf das angrenzende Alpenpanorama.
© ecocapsule.skDas Tiny-House Ecocapsule kann theoretisch überall stehen.
Einweg ade: Recup und FairCup
Selbst unter den kurzlebigen Eintagsfliegen bricht die Oligoneuriella rhenana sämtliche Rekorde: Das Leben der erwachsenen Rheinmücke endet nach rund 40 Minuten. Der gemeine Einwegbecher hat dagegen eine noch kürzere Lebensdauer – nämlich etwa 15 Minuten. Jährlich fallen in Deutschland laut einer Studie des Umweltbundesamtes etwa 2,8 Milliarden Einwegbecher für tragbaren Kaffee an. Hinzu kommen 1,3 Milliarden Kunststoffdeckel. Dabei entstehen 28.000 Tonnen Müll, die wegen der Kunststoffbeschichtung der Pappbecher nicht recycelt werden können, stattdessen die Mülleimer der Städte verstopfen und oft auf dem Gehweg oder der Wiese daneben landen. Mehrwegbechersysteme wie FairCup oder Recup wollen diesen Müllberg abbauen. Die Kaffeetrinker zahlen dabei Pfand für den Becher, die Cafébetreiber eine monatliche Gebühr an die Anbieter. Die Papp-Alternativen bestehen meist aus Propylen. Der Kunststoff gilt als gesundheitlich unbedenklich, wenig anfällig für Mikroplastik und ist gut zu recyceln. Die Ökobilanz der Mehrwegbechersysteme ist laut Umweltbundesamt gut, wenn die Becher mindestens 25-mal verwendet werden. Wird beim Spülen ausschließlich Ökostrom genutzt, ist ihre Umweltbilanz bereits nach zehn Verwendungen im Plus. Tatsächlich machen immer mehr Cafébetreiber beim Mehrwegsystem mit. Die Recup-Becher können nach Angaben des Unternehmens aktuell deutschlandweit an 4.800 Ausgabestellen zurückgegeben oder aufgefüllt werden. Auch Großkonzerne wie McDonald‘s und Shell entdecken das Becherpfand und das wachsende Umweltbewusstsein der Kunden für sich: Insgesamt 62 Filialen der Fast-Food-Kette in Deutschland nehmen am Pfandsystem von Recup teil. Tankstellenriese Shell möchte auf diesem Wege allein 2020 rund 2,4 Millionen Einwegbecher einsparen.
© Stefanie Mühleder für RECUPDie wiederverwendbaren Becher von Recup gibt es derzeit an 4.800 Orten.
Ökostrom aus der Straße: Solmove
Alle Wege führten einstmals nach Rom. Heute ist die ganze Welt voller Straßen. Ein Netz von 31,7 Millionen Kilometern befestigter und unbefestigter Wege zieht sich über unseren Globus. Und wenn nicht gerade Autos darüber rollen, liegt diese Infrastruktur einfach ungenutzt unter der Sonne. Optimale Bedingungen, um sie mit Solarzellen zu bestücken – so die Idee von Solmove. Das Start-up aus Potsdam will den Straßenbau mit seinen Solarkacheln revolutionieren. Die Solarstraße von Solmove soll Lärm schlucken, sich mit dem erzeugten Strom einerseits selbst beleuchten und andererseits beheizen, um sich im Winter selbstständig von Eis und Schnee zu befreien. Allein in Deutschland eignen sich nach Einschätzungen des Start-ups etwa 1.400 Quadratkilometer Straßenfläche für eine Umwandlung zu Solarstraßen. Damit ließen sich bis zu 20 Millionen Elektroautos mit Strom versorgen, ohne weitere Flächen zu versiegeln. Zunächst muss sich das Konzept dazu aber in der Praxis bewähren. Ein erster Anlauf mit einem 90 Meter langen Solarradweg in Erftstadt bei Köln ging 2019 daneben: Bei starken Regenfällen schmorten die Anschlussdosen durch. Schließlich wurde der Vertrag zwischen dem Unternehmen und der Stadt aufgekündigt mit der Bedingung, den Solarradweg zurückzubauen. Man habe aus den Fehlern gelernt, so Solmove-Gründer Donald Müller-Judex. Auf dem Gelände einer stillgelegten Zeche in Gelsenkirchen hat das Start-up im Juni 2020 eine Teststrecke mit weiterentwickelten Modulen ausgestattet. Sie versorgt ein Bürogebäude und eine Ladestation für E-Bikes mit Strom – und das bislang ohne Probleme, so Solmove.