Lieferkettengesetz – was es wirklich bedeutet
Es ist so weit: Das lange diskutierte deutsche „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz - LkSG) wurde verabschiedet und ist im Januar 2023 in Kraft getreten. Die Meinungen über den Gesetzesentwurf gingen weit auseinander. Während Regierungsvertreter von einem „Meilenstein für die Durchsetzung von Menschenrechten“ sprechen, warnen Stimmen aus der Wirtschaft vor unverhältnismäßigen Belastungen für Unternehmen. Umweltverbänden und Menschenrechtsgruppen fällt der Entwurf zu zahm aus.
Über hitzig geführten Kontroversen geraten die Fakten manchmal aus dem Blick. Wir haben uns mit Marc Christian Wedekind, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht aus Hamburg, darüber unterhalten, welche Schwerpunkte das Lieferkettengesetz prägen, was sich damit für deutsche Unternehmen ändert und warum es vielleicht weder ein zahnloser Tiger noch eine unverhältnismäßige Belastung ist.
Ziele des Lieferkettengesetzes
Zentrales Ziel des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ist laut Bundesregierung, „die Rechte der Menschen zu schützen, die Waren für Deutschland produzieren“. Zugrunde liegt die Überzeugung, dass Unternehmen für die „Achtung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferkette“ verantwortlich sind. Gleichzeitig sollen Wettbewerbsnachteile für Unternehmen abgebaut werden, die bisher schon freiwillig in ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement investiert haben.
Freiwillige Maßnahmen werden verpflichtend
Für Marc Christian Wedekind ist der Inhalt des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes nicht wirklich neu: „Im Grunde genommen gab es schon immer die Verpflichtung für Unternehmen, sich um Themen wie Menschenrechte, Kinderarbeit und Umweltschutz zu kümmern.“
Festgehalten wurde diese Verpflichtung 2011 vom UN-Menschenrechtsrat in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Bundesregierung überführte diese Vorgaben zunächst in eine freiwillige Selbstverpflichtung – mit ernüchterndem Resultat: In Erhebungen stellte sich heraus, dass die befragten Firmen nicht einmal 50 Prozent der Vorgaben umsetzten. Damit blieb der Regierung, so Marc Christian Wedekind, nur eine Möglichkeit, den Koalitionsvertrag umzusetzen: „Das, was vorher freiwillige Selbstverpflichtung war, wurde in konkrete Maßnahmen und Pflichten umgesetzt.“
Aber was bedeutet das in der Praxis?
Schwerpunkte des Lieferkettengesetzes – Zusammenfassung
Laut des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes müssen Unternehmen
- menschenrechtliche Risiken in ihrer Lieferkette analysieren (zum Beispiel in Hinsicht auf Diskriminierung, Zwangsarbeit und Kinderarbeit, aber auch problematische Arbeitsbedingungen),
- Maßnahmen zur Vorbeugung und zur Abhilfe ergreifen,
- Möglichkeiten zur Beschwerde einrichten,
- ihre Aktivitäten dokumentieren.
Die damit verbundenen Maßnahmen beginnen bei einem gründlichen Zulieferer-Screening und reichen bis hin zu stichprobenartigen Kontrollen vor Ort. Auch das Einrichten von Whistleblower-Hotlines kann sinnvoll sein. Werden Menschenrechtsverletzungen entdeckt, müssen Unternehmen die Geschäftsbeziehung nicht gleich abbrechen. Im Gegenteil: Sie sollen zuerst gemeinsam mit dem Zulieferer nach Lösungen suchen und zum Beispiel einen Maßnahmenplan erstellen.
Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern. „Bei unmittelbaren Zulieferern müssen Unternehmen ein ganz strenges Screening durchführen“, so Marc Christian Wedekind.“ Bei mittelbaren Zulieferern müssen sie erst aktiv werden, wenn eine Beschwerde gemeldet wird.“
Der entscheidende Unterschied zu vorher: Wenn Unternehmen den im Lieferkettengesetz verankerten Pflichten nicht nachkommen, kann dies im Rahmen einer Ordnungswidrigkeit stattliche Bußgelder nach sich ziehen. Die einzelnen Bußgeldtatbestände sehen Geldbußen von 100.000 EUR bis zu 2 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes vor. „Eine Verletzung der Pflichten wird wirklich weh tun“, sagt Marc Christian Wedekind, der davon ausgeht, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) seinen Kontrollpflichten im erforderlichen Umfang nachkommen wird. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass Unternehmen von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden, von einem enormen Image-Verlust ganz zu schweigen.
