10. März 2022
In den Großstädten ist Carsharing längst eine Selbstverständlichkeit. Ganz anders in Kommunen mit weniger als 20.000 Einwohnenden: Weniger als fünf Prozent von ihnen bieten stationsbasierte Sharing-Autos an. Doch das Angebot wächst – auch auf dem Land. Drei Beispiele.
Dorfstromer in Stade
Der Verein Dorfstromer betreibt seit 2019 Carsharing im Landkreis Stade in Niedersachsen. Los ging es mit drei E-Fahrzeugen, mittlerweile ist die Flotte auf 15 Stromer gewachsen, die etwa in Oerel und Harsefeld gemietet werden können. Rund 17.000 Kilometer haben die 327 Mitglieder bereits abgespult. Manche davon haben mit dem Sharing-Stromer den Zweitwagen ersetzt, einige ältere Nutzende würden nun sogar komplett auf ein eigenes Auto verzichten, so der Verein.
Alle Nutzenden fahren für vier Euro die Stunde, eine Vereinsmitgliedschaft für Familien kostet nur acht Euro pro Monat. Dass sich das trotzdem für die Dorfstromer rechnet, liegt unter anderem an den geringeren Wartungskosten der E-Fahrzeuge und der ehrenamtlichen Arbeit der Vereinsmitglieder. Vor allem aber beteiligen sich die Kommunen mit 100 Euro Mitgliedsgebühren im Monat. „Dadurch ist schon ein großer Teil der Unterhaltungskosten gedeckt“, sagt Vorstandsmitglied Hans-Joachim Raydt.
© Dorfstromer15 flotte elektrisierte Dorfstromer-Fahrzeuge (hier 12 abgebildet) ersetzen mittlerweile einige Privatautos der Bewohnerinnen und Bewohner im Landkreis Stade.
BARshare im Kreis Barnim
Das Sharing-Angebot im Kreis Barnim setzt ebenfalls auf Stromfahrzeuge, unterscheidet dabei aber zwischen Hauptnutzenden und Mitnutzenden: Tagsüber fahren Unternehmen, Vereine und die Verwaltung des Landkreises die E-Fahrzeuge und ersetzen so einen Teil ihrer bisherigen Flotte. Nach Feierabend und am Wochenende steigen dann Bürgerinnen und Bürger ein. „Wir wollen die Mobilität vor Ort verbessern und die Anzahl der privaten Pkw, den Bedarf an Parkraum sowie die CO2-Emissionen reduzieren. Dass Haupt- und Mitnutzende die Fahrzeuge fahren, erhöht die Auslastung unserer Flotte und somit die Effizienz des Carsharing-Angebots“, sagt BARshare-Projektleiterin Saskia Schartow.
2019 gestartet, hat BARshare mithilfe der Förderung des Bundesverkehrsministeriums mittlerweile 44 E-Fahrzeuge an elf Stationen im Einsatz. Auch zehn E-Bikes und Lastenräder können über die App gemietet werden. Heute sind mehr als 1.250 Mitnutzende bei BARshare registriert.
© Torsten StapelSo geht Carsharing auf dem Land: Im Brandenburgischen Landkreis Barnim stehen Unternehmen sowie den Bürgerinnen und Bürgern 44 E-Fahrzeuge an elf Stationen zur Verfügung.
Pilotprojekt in Nordhessen
Selbst Berufspendlerinnen und -pendler auf dem Land könnten künftig vermehrt mit dem Carsharing-Auto zur Arbeit kommen. Pulsierendes CarSharing nennt sich das Prinzip, das im Schwalm-Eder-Kreis in Nordhessen erprobt wird und von dem Carsharing-Anbieter Regio.Mobil und der Mobilitätsberatung EcoLibro entwickelt wurde. Die Mitarbeitenden der Kreisverwaltung, der Sparkasse und eines Strom- und Gasanbieters teilen sich hier eine Dienstwagenflotte. Nach Büroschluss und an den Wochenenden sind die Autos offen für alle. Einige der Mitarbeitenden pendeln abends mit den Fahrzeugen nach Hause in die umliegenden Dörfer und stellen sie dort an Sharing-Stationen ab. So können auch andere Anwohnende auf die Mietautos zurückgreifen.
Eine Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr, der auf dem Land gerade abends und am Wochenende nur schwach ausgebaut ist. Das Projekt gilt als Erfolg und soll ausgeweitet werden: Rund 55 Sharing-Fahrzeuge wären erforderlich, um den Mobilitätsbedarf der beteiligten Behörden und Betriebe abzudecken, so die Kalkulationen des Anbieters, der nun nach weiteren Partnern sucht.
Drei Fragen an Mobilitätsexpertin Anke Borcherding
Was brauchen Carsharing-Angebote auf dem Land, um langfristig tragfähig zu sein?
