30. Oktober 2019
Ende August hat das Bundesumweltministerium seine neue Förderinitiative „KI-Leuchttürme für Umwelt, Klima, Natur und Ressourcen“ gestartet. Mit insgesamt 27 Millionen Euro sollen hier Projekte gefördert werden, die künstliche Intelligenz (KI) nutzen, um ökologische Herausforderungen zu bewältigen. Tatsächlich gibt es schon eine ganze Reihe von Ansätzen, um mithilfe von KI die Luft- und Wasserqualität zu verbessern, den Artenschwund zu stoppen, Wilderer aufzuspüren oder Getreide nachhaltiger und ressourcenschonender anzubauen.
KI im Artenschutz
Rund 3.200 Tiger leben momentan in freier Wildbahn. Bis 2022 soll ihre Zahl verdoppelt werden, darauf haben sich die Regierungen aller Staaten mit Tigerpopulationen im Jahr 2010 geeinigt. Um dieses Ziel zu erreichen und die Großkatzen nachhaltig zu schützen, muss man wissen, wo wie viele Tiger leben und auf welchen Wegen sie sich verbreiten. Die Naturschutzorganisation WWF nutzt in China künstliche Intelligenz, um Abertausende Aufnahmen auszuwerten, die tagtäglich von automatischen Fotofallen geschossen werden. Waren es früher Menschen, die die unzähligen Bilder ansehen und aussortieren mussten, werden Tigerfotos nun durch optimierte Bilderkennung direkt erkannt. Dank der Cloud-Technologie werden sie zudem aus meist unwegsamen Gehölzen schneller zu den Fachleuten gesendet, die sie zeitnah auswerten können. Das spart Zeit und Ressourcen. In einem weiteren Schritt soll künstliche Intelligenz dabei helfen, den einzelnen Tiger an seinem persönlichen Streifenmuster zu identifizieren. Ein Verfahren, das US-Wissenschaftler der Universität Illinois at Chicago beim Projekt Wildbook bereits anwenden, um die Identität von Zebras, Buckelwalen oder Walhaien festzustellen. Deutsche Forscher wollen ihrerseits mit KI-Unterstützung eine „Wetterstation für Artenvielfalt“ entwickeln, um Insekten und Vögel besser schützen zu können.
KI überwacht die Umwelt
Mit dem weltweiten Hunger nach Lachsfilet wächst auch die Zahl der Lachsfarmen in Küstengewässern immer weiter an. Strenge Regularien und Monitoringprogramme sollen dabei helfen, dass die dortigen Ökosysteme nicht über ihre Belastungsgrenze hinaus beansprucht werden. Bislang werden dazu auf dem Meeresboden lebende Würmer, Muscheln, Seesterne, Krebse und andere Makroinvertebraten unter dem Mikroskop untersucht. Doch das ist sehr teuer und zeitaufwendig und erlaubt nur die Prüfung weniger Proben. Forscher der TU Kaiserslautern arbeiten mit Kollegen aus Schottland und aus der Schweiz nun an einer digitalen Alternative: Mittels KI wollen sie künftig Mikroorganismen erforschen. Diese reagieren sehr schnell und sensibel auf eine Veränderung ihrer Umgebung, sind daher optimal als Bioindikatoren geeignet. Mit herkömmlichen Methoden ist die Identifizierung von Mikroben jedoch sehr schwierig. Maschinelles Lernen soll es nun möglich machen, das Potenzial der Mikroben als Bioindikatoren auszuschöpfen. So kann schneller, günstiger und häufiger erfasst werden, wie es bei einer Lachsfarm um die Gesundheit des Ökosystems bestellt ist. Bis es so weit ist, benötigen die Algorithmen aber noch weiteres Training. Denn je nach Jahreszeit, Ort und lokalen Gegebenheiten kann die Zusammensetzung von Bakteriengemeinschaften im Meeresboden stark variieren. Die aktuelle Forschung konzentriert sich deshalb darauf, diese Einflussgrößen in den Algorithmus des maschinellen Lernens zu integrieren. Auf diese Weise wird er nach und nach immer weiter verfeinert, bis er schließlich in der Lage ist, die Umweltbelastung automatisiert zu überwachen – um so den sorgsamen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen zu unterstützen.
KI könnte Lebensmittelverschwendung vermindern
Elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden jedes Jahr in Deutschland schon während der Herstellung zu Abfall. Strenge Anforderungen an die Produktsicherheit, eine geringe Planbarkeit in der Landwirtschaft, unzählige produktspezifische Randbedingungen in der Lebensmittelverarbeitung, starke Nachfrageschwankungen und der Trend zu individualisierten Produkten auch in der Lebensmittelindustrie hätten die Verringerung dieser ökologischen und ökonomischen Verschwendung bislang verhindert, erklären die Kooperationspartner des Projekts REIF. REIF, das steht für „Resource-efficient, Economic and Intelligent Foodchain“. Diverse Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Lebensmittelhersteller haben sich hier zusammengeschlossen, um dem Problem mit KI auf den Leib zu rücken. Gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium, wird das Forschungsprojekt in den kommenden drei Jahren „die Potenziale der Künstlichen Intelligenz zur Optimierung der Plan- und Steuerbarkeit der Wertschöpfung in der Lebensmittelindustrie untersuchen“. Das Ziel: der Aufbau eines KI-Ökosystems, das alle Beteiligten in der Nahrungsmittelproduktion digital ins Boot holt, um dadurch künftig die Lebensmittelverschwendung zu verringern.
Elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden jedes Jahr in Deutschland schon während der Herstellung zu Abfall.
KI spart Energie
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir unseren Strom nicht nur nachhaltiger produzieren, sondern auch unseren Energieverbrauch senken. Dabei könnte uns künstliche Intelligenz ebenfalls unterstützen. Das gemeinnützige Borderstep Institut in Berlin etwa setzt im Rahmen des Schaufensterprojekts WindNODE maschinelle Lernalgorithmen ein, um die Beheizung in einem Berliner Quartier zu regeln. Mithilfe von Sensoren in den Wohnungen und Gebäuden kann das System feststellen, wann Bewohner zu Hause sind, und dementsprechend die Heizung hochfahren. Dabei soll sich das System immer besser auf die Gewohnheiten der Bewohner einstellen und dadurch 20 bis 25 Prozent Energie einsparen. Außerdem arbeiten Wissenschaftler der Hochschule Landshut im Forschungsprojekt DENU daran, den Energiebedarf durch intelligente Vernetzung deutlich zu reduzieren. Dazu installieren die Forscher beispielsweise in Hotels, Hallenbädern, Fabriken und Bürogebäuden in Niederbayern Mess- und Steuerungsgeräte und verbinden die gemessenen Daten mit bereits bestehenden Energieeffizienz-Managementsystemen zu einem ganzheitlichen System. Mittels maschinellem Lernen werden die gesammelten Daten dann analysiert und Algorithmen entwickelt, um den Energieverbrauch der Gebäude durch die intelligente Steuerung zu senken. „Durch die ganzheitliche Betrachtung aller Faktoren können wir über 50 Prozent Primärenergie einsparen“, erklärt Professorin und Projektleiterin Diana Hehenberger-Risse. Ob diese Einschätzung tatsächlich zutrifft und das in Landshut entwickelte Modell zur Blaupause für das intelligente und ressourcenschonende Energiemanagement der Energiewende werden kann, das soll das vom Bundeswirtschaftsministerium mit 1,4 Millionen Euro geförderte Projekt bis 2022 ermitteln.
„Durch die ganzheitliche Betrachtung aller Faktoren können wir über 50 Prozent Primärenergie einsparen.“
KI soll Landwirtschaft effizienter und umweltschonender machen
Prognosen zufolge benötigt die Menschheit im Jahr 2050 rund 70 Prozent mehr Nahrungsmittel, als wir heute produzieren. Bessere und genauere Daten könnten den Landwirten dabei helfen, Lebensmittel effizienter und zugleich umweltschonender anzubauen. Im Projekt FarmBeats von Microsoft zum Beispiel werden Daten von Sensoren, Drohnen, Satelliten und Traktoren in cloudbasierte Modelle für künstliche Intelligenz gefüttert, die auf diese Weise ein detailliertes Bild der Bodenqualität und der Feuchtigkeit der Äcker liefern sollen. Da schnelles Internet auf den meisten Farmen eine Rarität ist, werden die Daten über nicht genutzte Sendefrequenzen zwischen TV-Kanälen in die Cloud geschickt. Gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten hat FarmBeats nun ein Pilotprojekt gestartet: Auf der rund 2.800 Hektar großen Forschungsfarm des Ministeriums im US-Bundesstaat Maryland wurden die Felder dazu mit einem Netzwerk von Sensoren ausgestattet. Sie messen Temperatur, Feuchtigkeit, Säuregehalt und Wasserstand des Bodens. Eine Wetterstation zeichnet Lufttemperatur, Niederschlag und Windgeschwindigkeit auf, ein mit Sensoren ausgestatteter Traktor wird wiederum die Höhe, Biomasse und die „Grünheit“ der Ackerfrüchte messen – ein Indikator für die Pflanzengesundheit. Wenn das Projekt erfolgreich ist, können die Landwirte die von FarmBeats generierten Daten in Echtzeit sehen. Die Forscher hingegen können den Landwirten webbasierte Tools und ortsspezifische Informationen zur Verfügung stellen, mit denen sie Saatgut und Dünger gezielter einsetzen und insgesamt ihre Anbaumethoden verfeinern können. Läuft alles nach Plan, soll das System im Anschluss auf über 200 Bauernhöfen im ganzen Land ausführlicher getestet werden.