Zertifizierungen rund um das Lieferkettengesetz können Unternehmen helfen, nachzuweisen, dass sie die Forderungen des Sorgfaltspflichtengesetzes erfüllen.
Wer betroffen ist, hängt auch von der Größe ab
Vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen sieht Marc Christian Wedekind das komplette produzierende Gewerbe. Schließlich produzieren kaum Unternehmen allein in Deutschland.
Eine Einschränkung gibt es allerdings: Das Gesetzt konzentriert sich auf Großbetriebe und tritt in zwei Stufen in Kraft:
- 2023 für Unternehmen, die mindestens 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Inland beschäftigen (etwa 600 in Deutschland).
- 2024 für Unternehmen ab einer Betriebsgröße von 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Inland.
Kleinere Firmen werden zunächst ausgeklammert.
Achtung: Auch Unternehmen, die aufgrund der Anzahl von Mitarbeitenden nicht in den direkten Anwendungsbereich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) fallen, können mittelbar betroffen sein. Als Zulieferer eines Unternehmens, das in der gesetzlichen Verantwortung steht, gilt die Anwendung des Lieferkettengesetzes auch für sie. Bei Nicht-Einhaltung ist jedes zur Einhaltung des LkSG verpflichtete Unternehmen angehalten, Maßnahmen zur Einhaltung entlang seiner Lieferanten zu ergreifen. Dies kann bei Verstoßen des Zulieferers bis zur Beendigung der Geschäftsbeziehung führen.
Wichtig ist, vorhandene Strukturen zu erweitern
So oder so sieht Marc Christian Wedekind genug Vorlaufzeit, vor allem angesichts der Tatsache, dass das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz keine großen Überraschungen mitbringt. „Man dockt ja auch an bestehende Strukturen an. Ein Risikomanagement müssen Unternehmen nicht mehr neu entwickeln, sondern erweitern. Auch ein Dienstleister-Screening haben sie schon immer gemacht. Jetzt müssen sie es eben um eine zusätzliche Komponente erweitern.“
Hinzu komme, dass erste Gesetzesvorschläge von Interessensverbänden ganz andere Vorgaben enthalten hätten. Unter anderem fordern kritische Stimmen, eine zivilrechtliche Haftung in den Entwurf aufzunehmen.
Dass diese Forderung erst einmal nicht Eingang in das Gesetz gefunden hat, hält Marc Christian Wedekind für nachvollziehbar. „Wir wissen nicht, wie groß das Ungetüm der zivilrechtlichen Haftung geworden wäre. Deshalb ist es ein guter Weg, das so behutsam aufzusetzen, um in ein paar Jahren zurückzuschauen und dann vielleicht eine weitere Ausbaustufe zu schaffen.“
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Ausblick – Das Lieferkettengesetz der EU wurde verschärft
Allerdings wissen wir, dass das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in der jetzt vorliegenden Form nachgebessert werden muss. Denn am 24.05.2024 hat der das EU-Parlament die länderübergreifende EU-Lieferkettengesetz in Form der Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD formell verabschiedet.
Die Einigung sieht abweichend vom deutschen Lieferkettengesetz unter anderem Folgendes vor:
- Ausweitung der zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen,
- Herabsetzung des Schwellenwertes für adressierte Unternehmen,
- Verpflichtung, nicht nur unmittelbarer Zulieferer, sondern die gesamte Aktivitätskette zu betrachten.
Ein Grund mehr für deutsche Unternehmen, mehr zu tun als das Nötigste. Da auch Konsument:innen zunehmend Wert auf Transparenz legen, lässt sich dieses Engagement oft sogar in einen Wettbewerbsvorteil umwandeln. Ganz zu schweigen davon, dass Menschenrechte zu wahren und umweltbezogene Risiken zu minimieren, für sich allein lohnenswerte Ziele sind.
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