Anke Borcherding: Ehrenamtliche Modelle und selbst organisierte Projekte sind zwar grundsätzlich gut. Aber professionelle Anbieter haben entscheidende Vorteile: Sie kennen den Markt, verfügen über Erfahrungen und die entsprechende Technologie. Natürlich reicht es nicht, irgendwo Autos abzustellen und auf Kundschaft zu hoffen. Die Angebote müssen in Marketingkampagnen beworben und die Carsharing-Standorte gut sichtbar an stark frequentierten Orten platziert werden – etwa am Bahnhof oder im Ortszentrum. Um sich eine Grundauslastung und damit eine finanzielle Basis zu sichern, sollten Anbieter Behörden, Verwaltungen oder Unternehmen als Hauptnutzer gewinnen. Aufgrund der begrenzten Zahl potenzieller Nutzerinnen und Nutzer auf dem Land ist es auch umso wichtiger, dass der öffentliche Auftritt des Carsharing-Angebots tatsächlich alle Altersgruppen anspricht, sich also nicht nur an jung-dynamische Hipster wendet. Im Sinne der Nachhaltigkeit setzt man bestenfalls von vorneherein auf vollelektrische Fahrzeuge. Wenn man dann auch den erforderlichen Grünstrom vor Ort erzeugt und die E-Fahrzeuge künftig als Stromspeicher im sogenannten Smart-Grid verwendet, fällt der Nutzen für Gesellschaft und Umwelt noch größer aus.
„Anders als in der Stadt wird Carsharing im ländlichen Raum den privaten Pkw kaum vollständig ersetzen können, wohl aber die Zweit- und Drittwagen.“
Welche Zielgruppen kann man damit ansprechen?
So viele wie möglich: von Wochenendausflügler:innen über Anwohnende, die ihre Einkäufe erledigen wollen, bis hin zu Fahranfänger:innen, die ich mit solchen Angeboten bestenfalls dazu bewegen kann, sich kein eigenes Auto anzuschaffen. Auch für Berufspendlerinnen und Berufspendler kann das attraktiv sein – wenn die Tarife günstig genug sind. Die Herausforderung dabei: Beim stationsbasierten Carsharing, wie wir es auf dem Land ausschließlich finden, müssen die Fahrzeuge zur Ausgangsstation zurückgebracht werden. Technisch und operativ ist aber auch ein Carsharing von einer Station zu einer anderen möglich. Und auch hier können professionelle Anbieter deutlich flexibler agieren als kleine Vereine. Anders als in der Stadt wird Carsharing im ländlichen Raum den privaten Pkw kaum vollständig ersetzen können, wohl aber die Zweit- und Drittwagen, die sich dort in vielen Haushalten finden.
Was können Kommunen zum Erfolg solcher Angebote beitragen?
Zunächst sollten sie selbst Kundinnen werden, also ihre Fuhrparks durch Carsharing-Fahrzeuge ersetzen. Außerdem können sie die Anbieter von Parkgebühren befreien – ein signifikanter Kostenfaktor beim Carsharing. Elektrisches Carsharing benötigt zudem eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur an den Stellplätzen wie etwa an Tankstellen, Supermärkten oder Baumärkten. Auch die Bereitstellung von Fördermitteln durch die öffentliche Hand ist sinnvoll und wünschenswert. Wir stecken ja heute bereits öffentliches Geld in einen Nahverkehr auf dem Land, der alles andere als wirtschaftlich ist und oft mit leeren Bussen fährt. Insofern spricht alles dafür, durch Anschubfinanzierungen Alternativen auf den Weg zu helfen, damit sie sich im realen Betrieb beweisen können.
ZUR PERSON
© David Ausserhofer
Anke Borcherding forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) unter anderem zur Mobilität auf dem Land. Davor hat sie bundesweit E-Carsharing-Angebote für die Deutsche Bahn aufgebaut. An der Freien Universität Berlin ist sie aktuell dafür verantwortlich, die Mobilität der Hochschule nachhaltiger zu gestalten.
Nichts mehr verpassen: Jetzt kostenlosen #explore-Newsletter abonnieren
Entdeckt, erklärt, erzählt - Der Podcast
Alle zwei Wochen eine neue Folge. Entdeckt, erklärt, erzählt ist der Podcast von #explore by TÜV NORD. In jeder Folge haben wir einen Gast, der uns spannende Einblicke in Zukunftsthemen und Trends gibt sowie Innovationen einordnet. Den Podcast gibt's auf allen gängigen Podcast-Apps - einfach kostenfrei abonnieren!
In Folge 35 erläutert Verkehrssicherheitsexperte Richard Goebelt die Vision Zero.